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Von ungerechtfertigten Annahmen

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Atombomben haben keinen Frieden geschaffen. Vielmehr ist es glücklichen Umständen zu verdanken, dass die Welt einer atomaren Katastrophe entging.

Atombomben haben keinen Frieden geschaffen. Vielmehr ist es glücklichen Umständen zu verdanken, dass die Welt einer atomaren Katastrophe entging.

Von Raymond Becker*

„Die atomare Abschreckung basiert auf einer Vielzahl ungerechtfertigter Annahmen, unbewiesener Behauptungen und logischer Widersprüche. Sie verhindert das rationale Nachdenken über das eigentliche Ziel der nationalen Sicherheit: das Überleben der Nation sicherzustellen.“ – George Lee Butler, ehemaliger General der US Air Force und militärischer Oberbefehlshaber der US-amerikanischen Nuklearstreitkräfte.

Was bewegte diesen ranghohen militärischen Befehlshaber zu dieser Aussage? Die bis dato sakrosankte, in gebetsmühlenartigem Stakkato vorgetragene Behauptung, die Atomwaffen wären ein wesentlicher Teil unserer Sicherheit, so infrage zu stellen. Sind es nur Legenden, die unsere Wahrnehmung vernebeln und bisher eine breite öffentliche Diskussion verhinderten? Diese Diskussion muss aber in der Zivilgesellschaft geführt
werden.

Über die Zukunft der Atomwaffen darf nicht länger nur in geschlossenen Zirkeln von Politik, Militär und nicht zu unterschätzen in militärisch-industriellen Komplexen diskutiert werden. Diese sind in ihren Gedanken festgefahren. Es ist die Zivilgesellschaft, die handeln muss, um den „gordischen Knoten“ der Atomwaffen zu lösen.

Versuchen wir mit zwei Fragestellungen, welche die bekanntesten Argumente der Atomwaffenbefürworter beinhalten, die Aussage des Vier-Sterne-Generals zu verdeutlichen.

Beendeten Atombomben den Zweiten Weltkrieg?

Das wohl bekannteste Argument ist, dass im August 1945 die bisher einzigen in einem Konflikt eingesetzten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki den Zweiten Weltkrieg definitiv beendeten. Der Schock und die Angst der damaligen japanischen Herrscher wären aufgrund dieser Bomben so hoch gewesen, dass sie bedingungslos kapitulierten. Gute 70 Jahre später und nach Öffnung mancher Archive lässt sich nachweisen, dass die Sachlage so nicht zutrifft.

Der Grund für die Kapitulation Japans lag im Kern in dem historischen Jalta-Treffen der USA, Großbritannien und der Sowjetunion. Auf dieser Konferenz im Februar 1945 gab die Sowjetunion die Zusage, in den Krieg gegen Japan einzutreten. Eine lange vorbereitete Invasion der sowjetischen Truppen begann um Mitternacht am 9. August 1945. Genau wie Nazi-Deutschland sich nicht durch die Bombardierung seiner Städte wie beispielsweise Dresden zur Kapitulation entschied, entschied sich das japanische Kaiserreich ebenfalls nicht zur Kapitulation seiner im Sommer 1945 durch Bombenhagel zerstörten 68 Städte.

In Kriegslogik wird nur kapituliert, wenn die eigenen militärischen Mittel versagen oder diese den Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Es war im Endeffekt die sowjetische Invasion, die das Kaiserreich zu einem radikalen Meinungsumschwung bewegte und zu der bedingungslosen Kapitulation Japans führte. Bis zuletzt hatte das Kaiserreich, aufgrund eines 1941 beschlossenen Neutralitätspakts mit der Sowjetunion, auf dessen Vermittlerrolle gesetzt.

So mancher Friedensforscher ist der Ansicht, dass die USA mit dem Abwurf der beiden Atombomben vor allem zwei Dinge beabsichtigten: einerseits sich die Kapitulation Japans alleine zuzuschreiben. So wie der Seattle Post-Intelligencer „Reports on Japan’s surrender after the U.S. dropped atomic bombs on Hiroshima and Nagasaki“ titelte, berichteten damals alle Medien im ähnlichen Wortlaut. Andererseits einer immer mehr misstrauisch beäugten Sowjetunion zu signalisieren, welche militärischen Mittel man damals als noch alleinige Atommacht besaß.

Die beiden Atombomben im August 1945 waren aber für etwas ganz klar verantwortlich: dem bis zum heutigen Tag andauernden verrückten atomaren Wettrüsten.

Hat die Atombombe uns über 70 Jahre Frieden beschert?

