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Ratgeber GesundheitWarum die Schulter so anfällig ist

Ratgeber Gesundheit / Warum die Schulter so anfällig ist
Schmerzen in der Schulter gehören zu den häufigsten orthopädischen Beschwerden unserer Zivilisationsgesellschaft  Symbolbild: Freepik

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Schulterverletzungen und Gelenkerkrankungen gehören zu den häufigsten orthopädischen Beschwerden unserer Zivilisationsgesellschaft. Der Frage, warum gerade das Gelenk, das unsere oberen Extremitäten mit dem Körper verbindet, so anfällig ist, ging unsere Korrespondentin Elke Bunge mit Unterstützung des erfahrenen Orthopäden und Sportmediziners Dr. Wolfgang Menke nach.

Wir heutigen Menschen sind das Jahrtausende währende evolutionäre Produkt der Natur. Unsere Gattung gehört zu den Säugetieren, die ersten Exemplare der Humanoiden richteten sich nach langen Zeitläufen vom Vierfüßlergang auf. Zeichnungen in Lehrbüchern zeigen die Entwicklungsstufen des Menschen bis zum aufrechten Gang. Karikaturen dieser wissenschaftlichen Darstellung hingegen verweisen darauf, dass wir zu Zeiten der Schreibtischarbeit wieder um Entwicklungsstufen zurückfallen: Der Rücken verkrümmt sich wieder, die Muskeln des Oberkörpers verfallen. Der gesamte Stütz- und Bewegungsapparat des Menschen in der modernen Zivilgesellschaft ist für orthopädische Krankheiten deutlich anfälliger, als noch zu Zeiten, da die Menschen als Bauern, Handwerker oder auch noch als Industriearbeiter körperliche Tätigkeiten verrichteten und somit ihre Muskeln ganzheitlich trainierten.

Schon vor Jahren untersuchten Evolutionsbiologen der kanadischen Simon Fraser University die Problematik, warum die rasche Entwicklung zum aufrechten Gang die Gesundheit des modernen Menschen stark beeinträchtigt. „Wir haben uns gefragt, warum Menschen im Vergleich zu anderen Primaten so häufig an Rückenproblemen leiden“, erklärte Studienleiterin Kimberly Plomp. Ergebnis: Unser zweibeiniger Gang belastet den Rücken mehr als die vierbeinige Fortbewegung unserer evolutionären Verwandten, den Affen.

Professor Dr. Wolfgang Menke
Professor Dr. Wolfgang Menke Foto: Privat

Dies betrifft jedoch nicht nur die sich im Laufe der Entwicklung aufgerichtete Wirbelsäule. Vor allem auch der ganze Schulterbereich hat sich gegenüber den auf vier Pfoten laufenden Säugetieren verändert.

Säugetiere benutzen Wechselgelenk

Zwar ist der Schultergelenkaufbau bei den Vierfüßlern ähnlich dem des Menschen, doch sind die Bewegungsabläufe anders geartet. Das Schultergelenk beim Säugetier ist auch als Kugelgelenk und somit vielachsig angelegt. Doch aufgrund der anatomischen Besonderheiten der Fortbewegung ist es wie ein Wechselgelenk, ähnlich einem Kniegelenk zu betrachten. In seinen Vorwärtsbewegungen kann das Schultergelenk beim Säugetier die vordere Extremität etwa 80 Grad nach vorn und etwa 145 nach hinten bewegen. Seitwärts sind die Bewegungsmöglichkeiten des Vierfüßlers deutlich eingeschränkter. Abspreizbewegungen (Abduktionen) sind auch aufgrund des Sehnenaufbaus nur in horizontaler Richtung möglich.

Menschen brauchen ein universales Kugelgelenk

Der Arm ist im Schultergelenk am Schulterblatt aufgehängt und diese ist wiederum Teil des Schultergürtels, der beweglich mit dem Rumpf verbunden ist. Daraus resultiert ein enormer Bewegungsumfang, der auf der Vorderseite des Körpers noch weit über den Radius einer Halbkugel hinausgeht.

