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TripartiteWarum das Abkommen den Verlust mehrerer Indextranchen bedeuten kann

Tripartite / Warum das Abkommen den Verlust mehrerer Indextranchen bedeuten kann
Bei der Unterzeichnung des Abkommens war nicht mehr jeder Verhandlungsteilnehmer mit dabei Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Warum das umstrittene Ergebnis der Tripartite, der sogenannte „Solidaritéitspak“, den durchschnittlichen Luxemburger Arbeitnehmer mehr Kaufkraft kosten kann als angenommen. Eine kommentierende Analyse.

Nach guter, traditioneller Luxemburger Manier saßen Ende März die Sozialpartner (Arbeitnehmer, Patronat und Regierung) für Verhandlungen beieinander. Thema der Diskussion waren die seit einigen Monaten anhaltenden Preissteigerungen bei Energie sowie die Schwierigkeiten in den weltweiten Lieferketten, die nun durch den Krieg in der Ukraine noch weiter wachsen werden. Prinzipiell für Land, Leute und Wirtschaft eine gute Initiative.

Etwas überraschend war jedoch das Resultat: Obwohl die Regierung bereit war, viel Geld auf den Tisch zu legen, und alle anderen Beteiligten den Vorschlägen zustimmten, hat sich die größte Gewerkschaft des Landes entschieden, das Abkommen nicht mitzutragen.

Man habe sich geweigert zu unterzeichnen, weil man der Regierung keinen Blankoscheck für eine Indexmanipulation bis 2024 ausstellen wollte, so der OGBL einige Tage später in einer erklärenden Pressemitteilung. Fast alle Arbeitnehmer, Rentner und ihrer Familien würden durch dieses Abkommen an Kaufkraft verlieren, so die Gewerkschaft. Auch könne sie nicht akzeptieren, dass massive Hilfen für Unternehmen, die nicht zielgerichtet sind, durch die Verschiebung mehrerer Indextranchen finanziert werden. Es handele sich „um nichts anderes als eine große Umverteilungsaktion von unten nach oben.“

Irreführende Aussagen zur Kaufkraft der Haushalte

Bei der Regierung hört sich das alles ganz anders an. „Das Abkommen, das von der Regierung, der UEL sowie den Gewerkschaften LCGB und CGFP getragen wird, führt eine Reihe von Maßnahmen ein, um die Auswirkungen des derzeitigen Inflationsdrucks sowohl auf die Unternehmen als auch auf die Haushalte abzumildern“, heißt es in der betreffenden Pressemitteilung. Das Maßnahmenpaket enthalte auf der einen Seite Hilfen für Unternehmen, darunter einige speziell für die Energiewende, und auf der anderen Seite Maßnahmen zur Förderung der Kaufkraft der Haushalte.

Diese offizielle Pressemitteilung ist jedoch, gelinde gesagt, irreführend. Der erste Punkt im Kapitel „Förderung der Kaufkraft“ im Abkommen ist die Verschiebung der Indextranche (die laut Statec-Schätzung im August 2022 fällig werden soll) auf April 2023. Wie jedoch eine Nicht-Anpassung der Gehälter an die Preissteigerungen für mehr Kaufkraft sorgen soll, sagt die Regierung nicht. 

In den folgenden Abschnitten des Kapitels erklärt die Regierung dann, wie sie welche Arbeitnehmer für die Verschiebung der Indextranche entschädigen will. Insgesamt 440 Millionen Euro will sich der Staat die sozial gestaffelten Kompensationsmaßnahmen kosten lassen.

Tweet von Luxemburgs Premierminister
Tweet von Luxemburgs Premierminister Screenshot: Twitter

Laut einem Tweet von Premierminister Xavier Bettel würden letztendlich „alle Haushalte mehr Kaufkraft zur Verfügung haben“. Das ist derweil mehr als nur irreführend. Der Großteil der Bevölkerung wird nach den Maßnahmen nämlich weniger Geld zur Verfügung haben, als es ohne Maßnahmen der Fall gewesen wäre.

Ein Deal mit vielen Ungewissheiten

Am gefährlichsten für die Arbeitnehmer ist jedoch nicht die Verschiebung einer Indextranche, sondern das im Abkommen festgehaltene Versprechen an die Unternehmen, dass jede zusätzliche Indextranche, die 2023 noch fallen könnte, auch um zwölf Monate, also ins Jahr 2024, verschoben würde. Dabei ist es heute unmöglich vorherzusagen, wie viele weitere Indextranchen zwischen heute und Ende 2023 noch fallen werden.

Das Abkommen dürfte auf den aktuellen Statec-Prognosen zur Inflationsrate basieren. Diese sehen vor, dass die Inflationsrate dieses Jahr bei 4,4 Prozent liegen soll und dann 2023 auf 1,3 Prozent fallen soll. Das würde zwei Tranchen im Jahr 2022 (April und August) und keine für 2023 bedeuten.

