Die Schulter stand schon im Altertum sinnbildlich für Kraft und Stärke. Mit einer starken Schulter konnte man den Gegner im Ringkampf bezwingen und im Speerwurf den Sieg erringen. Allerdings war die Schulter unter hoher Beanspruchung auch verletzungsanfällig. Und so waren schwerwiegende Verletzungen wie die Verrenkung der Schulter keine Seltenheit. Nachweise von Gelenkverletzungen und deren Behandlung reichen bis ins 5. Jahrhundert v.u.Z. zurück. Bereits in den hippokratischen Schriften, einer Sammlung von etwa 60 medizinischen Texten des Altertums, wurde die Reposition eines ausgerenkten Schultergelenks beschrieben: „Man muss den Betreffenden rücklings auf den Boden legen, während der Einrenkende sich auf der Seite, auf der das Gelenk sich verrenkt hat, auf den Boden niedersetzt. Hierauf erfasst er mit seinen Händen den beschädigten Arm und streckt ihn, seine Ferse aber setzt er in die Achselhöhle ein und drückt dagegen, und zwar mit der rechten Ferse in die rechte, mit der linken in die linke Achselhöhle.“
Doch nicht nur eine Luxation des Schultergelenks gehört zu den vielfältigen Erkrankungen des oberen Bewegungsapparats. Schmerzen und Beschwerden können sich auf verschiedenste Art äußern.
Mit Unterstützung des emeritierten Professors für Sportorthopädie Dr. Wolfgang Menke wollen wir einigen Ursachen und Erscheinungsformen vor allem solcher orthopädischer Beschwerden, die den Schulterbereich betreffen, auf den Grund gehen. In seiner Praxis als Sportmediziner an der Deutschen Sporthochschule in Köln, Ärztlicher Direktor der Rehaklinik „Saarschleife“ in Mettlach-Orscholz sowie als Orthopäde am Zentrum für ambulante Rehabilitation (ZAR) in Trier hat Wolfgang Menke vielzählige Traumata im Gelenk- und Bewegungsapparat seiner Patienten gesehen, behandelt und dokumentiert.
Instabilität im Schultergelenk
Die menschliche Evolution hat die oberen – ursprünglich die vorderen – Extremitäten zu einem universalen Werkzeug entwickelt. Wir können unsere Arme in nahezu alle Richtungen ausstrecken, um die verschiedensten Tätigkeiten und Arbeiten zu verrichten. Um dies zu ermöglichen, müssen die Arme in ihrem Ansatz über ein Gelenk mit dem Körper verbunden sein, das diese Beweglichkeit auch ermöglicht. Das ist mit der besonderen Anatomie des Schultergelenks der Fall (siehe nebenstehenden Beitrag).
Da das Schultergelenk über keine knöcherne Führung verfügt, kommt es häufig zu Instabilitäten und Verrenkungen. Sportler sind davon mit einem zweifach höheren Risiko besonders betroffen. Die Vielzahl der Weichteilstrukturen, die mangels knöcherner Führung das Gelenk stabilisieren und bewegen, sind nicht nur verletzungsanfällig, sondern unterliegen mit zunehmendem Alter auch einem normalen Verschleiß. Dies drückt sich unter anderem in der Anzahl von Gelenkspiegelungen und minimalinvasiven Eingriffen an der Schulter aus, deren Zahl für Deutschland mit 100.000 ambulanten und stationären Behandlungen pro Jahr angegeben wird.
Gelenkverschleiß häufige Schmerzursache
Auch wenn man sich auf lokale Ursachen von Schulterschmerzen beschränkt, ist die Diagnose meist erst nach umfangreichen klinischen und apparativen Untersuchungen zu stellen.