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (Foto) sprach auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz offen von nuklearer Abschreckung als Strategie der Allianz gegenüber Russland. Die NATO-Staaten bräuchten einfach die Rückendeckung durch eine „sichere und verlässliche nukleare Abschreckung“. Es ist diese Art von Mantra, die uns immer wieder seit Jahrzehnten vermittelt: Die Atombombe hat uns über 70 Jahre Frieden beschert.

Der frühere US-amerikanische Verteidigungsminister Robert McNamara ist formell: In den vergangenen 70 Jahren des Atomwaffenzeitalters gab es mindestens 20 prekäre Situationen, in denen die Welt am Rande eines Atomkrieges stand. Allein durch „sehr glückliche Umstände und Zufälligkeiten“, wie McNamara formulierte, entging die Welt bisher einer atomaren Katastrophe. J.F. Kennedys Verteidigungsminister war von einer fast hundertprozentigen Wahrscheinlichkeit überzeugt, dass die Kombination von menschlicher Fehlbarkeit und Atomwaffen unwillkürlich zum Einsatz dieser Waffen führe. McNamara war in seiner Zeit als Verteidigungsminister für die massive Aufstockung des amerikanischen Atomwaffenarsenals verantwortlich. Mitte der 1980er Jahre wurde er zu einem Sprecher der atomaren Abrüstungsbewegung. Sein wohl stärktes Argument gilt auch heute noch: Bei Atomwaffen hat man keine Zeit, um aus Fehlern zu lernen. Wer einen einzigen Fehler macht, zerstört einfach alles.

Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg listet seit 1945 über 250 Kriege weltweit auf. Die Zahl der Toten lag bei über 30 Millionen, davon entfielen laut einer Studie der Northern Arizona University etwa 85 bis 90 Prozent auf die Zivilbevölkerung. Dies alles trotz dem Vorhandensein eines irrsinnigen atomaren Kriegspotenzials. Es ist also nicht weit her mit der Friedenssicherung durch die Atombombe!

Bei seiner Aussage in München hatte Herr Stoltenberg wohl den verqueren Gedanken im Hinterkopf, Putins Panzer könnten ohne nukleare NATO-Abschreckung mal auf der Brüsseler Grand-Place patrouillieren und auf dem Weg dorthin, quasi im Vorbeifahren, das NATO-Hauptquartier (Shape – Supreme Headquarters Allied Powers Europe) im nahe gelegenen Mons besetzen. Wahrlich, der neue Zar Russlands ist kein Friedensengel, aber das gegenseitige Aufschaukeln beim atomaren Wettrüsten muss gebrochen werden.

Den Falken innerhalb der NATO kann man nur wärmstens die Rede von Robert Schuman, einem der Gründerväter Europas, vom 9. Mai 1950 zum Nachlesen empfehlen. Der französische Außenminister schlug damals in einer Rede die Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vor. Die ersten beiden Sätze seiner Erklärung waren deutlich: „Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen. Der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa für die Zivilisation leisten kann, ist unerlässlich für die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen.“ Dies war der Beginn unserer heutigen Europäischen Union. Dies allein sicherte den Frieden über 70 Jahre lang. Die atomare Abschreckung hatte damit reichlich wenig zu tun.

George Lee Butler zieht gerne aus Homer’s Odyssee einen positiveren Vergleich mit König Sisyphus. Auf eine Fragestellung, ob er daran glaube, dass die Anti-Atomwaffengruppen die Abschaffung dieser Waffen erreichen würden, war seine Antwort: „If you are an optimist, with respect to the future of mankind, you have to believe that more opportunities will come, like Sisyphus moving that ball up the hill. Sometime, you’re going to get to the top and it’s going to roll down the other side, and the era of nuclear weapons will be over. Don’t give up!“

Butler tätigte diese Antwort vor dem im Juli 2017 getätigten Beschluss der Vereinten Nationen, einen Atomwaffen-Verbotsvertrag in die Wege zu leiten. „Don’t give up!“

* Raymond Becker ist Ko-Initiator der „Friddens- a Solidaritéitsplattform Lëtzebuerg “.

 

 

 

Jacques Zeyen
4. August 2018 - 16.15

Fakt ist aber auch,dass das Abenteuer "Homo Sapiens" schlagartig beendet sein wird,wenn die Großmächte auf den roten Knopf drücken.Es wird keinen Gewinner geben. Das wird die Endlösung sein.
Die Angst vor diesem Szenario mag der einzige "Friedenseffekt" sein der vom Atomwaffenpotenzial ausgeht.