Letzten Endes dürfte es aber nur eine Frage der Zeit sein, bis die aktuellen Statec-Prognosen nach oben revidiert werden. Das liegt im Trend der Zeit. Im Dezember 2021 hatten die Statistiker für 2022 erst mit einer Geldentwertungsrate von 2,5 Prozent gerechnet. In den Monaten Februar und März lag die Jahresinflationsrate hierzulande dann jedoch bei über 6 Prozent. Ein Schelm, wer da nicht mit einer höheren Inflationsrate (und dementsprechend mehr Indextranchen) rechnet.

Inflationsrate steigt weiter

Auch europaweit werden die Inflationserwartungen immer weiter in die Höhe geschraubt. Die Volkswirte von Europas Zentralbank rechnen für 2022 mittlerweile mit einer durchschnittlichen Teuerungsrate von 5,1 Prozent. Noch im Dezember waren sie von 3,2 Prozent ausgegangen. Im Jahr 2023 rechnen sie nun mit einer Inflationsrate von 2,1 (bisher 1,8) Prozent. Andere Experten gehen von noch viel höheren Zahlen aus. Für 2022 und 2023. Dabei werden die Preise nicht nur von der Post-Corona-Konjunktur und dem Krieg angeheizt. Zudem wird auch geldpolitisch nicht viel gegen die steigenden Preise unternommen.

Letztendlich könnte der OGBL also recht behalten, wenn er von der „Verschiebung mehrerer Indextranchen“ spricht, für die das nun ausgehandelte Abkommen grünes Licht gegeben habe. Unterzeichnet wurde ein Papier, das viele Ungewissheiten enthält. Niemand kann heute sagen, wie viele Tranchen mehr als die zwei vorgesehenen in den Jahren 2022/23 fällig werden.

Screenshot aus dem sogenannten „Solidaritéitspak“
Screenshot aus dem sogenannten „Solidaritéitspak“

Gleichzeitig bleibt ungewiss, ob die zusätzlich bis ins Jahr 2024 verschobenen Tranchen überhaupt jemals ausbezahlt werden. Das unterzeichnete Abkommen gilt nämlich nur bis Ende 2023. Wird sich die Regierung, die 2024 im Amt ist, dem dann bereits abgelaufenen Abkommen noch verpflichtet fühlen? Oder riskieren die Arbeitnehmer einfach den kompletten Verlust von ein oder zwei Indextranchen? Im Fall von zusätzlich anfallenden Tranchen „wäre ein Ausgleich für den Kaufkraftverlust vorzusehen“, heißt es. In dem Falle würde eine neue Tripartite einberufen. Die Verschiebung von zusätzlich anfallenden Tranchen ist im Deal bereits enthalten – die gesicherte Auszahlung aber nicht.

Sensibilität für Index und Kaufkraft

Auf Twitter wird an die Geschichte erinnert
Auf Twitter wird an die Geschichte erinnert Screenshot: Twitter

Die politischen Parteien müssen sich jedenfalls in Acht nehmen. Wenn die Inflationsrate weiter so hoch bleibt, könnte es im Wahljahr 2023 zu Konflikten über die Auszahlung von Indextranchen kommen. Und wenn es um die Kaufkraft der Gehälter geht, versteht der Luxemburger Arbeitnehmer für gewöhnlich keinen Spaß.

Das hatte sich vor fast genau 40 Jahren gezeigt, als am 27. März 1982 mehr als 30.000 Menschen dem gemeinsamen Aufruf der Gewerkschaften gefolgt waren, um gegen Indexmanipulationen zu demonstrieren. Eine Woche später folgte ein Generalstreik, dem sich etwa 80.000 Beschäftigte angeschlossen hatten. Die Regierung änderte ihre Ankündigungen nicht. Bei den Wahlen von 1984 kam es dann zu einem Koalitionswechsel und das normale Funktionieren des Index wurde wieder hergestellt.

An dieser Sensibilität für Index und Kaufkraft hat sich auch Jahre später nichts geändert. Am 16. Mai 2009 gingen, dem Ruf der Gewerkschaften folgend, erneut rund 30.000 Menschen gegen Sozialabbau und Indexmodulierung auf die Straße. Ob die beiden anderen Gewerkschaften 2023 dann wohl mit gegen das von ihnen unterzeichnete Abkommen protestieren werden?

Auch in der Politik wird an die Vergangenheit erinnert
Auch in der Politik wird an die Vergangenheit erinnert Screenshot: Twitter

Weiter gesteigert wird das Unverständnis über die millionenschweren Hilfen für Unternehmen, während die Wirtschaft zwar mit schwierigen Umständen zu kämpfen hat – aber in keiner Rezession ist. Für dieses Jahr rechnet Statec, nach einer rekordträchtigen Wachstumsrate von 6,9 Prozent im Jahr 2021, mit einem weiteren Zuwachs der Wirtschaftsleistung um weitere 3,5 Prozent. Der Arbeitsmarkt boomt. Die Beschäftigung soll 2022 wieder um starke 3,5 Prozent wachen. Der Nettogewinn der Luxemburger Banken ist letztes Jahr um mehr als 30 Prozent auf über 4 Milliarden Euro gestiegen.