Das seitliche Anheben des Armes über die Horizontale ist eine Komplexbewegung des gesamten Schultergürtels. In der ersten Phase bis etwa 60 Grad dreht sich der Oberarmkopf im Schultergelenk, bis 120 Grad dreht sich das Schulterblatt mit. Darüber hinaus neigt sich der Rumpf zur Gegenseite mit, bis die vollen 180 Grad erreicht werden. Damit ist das Schultergelenk das beweglichste Gelenk des Menschen. Es ist aber auch das Gelenk, das am häufigsten von einer Verrenkung oder Luxation betroffen ist.

Die Beweglichkeit des Schultergelenks in der Frontalebene und in der Seitebene ist vergleichbar groß, sodass sich ein drei-dimensionaler Bewegungsumfang mit dem Radius einer Halbkugel ergibt.

Um diesen Gelenkkomplex zu stabilisieren ist ein mehrschichtiger Muskelmantel erforderlich, der zum einen den Schultergürtel hält und bewegt und zum anderen das eigentliche Schultergelenk stabilisiert und den Arm bewegt. Die Stabilität des Schultergelenks wird von der Gelenkkapsel, Bändern und den inneren Schultermuskeln sichergestellt. Weitere Hilfsstrukturen sind Schleimbeutel sowie die lange Bizepssehne, die als Teil der Gelenkkapsel über den Oberarmkopf bis an den oberen Pfannenrand verläuft.

Ohne Muskelaufbau läuft nichts

Mit dem aufrechten Gang und dem damit verbundenen Freiwerden der vorderen Extremitäten für andere Tätigkeiten als der Fortbewegung haben sich für die Menschen völlig neue (Bewegungs-)Möglichkeiten ergeben. Schon die ersten Humanoiden konnten nach Früchten greifen, Holzknüppel als Hilfsmittel und auch als Jagd- und Wehrwaffen nutzen. Im Verlaufe der Menschheitsgeschichte verfeinerte sich die Bewegungsoption unseres Schulter-Arm-Komplexes immer mehr, so dass wir heute in der Lage sind, sowohl schwere körperliche Arbeiten verrichten als auch grazile Tanzbewegungen im klassischen Ballett darbieten zu können. Von allen anderen alltäglichen Bewegungsabläufen, die wir bewusst eigentlich nur im Schmerzzustand wahrnehmen, einmal abgesehen.

Der gesamte Muskel-Sehnen-Skelettkomplex ist auf die Vorwärtsbewegung ausgerichtet. Entsprechend sind auch die Gelenkkapseln mit Schleimbeuteln und Knorpeln (Labrum) so ausgebildet, dass das Schultergelenk weitgehend geschützt ist.

Zusammenspiel der Schultermuskeln beim Anheben des Armes. Der Deltamuskel (1) zieht den Arm nach oben, der Supraspinatusmuskel (2) rollt sich auf dem Oberarmkopf wie auf einer Seilwinde ab und der zwischengelagerte Schleimbeutel (3) dient als Gleitlager
Zusammenspiel der Schultermuskeln beim Anheben des Armes. Der Deltamuskel (1) zieht den Arm nach oben, der Supraspinatusmuskel (2) rollt sich auf dem Oberarmkopf wie auf einer Seilwinde ab und der zwischengelagerte Schleimbeutel (3) dient als Gleitlager Illustration: Prof. Dr. Wolfgang Menke

Um diese Bewegungen zu gewährleisten, hat sich ein in der Regel gut funktionierender Muskelapparat gebildet. Die Abspreizbewegung des Armes in der Schulter wird im Wesentlichen durch den Deltamuskel und den über dem Oberkopf liegenden Supraspinatusmuskel ausgeführt. Während der Deltamuskel seitlich am Oberarm ansetzt und den Arm kraftvoll nach oben zieht, dreht der Supraspinatusmuskel den Oberarmkopf einwärts und verhindert, dass dieser nach oben unter das Schulterdach gepresst wird. Des Weiteren ist natürlich auch eine ausgeprägte Rückenmuskulatur im Zusammenspiel mit der Schulter für ein reibungsloses Funktionieren vonnöten.

Es gehört zu den vielfältigen negativen Begleiterscheinungen unserer „modernen“ Zivilisation dazu, dass wir unseren Muskel- und Bewegungsapparat im Alltag immer weniger trainieren. Welche Beschwerden sich hieraus einstellen können, zeigen Wolfgang Menke und Elke Bunge im nebenstehenden Beitrag auf.