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Ruhe und InnehaltenWas bedeutet Stille?

Ruhe und Innehalten / Was bedeutet Stille?
Der Anblick täuscht: Stille und Innehalten sind nicht einfach nichts. Neuropsychologisch betrachtet ist Stille ein Zustand höchster Konzentration. Foto: Unsplash

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Das Leben kehrt zurück, die Coronaregeln werden nach und nach aufgehoben. Besuche Restaurant, Sportstudio oder Schwimmbad sind wieder möglich. Wir sehnen uns nach Zerstreuung, Unterhaltung und auch Ablenkung. Doch die Momente der Ruhe und Einkehr, eben der Stille, sollten wir nicht vergessen. Aber was ist eigentlich die Stille, dieser Frage ging unsere Korrespondentin Elke Bunge nach.

Wir hatten sie lange, die Stille um uns herum. Vielleicht kam sie uns manchmal wie eine verlorene Zeit vor, fast wie ein Nichts. Doch Stille ist nicht einfach nichts. Neuropsychologisch betrachtet ist Stille ein Zustand höchster Konzentration. Physikalisch gesehen besteht sie aus Frequenzen, die wir messen können. Das kann auch praktisch genutzt werden: Bestimmte Geräusche suggerieren Stille, Lärm kann mit Lärm ausgeschaltet werden. Und wahre innere Stille lässt sich durch Meditation erreichen.

Einige von uns haben in der Zeit des Lockdowns vielleicht damit begonnen, andere eventuell schon vorher. Yoga- und Entspannungskurse können in Zeiten des Stresses und der Hektik ein wunderbarer Ausgleich sein. Für das Ziel, Ruhe und Entspannung zu finden, könnte eine Stunde folgendermaßen beginnen: „Wir atmen tief ein und aus, mit jedem Ausatmen geben wir unseren Körper mehr an den Boden ab. Wir konzentrieren uns auf den Stirnraum. Wie fühlt er sich an? Wie bewegt ist der Geist? Wir entspannen in die Breite, Höhe und Tiefe der Stirn. Verweilen Sie in diesem Gefühl der Entspannung. Wenn Gedanken, Gefühle, Erinnerungen oder innere Bilder auftauchen, lassen Sie sie vorbeiziehen wie Wolken am Himmel.“ Diese kleine Meditation ist für den Körper ein Moment der höchsten Konzentration. Anna Trökes, eine bekannte Yogalehrerin und Autorin vieler Bücher auf diesem Gebiet, schreibt in ihrem „Großen Yogabuch“: „Meditation kann nicht gemacht oder gar erzwungen werden. Wenn Sie das versuchen, werden Sie merken, dass Ihr Geist wie ein störrischer Esel steif und bockig wird.“ Sie schreibt weiter: „Meditation bedeutet im inneren Raum still werden.“

Tibetische Mönche meditieren für die Wissenschaft

Doch was heißt „still werden im inneren Raum“? Für diese Frage interessiert sich auch die Wissenschaft. Der amerikanische Neuropsychologe Richard Davidson machte an der University of Wisconsin in Madison beeindruckende Experimente. Mit hochempfindlichen Elektroenzephalogrammen (EEG) untersuchte er acht Menschen, die ihr Leben der Meditation gewidmet haben: Acht buddhistische Mönche des Dalai Lama erklärten sich zu den außerordentlichen Versuchsreihen bereit. Einer von ihnen ist Matthieu Ricard. Der gebürtige Franzose gilt als enger Vertrauter des Dalai Lama. Matthieu Ricard und Richard Davidson veröffentlichen gemeinsam ihre Ergebnisse. Sie zeigen, dass sich die Veränderungen im Gehirn während der Meditation durch Hirnstromanalysen messen lassen.

Dabei haben Wissenschaftler schon geraume Zeit nach einer Frequenz der Stille gesucht, sie aber in einem vollkommen anderen Bereich vermutet. Bislang achteten Forscher im EEG vor allem auf die sogenannten Alphawellen. Ihr Auftreten setzten sie mit „meditativer Entspannung“ gleich. Alphawellen entstehen, wenn man mit geschlossenen Augen vor sich hinträumt. Sie haben eine Frequenz zwischen 8 und 13 Hertz. Beim Schlafen gehen sie dann in Thetawellen mit einer Frequenz von 4 bis 8 Hertz über. In diesem Frequenzbereich ließen sich jedoch keine fundamentalen Veränderungen feststellen.

Bahnbrechende Entdeckung im Bereich der Gammawellen

Bei den Untersuchungen mit den tibetischen Mönchen legte man das Augenmerk jedoch auf einen völlig anderen Wellenbereich: die Gammawellen. Dies sind Hirnströme über 30 Hertz, die vor allem bei kognitiven Höchstleistungen produziert werden. In diesem Bereich konnten die Wissenschaftler eine bahnbrechende Entdeckung machen. Matthieu Ricard, der nicht nur buddhistischer Mönch, sondern auch studierter Molekularbiologe mit Promotion in Zellulargenetik ist, meditierte unter wissenschaftlichen Bedingungen. Die Elektroden eines EEG waren während der geistigen Übung an seinem Kopf angebracht und notierten seine Hirnströme: Es kam zu einem signifikanten Ausschlag auf das Dreißigfache im Bereich der Gammawellen. Auch bei den anderen sieben tibetischen Mönchen, die seit mehr als 15 Jahren ihr Leben dem mentalen Training und der Meditation gewidmet haben, ließen sich diese Beobachtungen machen.

Das EEG der Erleuchtung oder die Schwingung der Stille

Professor Ulrich Ott vom Bender Institute of Neuroimaging in Gießen bezeichnet die Ergebnisse als „das EEG der Erleuchtung“. Der signifikante Ausschlag im Bereich der Gammawellen nennt er „die Schwingung der Stille“. So entspannt ein buddhistischer Mönch wirken mag, sein Gehirn ist während der Meditation keineswegs abgeschaltet. Im Gegenteil: Im Moment der Versenkung herrscht höchste Aufmerksamkeit.

„Still werden im inneren Raum“, wie Anna Trökes die Meditation beschreibt, bedeutet nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen also einen Moment höchster innerer Konzentration, in der jede Nervenzelle eine hochfrequente Schwingung aussendet.

Der Gleichklang der Schwingungen ist entscheidend

Aber noch in einem weiteren Punkt sind sich die Wissenschaftler einig: Im Moment der inneren Einkehr entsteht ein Gleichklang der einzelnen Schwingungen, die dem Gehirn entströmen. Dieser Gleichklang hochfrequenter Schwingungen, so glauben die Forscher heute, ist verantwortlich für das Gefühl vollkommener innerer Zufriedenheit. Meditation und innere Stille sind also ein Moment der höchsten inneren Konzentration und des Sich-bewusst-werdens.

Innere Stille ist somit eine Frequenz, die die Neuronen in unterschiedlichen Hirnarealen im Gleichtakt aussenden. Sie ist kein Geschenk, sondern will mit Muße erlernt werden. Erlernt werden in einer Zeit, in der Stille ein immer seltener gewordenes Gut ist. Von außen dringen Unruhe, Hektik und Stress auf uns ein. Die Städte werden größer und lauter, die Arbeit immer aufreibender und belastender, die Menschen sind überreizt und nervös. Erschöpft von den Belastungen des Alltags, sehnen wir uns nach innerem Einklang und nach Ruhe. Die Stille lässt sich durch Yoga und Meditation wieder hervorrufen.