Headlines

Zu gut für die TonneWenn gute Lebensmittel im Abfall landen

Zu gut für die Tonne / Wenn gute Lebensmittel im Abfall landen
Viele Lebensmittel landen ungenutzt in der Tonne, obwohl sie trotz abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum noch genießbar sind. Doch umweltfreundlich und billig ist unsere Verschwendung nicht – ganz im Gegenteil. Foto: Unsplash

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Wer kennt es nicht? Der Joghurtbecher, die Tomatenbüchse, das Nudelpaket – Lebensmittel, die auf Vorrat gekauft werden und dann in Vergessenheit geraten. Holt man sie hervor, stellt man überrascht fest, das Verfallsdatum ist abgelaufen – also ab damit in den Müll. Wie viele Lebensmittel auf diese Weise – und manchmal unnötig – in den Abfall geraten, dafür interessierte sich unsere Korrespondentin Elke Bunge.

70.800 Tonnen Lebensmittel, so errechneten Statistiker, landen jährlich in Luxemburg im Abfall. Drei Viertel der Menge kommt aus privaten Haushalten – jeder Luxemburger wirft etwa 118 Kilogramm Lebensmittel weg. Hinzu kommen rund 5.200 Tonnen aus dem Handel sowie 7.100 Tonnen aus Großküchen, die Krankenhäuser, Schulen oder Altenheime beliefern.

Nach einer Studie zum Hausmüll, die das Umweltamt Luxemburg 2019 in Auftrag gegeben hatte, werfen die Landesbewohner pro Jahr und Kopf etwa 88,5 Kilogramm Lebensmittel weg. Bis zu zehn Prozent dieser Menge befinden sich noch originalverpackt in gutem Zustand. Wie die Untersuchungen zeigten, war das Mindesthaltbarkeitsdatum in vielen Fällen noch nicht einmal abgelaufen. Ein weiteres Viertel der im Restmüll gefundenen Lebensmittel verzeichnete zwar ein abgelaufenes Haltbarkeitsdatum, befand sich aber auch in den ungeöffneten Verpackungen und war noch für den Verzehr geeignet. Wie die Statistik zeigt, wären 23,5 Kilogramm der Lebensmittelabfälle vermeidbar gewesen. Monetär ausgedrückt wirft jeder Luxemburger jährlich noch verwertbare Esswaren in Höhe von 75,50 Euro fort. Für ganz Luxemburg kommt man dabei auf die immerhin stattliche Summe von 46,5 Millionen Euro im Jahr.

Doch nicht nur der Schaden für die privaten Haushalte muss in die Rechnung einbezogen werden. Jedes nicht verbrauchte Lebensmittel benötigte bereits bei seiner Herstellung Arbeitsaufwand und Material, verursachte Energie-, Transport- und Lohnkosten. Um es einmal zu benennen: Um ein Kilogramm Äpfel anzubauen, benötigt man 820 Liter Wasser. Gleichzeitig verursacht der Anbau einen CO2-Ausstoß von 550 Gramm. Bei Fleisch sind diese Zahlen noch um ein Vielfaches höher: Um ein Kilogramm Rindfleisch zu produzieren, werden 15.400 Liter Wasser verbraucht und dabei 13 Kilogramm Kohlendioxid in die Atmosphäre abgegeben.

Noch umweltschädlicher ist das von den organischen Abfällen auf den Mülldeponien ausgestoßene Methan. Laut Experten ist seine negative Auswirkung auf die Atmosphäre um 25-mal stärker als jene des Kohlendioxids.

Weltweit, so Untersuchungen der UN-Ernährungsorganisation FAO, gelangen Agrarerzeugnisse von etwa einem Drittel der Gesamtanbauflächen nicht in den Nahrungskreislauf, sondern werden als Abfall entsorgt – vom Feld in die Tonne.

Dieser Blumenkohl gewinnt auf den ersten Blick keinen Schönheitspreis. Beim genaueren Hinsehen entfaltet er aber seine inneren Werte.
Dieser Blumenkohl gewinnt auf den ersten Blick keinen Schönheitspreis. Beim genaueren Hinsehen entfaltet er aber seine inneren Werte. Foto: Unsplash

Auch Handel und Gastronomie beteiligt

Doch nicht nur in den privaten Haushalten beobachten die Luxemburger Umweltbeamten das vermeidbare Wegwerfen von brauchbaren Lebensmitteln. In der Gastronomie werden jährlich 5.250 Tonnen Lebensmittel entsorgt – das entspricht einem statistischen Anteil von 8,9 Kilogramm je Einwohner. Den Analysen zufolge wären jedoch 80 Prozent dieses Lebensmittelabfalls vermeidbar.