Während verletzungsbedingte Schmerzen direkt nach einem Unfall oder Sturz auftreten, werden chronische Schulterschmerzen häufig durch Schäden bei Überlastung oder Verschleiß verursacht. Die häufigsten lokalen Ursachen von Schulterschmerzen können auch kombiniert auftreten. Neben Arbeits- und Sportunfällen, bei denen die Schulter luxiert, können auch Verschleißerscheinungen an Knochen, Muskeln oder Sehnen der Schulter Ursache für heftigen und anhaltenden Schmerz sein. Dabei wird der Raum unter dem Schulterdach verengt und die Sehne gerät unter verstärkten Druck. Da bei Alltagsbelastungen wie beim Hinsetzen auf einen Stuhl mit Hilfe der Arme, beim Gehen mit einer Stockstütze oder beim Anheben einer Kiste Kräfte vom 1,3- bis 2,0 fachen Körpergewicht auf die Schulter einwirken, besteht die Gefahr eines Sehnenrisses, vor allem wenn diese bereits vorgeschädigt ist.
Auch eine Kalkschulter kann schmerzen. Lange bevor der „der Kalk zu rieseln beginnt“ und der dem Knochen entzogene Kalk zur Osteoporose und in den Gefäßen zu fortschreitender Verkalkung führt, kann die Kalkschulter die ersten Beschwerden machen. Sie tritt vornehmlich im Alter zwischen 30 und 50 Jahren auf und betrifft insbesondere Frauen.
Wie auch bei anderen Schmerzzuständen in der Schulter liegen auch hier die Ursachen in der besonderen Anatomie des Gelenks begründet. Die Sehne unter dem Schulterdach als Gleitsehne enthält knorpelige Bestandteile und ist daher schlecht durchblutet. Unter Dauerbelastung kommt es zu einer Schädigung der Sehnenfasern und Kalk lagert sich ein. Die Sehne schwillt an und die schwellungsbedingte Enge unter dem Schulterdach führt zu Schmerzen hauptsächlich beim Anheben des Armes oder nachts beim Liegen auf der Schulter. Im weiteren Verlauf kann dieses Engpass- oder Impingementsyndrom von selbst heilen, wenn sich der Kalkherd im Laufe der Zeit auflöst und resorbiert wird. Dieser Herd kann dennoch längere Zeit symptomlos im Röntgenbild sichtbar bleiben. Bei ungünstigerem Verlauf bricht der Kalkherd in den darüber liegenden Schleimbeutel ein und führt dort zu einer schmerzhaften Entzündung, die einer ärztlichen Intervention bedarf und unter geeigneten Therapien abklingen kann. Kommt es jedoch zu einem Auffasern des Sehnengewebes und schließlich zu einem Sehnenriss, sind bleibende Schäden nicht auszuschließen.
Schmerzen können auch weitere Ursachen haben
Nicht nur aufgrund des komplexen Aufbaus und der vielfältigen Struktur der Schulter können Schmerzen in diesem Bereich vieldeutige Ursachen haben. Schulterschmerz kann auch Symptom einer Schmerzübertragung von ferneren Organen sein. So kann sich ein Herzinfarkt in heftigen linksseitigen Schulterschmerzen äußern. Auch wird beobachtet, dass eine Erkrankung der Leber oder der Gallenblase mit Beschwerden an der rechten Schulter einhergeht.
Häufig gehen die Schmerzen von der Halswirbelsäule aus, verursacht durch Nerveneinklemmungen bei einer Wirbelkanalverengung oder einem Bandscheibenvorfall. Dabei können die Wirbelgelenke mit ihren Kapseln und Bändern sowie die zahlreichen Muskeln asymmetrisch belastet sein, auf der einen Seite maximal gedehnt und auf der anderen Seite gestaucht. Es entwickelt sich eine andauernde Schmerzsymptomatik.
Deshalb entstehen Überlastungsschäden und Erkrankungen
Die komplizierte Mechanik des Schultergelenks liefert eine Erklärung für die Entstehung vieler Überlastungsschäden und Erkrankungen der Schulter. Die Abspreizbewegung des Armes in der Schulter wird im Wesentlichen durch den Deltamuskel (1) und den über dem Oberkopf liegenden Supraspinatusmuskel (2) ausgeführt. Während der Deltamuskel seitlich am Oberarm ansetzt und den Arm kraftvoll nach oben zieht, dreht der Supraspinatumuskel den Oberarmkopf einwärts und verhindert, dass dieser nach oben unter das Schulterdach gepresst wird. Das reibungsfreie Gleiten des Oberarmkopfes unter dem Schulterdach wird durch den zwischengelagerten Schleimbeutel gewährleistet.
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