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EditorialWarum wir uns nicht von Schwurblern erpressen lassen

Editorial / Warum wir uns nicht von Schwurblern erpressen lassen
Die Schwurbelszene verwechselt Meinungsfreiheit mit Kritikfreiheit: Sie bedeutet nicht, dass Unsinn unwidersprochen bleiben muss. Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Die Schwurbelszene koordiniert sich: Dr. Benoît Ochs, Bas Schagen und Sacha Borsellini setzen das Tageblatt juristisch unter Druck. Warum wir weiter kritisch berichten werden.

Wünsch dir was: So lassen sich die Forderungen der drei Herren zusammenfassen. Am 15. Dezember 2021 flattern drei Anwaltsschreiben beim Tageblatt ins Haus. Die einleitenden Paragrafen sind identisch. Sinngemäß lautet der Vorwurf: Ein kritischer Artikel über Luxemburgs Antivax-Szene sei „mensonger, injurieux, diffamatoire et attentatoire“. Ochs und Schagen fordern jeweils 150.000 Euro Schadensersatz, Borsellini belässt es bei 50.000 Euro.

Das Ziel ist klar: Juristisch drohen und ggf. klagen, damit wir schweigen. Unliebsame Journalist:innen sollen eingeschüchtert, das Luxemburger Justizsystem missbraucht werden. Dieses Vorgehen kennt man aus dem Ausland. Es werden Drohungen und Klagen formuliert, die möglicherweise juristisch aussichtslos sind, deren Zweck aber ohnehin ein ganz anderer ist: Journalist:innen sollen an ihrer Arbeit gehindert werden. Insbesondere der Vorwurf der Verleumdung ist beliebt, wenn zivilrechtliche Schadensersatzforderungen erhoben werden.

Es verändert sich demnach etwas in Luxemburg. Die Radikalisierung der Schwurbelszene geht mit einem neuen Feindbild einher: dem/der Journalist:in. Juristischer Beistand oder Klagen zielen nicht mehr darauf ab, Fehler zu korrigieren oder den Ruf einer Person wiederherzustellen – es geht einzig und allein darum, Kolleg:innen durch Juristerei und Bürokratie so lange weichzukochen, bis ihre kritische Stimme verstummt. Die übertriebenen Forderungen, die sich auf insgesamt 350.000 Euro belaufen, sind ein Paradebeispiel dafür, wozu die Luxemburger Szene inzwischen bereit ist. Gehen wir ihren Vorwürfen also auf den Grund.

Im Folgenden kontextualisieren wir einige Kritikpunkte. So meint Bas Schagen sinngemäß, das Wort Schwurbler werde „bösartig“ verwendet: Er sei ein „friedliebender Mensch“. Im gleichen Satz wird jedoch den sogenannten „Mainstream“-Medien unterstellt, „einseitig“ und „nicht hinterfragend“ zu berichten. Die Krönung: Die staatliche Pressehilfe wird unterschwellig als Ursache für diese angebliche Kritiklosigkeit bemüht. Schagens Medienschelte endet mit „Ein Schelm wer Böses dabei denkt“. Das Ironische: Es sind genau diese Stilmittel, die für die radikalisierte Schwurblerszene typisch sind. Sie knüpfen an die „Lügenpresse“-Rhetorik der Querdenker an – eine Ideologie, die im Ausland den Schulterschluss zum Rechtsextremismus vollzogen hat.

Bei Benoît Ochs ist das Ganze ein wenig subtiler – aber inhaltlich genauso falsch. So behauptet der Mediziner beispielsweise, das Entwurmungsmittel Ivermectin sei ein „weltweit erprobtes Medikament gegen einen schweren Verlauf von COVID-19, das aus Gründen, die die Politik der Bevölkerung vorenthält, nicht zugelassen ist“. Auch hier: Es werden konspirative politische Kräfte bemüht und unterstellt, der Forschungsstand sei eindeutig. Ein wenig weiter beruft sich der Arzt auf eine „kürzlich publizierte Metastudie“, die zeige, dass das Medikament eine „statistisch relevante Verbesserung des Zustandes der Patienten“ bewirke. Liest man die eingängige Faktencheck-Literatur zum Thema, zeigt sich: Ochs liegt schlicht und ergreifend daneben. Der Forschungsstand zu Ivermectin ist nämlich diffus.

Es gibt nicht nur eine, sondern mehrere Meta-Analysen, die Einzeluntersuchungen zusammenfassen. Und keine dieser Übersichtsstudien ist z.B. laut der investigativen Plattform Correctiv zur Erkenntnis gelangt, dass ein Nutzen gegen Covid-19 erkennbar sei. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und das Robert-Koch-Institut (RKI) kommen zur gleichen Feststellung. Auch die US-Arzneimittelbehörde twittert, man solle die Finger von einem Medikament lassen, das Tieren verabreicht werde. Ein Ratschlag, den auch Sie, Dr. Ochs, befolgen sollten, statt Journalist:innen unter Druck zu setzen: „Ihr seid kein Pferd. Ihr seid keine Kuh. Im Ernst, Leute. Lasst es sein.“


Hier der Original-Artikel zum Nachlesen: Das sind Luxemburgs gefährliche Schwurbel-Influencer

16.12.2021, 14:00 Uhr: Wir bedanken uns für die unglaubliche Solidarität mit dem Tageblatt. Wenn Sie kritischen Journalismus unterstützen wollen, hier der einfachste Weg: Support Tageblatt.