Tageblatt: In Zeiten von Corona nimmt Homeoffice und Telearbeit zu. Gibt es signifikante Auswirkungen auf mögliche Isolation der Mitarbeiter bei andauernder Heimarbeit?
Dr. Philipp E. Sischka: Homeoffice in begrenztem Maß wirkt sich nicht auf gefühlte soziale Isolation und die Beziehung zu Kollegen aus. Wenn Homeoffice aber – wie in den verschiedenen Lockdown-Phasen der Corona-Pandemie – zum Dauerstand wird, kann dies tatsächlich zu einem verstärkten Gefühl sozialer und professioneller Isolation führen. Es gibt inzwischen zwar einige Informations- und Kommunikationstechnologien, die darauf ausgelegt sind, einen gewissen Grad an Intimität und sozialer Verbindung auch über Distanz zu gewährleisten, doch können diese ein Miteinander von Angesicht zu Angesicht nicht gänzlich ersetzen. Gefühlte Isolation kann wiederum zu erhöhtem Stress, geringerer Arbeitszufriedenheit, geringerem Arbeitsengagement und geringerer Arbeitsproduktivität führen. In dem Fall ist es wichtig, dass Vorgesetzte die Arbeitenden in Heimarbeit entsprechend unterstützen und versuchen, (informelle) Möglichkeiten des sozialen Austausches zwischen Kollegen zu schaffen. Bei aufkommenden Fragen sollten Arbeitsteams und Leiter stets erreichbar sein.
Homeoffice heißt in aktuellen Zeiten oft, dass aus der Not Arbeitsplätze geschaffen werden, die eigentlich weder arbeitsergonomisch noch technisch den Anforderungen moderner Büros entsprechen. Gibt es Erkenntnisse über Gesundheitsbeschwerden von Arbeitenden in der Heimarbeit?
Studien aus der Anfangszeit der Pandemie haben bei Arbeitenden im Homeoffice tatsächlich erhebliche Mängel bei der ergonomischen und arbeitstechnischen Einrichtung der Heimarbeitsplätze festgestellt. Das betraf unter anderem die Sitzposition, die Position der Bildschirme sowie die Nutzung von suboptimalen (Büro-)Stühlen. Damit einhergehend wurde ein Anstieg von Rücken- und Nackenschmerzen und generell Muskel-Skelett-Erkrankungen festgestellt. Einige Studien haben auf eine angemessene Homeoffice-Umgebung (z.B. ruhiger Arbeitsplatz, gute technologische Ausstattung) als zentralen Faktor für Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung im Homeoffice während der Covid-19-Pandemie hingewiesen. In einer von uns vorgenommenen Studie konnten wir jedoch feststellen, dass Arbeitnehmer, die nicht oder nur in sehr begrenztem Maße im Homeoffice arbeiten konnten und dabei auch noch unzureichenden Corona-Schutzmaßnahmen ausgesetzt waren, mit deutlich höheren psychischen und physischen Gesundheitsproblemen konfrontiert waren.
Neben vielen positiven Effekten wie Einsparung von Arbeitswegen ist jedoch im Homeoffice häufig auch eine Raumnot der Arbeitenden beobachtet worden. Sind Zusammenhänge zwischen Arbeit zu Hause und Stress in der Familie (Streit, Auseinandersetzungen, Gewalt gegen Frauen oder Kinder) bekannt? Haben diese Faktoren zugenommen?
Vor der Pandemie galt Homeoffice als ein Faktor, um Work-Life-Konflikte und damit Familienkonflikte zu reduzieren. Homeoffice war in den meisten Fällen eine freiwillige Angelegenheit und wurde vor allem von Arbeitnehmern genutzt, die zu Hause eine angemessene Arbeitsumgebung, z.B. ein eigenes Büro, hatten und nicht von Familienmitgliedern gestört wurden, oder diese störten. In der Pandemie ist nun aber das Arbeiten im Homeoffice mit dem Wegfall von Kinderbetreuungsmöglichkeiten zusammengefallen, sodass Arbeitnehmer teilweise im gleichen Raum arbeiten mussten, in dem Kinder spielten. Mitunter mussten arbeitende Eltern parallel auch die Kinder betreuen. Dementsprechend ist der Befund nicht überraschend, dass Arbeitnehmer mit Kindern und elterlichen Verpflichtungen deutlich unzufriedener mit der pandemiebedingten Homeoffice-Situation sind. Es gibt viele Studien, die einen Anstieg von Familienstreitigkeiten und Gewalt in der Familie in den verschiedenen Lockdown-Phasen feststellen. Coronabedingtes Homeoffice kann also vor allem dann zum Problem werden, wenn auch alle anderen Familienmitglieder gezwungen sind, zu Hause zu bleiben.
Homeoffice bedeutet auch häufig eigene Einteilung der Arbeitszeit. Ist gewährleistet, dass die gesetzliche Arbeitszeit eingehalten wird oder birgt Homeoffice Tendenzen zur Selbstausbeutung mit extensiver Arbeitszeitausdehnung in sich, wie sie auch bei Freiberuflern zu beobachten sind?
Einige Studien deuten darauf hin, dass Arbeitnehmer im Homeoffice länger arbeiten. Studien vor der Pandemie haben außerdem festgestellt, dass erhöhte Produktivität ein zentrales Motiv für den Wunsch nach Homeoffice war. Dies vor allem, wenn eingesparte Pendelzeit für die Arbeit genutzt werden konnte. Außerdem gibt es Hinweise, dass eine Tendenz zur Selbstausbeutung in der coronabedingten Homeoffice-Situation zugenommen hat. Zum Beispiel hat eine europaweite Studie festgestellt, dass zwischen Homeoffice und der Abnahme gemeldeter Krankschreibungstage ein Zusammenhang besteht. Das heißt, dass die Arbeitenden auch bei offensichtlicher Krankheit ihren beruflichen Tätigkeiten weiter nachgehen. Angst vor Anerkennungsverlust oder drohendem Arbeitsplatzverlust mag hierfür ausschlaggebend sein.
Wie wird sich der Charakter der Arbeit in Zukunft verändern? Sind neue gesetzliche Regelungen erforderlich und wird sich vielleicht auch die gewerkschaftliche Vertretung der Arbeitenden verändern?
Die kurzfristigen Effekte der Pandemie auf die Arbeitssituation sind schnell sichtbar und intensiv erforscht worden. Die langfristigen Folgen auf die Arbeitswelt sind jedoch deutlich schwerer abzusehen. Allerdings zeichnen sich ein paar Trends ab. Zum einen hat die Pandemie sehr viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit Homeoffice in Berührung gebracht, die vorher diesbezüglich sehr skeptisch waren. Auch wenn das Ausmaß an Homeoffice nach der Pandemie sicher wieder zurückgeht, wird es wohl deutlich über der Vor-Pandemie-Situation bleiben. Die Corona-Situation hat außerdem dazu geführt, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben weiter verschwommen sind, in dem die Pandemie eine Vielzahl an zusätzlichen arbeitstechnischen und privaten Anforderungen aufgeworfen hat. Dadurch ist es denkbar, dass die Flexibilität der Arbeit, – ein Trend, der schon vor der Corona-Situation bestand und durch die Pandemie weiter verstärkt wurde – weiter zunehmen wird. Diesem Trend werden sowohl die gesetzgebenden Organe als auch die Arbeitnehmervertretungen Rechnung tragen müssen.
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