Nach einer schweren Rezession, in der sich die Arbeitnehmer mit den Firmen solidarisch zeigen müssen, wie etwa während der Stahlkrise, klingt das nicht. Trotzdem sieht die Regierung es scheinbar als notwendig an, dass sich sowohl der Staat als auch die Arbeitnehmer gegenüber den Unternehmen solidarisch zeigen. Es wundert nicht, dass sich beim OGBL im Laufe der Verhandlungen der Eindruck gefestigt hat, es sei der Regierung von Anfang an nur um eine Modulierung des Index gegangen. Es drängt sich die Frage auf, was die Regierung wohl vorgeschlagen hätte, wenn das Land wirklich in einer Wirtschaftskrise wäre?

Das geplante Maßnahmenpaket
Das geplante Maßnahmenpaket  Screenshot: Twitter

Dass die Entwicklung der Produktivität wie auch die Vorhersehbarkeit der Kosten für die Unternehmen überaus wichtig sind, wird von niemandem bestritten. Auch dass manche Firmen stark unter der aktuellen Lage leiden, wird nicht infrage gestellt. Dafür werden sie ein Hilfspaket von 225 Millionen Euro erhalten. Bestritten wird aber, ob die Gesamtheit der Betriebe, Banken und Konzerne hierzulande wirklich Hilfen benötigt.

Weder sozial gerecht noch klimafreundlich

Als Krönung des Ganzen folgt dann der drittgrößte Teil des Pakets. Satte 75 Millionen Euro sind vorgesehen, um den Kauf des Liters Kraftstoff etwas billiger zu gestalten. Eine Beihilfe, die weder sozial gerecht noch klimafreundlich ist. Wer mit größten Autos fährt, erhält mehr Geld vom Staat. Am Ende der Maßnahme bleibt nur dicke Luft und höhere Schulden. Alle anderen Maßnahmen fallen zusammengerechnet mit 21,5 Millionen Euro kaum mehr ins Gewicht.

Politische Kommentare auf Twitter
Politische Kommentare auf Twitter Screenshot: Twitter

Auf wie vielen Dächern hätte man für 75 Millionen Solaranlagen installieren können? Warum wird das Geld nicht verwendet, um, sagen wir, in zwei Jahren 10 Prozent des Stromverbrauchs mit Solarenergie zu decken. Das Potenzial ist auch hierzulande da, der Nutzen auch. Aktuell ist Luxemburg zu 92,5 Prozent vom gesamten Energieverbrauch abhängig von Importen, aber auch zu satten 80,7 Prozent allein beim verbrauchten Strom.

Belastung für zukünftige Generationen

In der betreffenden Debatte im Parlament, welches das Maßnahmenpaket mit großer Mehrheit abgesegnet hat, hatten sich die gleichen Widersprüche widergespiegelt. Während die vier großen Parteien hochtrabende Mundbekenntnisse zu Tripartite und Index ablegten, wunderten sich Linke, Piraten und ADR, warum dann beides geschwächt werde. Man hätte an so vielen Schrauben drehen können, bevor man an den Index geht, der doch sogar ein „Verkaufsargument“ für den sozialen Frieden am Standort Luxemburg sei, sagte beispielsweise Fernand Kartheiser. Hätte man nicht lieber den Index lassen sollen, und die Unternehmen direkt unterstützen sollen?

Das Ergebnis der Verhandlungen wird zudem nicht nur die Kaufkraft der Arbeitnehmer schwächen. Um die Allgemeinheit der Betriebe und Konzerne mit der „Gießkanne“ zu unterstützen, muss der Staat nämlich zusätzliche Schulden aufnehmen. Insgesamt 837 Millionen Euro will sich die Regierung allein die angekündigten Maßnahmen kosten lassen. Dies wird die Luxemburger Staatsfinanzen spürbar verschlechtern, und das, obwohl die Steuereinnahmen seit Monaten, wegen der guten wirtschaftlichen Lage, am Boomen sind. „Eigentlich war für 2022 ein Defizit von 1,2 Milliarden vorgesehen“, hatte Finanzministerin Yuriko Backes mitgeteilt. „In der aktuellen Situation aber erwarten wir nun eher ein Defizit von fast zwei Milliarden Euro.“ Um die Rückzahlung dürfen sich dann wohl zukünftige Generationen kümmern.

Entwicklung der Staatsfinanzen – wie sie im Oktober 2021 geplant wurde. 2022 dürfte sich das Defizit nun deutlich vergrößern.
Entwicklung der Staatsfinanzen – wie sie im Oktober 2021 geplant wurde. 2022 dürfte sich das Defizit nun deutlich vergrößern.