Die Gesamtmenge der Lebensmittelabfälle im luxemburgischen Handel wird auf 5.150 Tonnen geschätzt, also pro Kopf weitere 8,7 Kilogramm. Davon, so die Experten, wären 7,85 Kilogramm je Einwohner vermeidbar. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei den Großküchen ab, die Krankenhäuser, Altenheime und Schulen beliefern. Auch in diesen Bereichen werden mehr Lebensmittel als Abfall entsorgt, als es der Gesellschaft und der Umwelt guttut.

Und bei den Nachbarn?

Die Lage bei unseren europäischen Nachbarn sieht nicht rosiger aus. In Deutschland wandern einer Studie des Landwirtschaftsministeriums zufolge jährlich etwa 12 Millionen Tonnen Lebensmittel in den Müll, die Hälfte davon allein aus Privathaushalten.

In Frankreich „produziert“ jährlich 10 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle, ein Drittel davon kommt aus Privathaushalten. Doch haben unsere französischen Nachbarn als erstes Land in der EU bereits 2013 ein Gesetz erlassen, mit dem gegen Lebensmittelverschwendung vorgegangen werden soll. Die 2016 konkretisierte „Loi Garot“ verbietet Supermärkten, Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdauer abgelaufen ist, unbrauchbar zu machen. Sind die Mindesthaltbarkeitsfristen abgelaufen, spenden die Märkte die Nahrungsgüter an soziale Einrichtungen und Bedürftige. 2018 ist dieses Gesetz auch auf den Bereich der Gastronomie erweitert worden. Zuwiderhandlungen können sanktioniert werden – entsprechende Betriebe dürften dann mit einer Geldstrafe bis zu 0,1 Prozent ihres Umsatzes rechnen. Mit diesen zum Teil drastischen Maßnahmen will Frankreich seinen Lebensmittelabfall bis 2030 um die Hälfte des heutigen Niveaus senken.

Gesetze erschweren Lebensmittelrettung

Geht Frankreich gesetzlich gegen die Lebensmittelverschwendung vor, so verhindern diverse Rechtsregelungen in der EU jedoch auch, dass noch brauchbare Lebensmittel an bedürftige Verbraucher oder einfach an Nutzer, die sich gegen den Überfluss und die Überangebote entschieden haben, zu verteilen.

So muss ein Bauer in Deutschland die Hälfte seiner angebauten Kartoffeln unterpflügen, da sie in Form und Aussehen nicht den Industrienormen entsprechen. Die Handelslobby bei der EU setzte durch, dass Gurken nur eine „bestimmte Krümmung“ haben dürfen – gerade Gurken lassen sich besser verpacken und transportieren, so die Begründung. Einsprüche gegen diese Verordnung scheiterten am Veto des deutschen Landwirtschaftsministeriums, das dem Druck großer Lebensmittelketten nachgegeben hatte.

Tonnenweise werden teuer aus Kamerun importierte Bananen vernichtet, weil sie „nicht mehr appetitlich“ aussahen. Dagegen kann sich die einheimische Bevölkerung in dem westafrikanischen Staat die Früchte nicht mehr leisten, da sie auf dem Markt wegen der großen Exporte selten und zu teuer geworden sind.

Nach bislang in Luxemburg noch geltendem Recht sind vom Handel Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, als Abfall zu entsorgen. Dass dies weder ökonomisch noch ökologisch oder gar ethisch verantwortbar ist, haben inzwischen auch die politisch Verantwortlichen erkannt. Mit der „Null Offal“-Kampagne und einem vom Landwirtschaftsministerium ausgeschriebenen Ideenwettbewerb will man nun gegen die Lebensmittelverschwendung vorgehen. Eine dieser Möglichkeiten, Nahrungsmittel, deren offizielles Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, dennoch an den Nutzer zu bringen, ist das Foodsharing.

monopol scholer
17. Januar 2021 - 12.51

Das ist ein Schlag ins Gesicht von Millionn Menschen, die weltweit hungern. So funktioniert die im Überfluss schwelgende Wegwerfgesellschaft.