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PandemieVirologe Claude Muller: „Paxlovid wird nicht oft genug genutzt“

Pandemie / Virologe Claude Muller: „Paxlovid wird nicht oft genug genutzt“
Claude Muller erläutert für das Tageblatt die pandemische Lage in Luxemburg Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Steigende Inzidenzen zur „Rentrée“ und weitere Erleichterungen im Covid-Gesetz: Professor Claude P. Muller ordnet die pandemische Lage in Luxemburg ein – und fordert, dass die medikamentöse Behandlung mit Paxlovid auch großräumig in Luxemburg Anwendung findet.

Luxemburgs Parlament hat am Donnerstag ein neues Covid-Gesetz gestimmt. Trotz seit der „Rentrée“ steigender Inzidenzen sind Lockerungen beschlossen worden. „Die Inzidenzen sind pünktlich zur ‚Rentrée’ wieder angestiegen, wie es von den Experten vorhergesagt wurde“, sagt Professor Claude P. Muller vom Luxembourg Institute of Health (LIH). Entscheidend für die Einschätzung der pandemischen Lage sei aber nicht die Inzidenz, sondern die Krankenhausbelegung, und insbesondere der Blick auf die Intensivstationen.

27 Personen liegen laut Corona-Wochenrückblick der „Santé“ vom vergangenen Freitag auf der Normalstation, drei Patienten müssen auf der Intensivstation behandelt werden. „Die Zahlen der Krankenhauspatienten müssten genauer analysiert werden“, sagt Claude Muller. Denn: „Die Frage der öffentlichen Gesundheit ergibt sich vor allem aus dem Aspekt, ob die Menschen aufgrund von Corona, oder eben nur zufällig mit einem positiven PCR-Test auf der Intensivstation liegen.“

Vorwurf an die „Santé“

Seit sieben Monaten entwickeln sich die Zahlen laut Claude Muller in eine Richtung, „in der man sagen könnte: Die Pandemie ist vorbei.“ Es obliege dann der persönlichen Verantwortung jedes Einzelnen, sich zu schützen – am besten natürlich durch die Impfung, meint der Virologe vom Luxembourg Institute of Health (LIH). „Die entscheidende Frage für die Bewertung des weiteren Verlaufs der Pandemie ist, ob die Belastung auf der Intensivstation wegen der Corona-Infektionen jetzt wieder ansteigt.“ Muller kritisiert insofern die Kommunikation des Gesundheitsministeriums. „Mein Vorwurf an die ‚Santé’: Sie liefern zwar viele Zahlen, aber wenn die Zahl der Hospitalisierten weiter ansteigt, ist es wichtig zu wissen, wie viele Geimpfte, Geboosterte oder Ungeimpfte auf der Intensivstation liegen und ob deren Impfung gegebenenfalls bereits länger zurückliegt“, so Muller. Daraus ergebe sich dann ein Bild, aus dem sich transparent Empfehlungen ableiten lassen könnten. „Dann könnte man den Menschen klar sagen: Wenn ihr geimpft und geboostert seid, seid ihr mindestens vor einem schweren Verlauf geschützt.“

Auch beim Medikament Paxlovid bedauert der Corona-Experte, dass der Luxemburger Bestand nicht ausreichend genutzt werde. „Es ist immerhin ein Medikament, das das Risiko eines schweren Verlaufes oder einer stationären Behandlung um 80 Prozent senken kann“, so Muller. „Es wird jedoch nicht oft genug benutzt.“ Das führt der Luxemburger Virologe darauf zurück, dass das Medikament in Luxemburg gleich zu Beginn „schlechtgeredet“ wurde. „Nebenwirkungen und Interaktionen mit anderen Medikamenten wurden ebenso in den Vordergrund gerückt wie der Umstand, dass das Medikament zwei Tage nach Auftreten der ersten Symptome eingesetzt werden muss“, sagt Muller. Heißt: „Noch bevor sich ein schwerer Verlauf abzeichnet.“

Unverständliche Zurückhaltung

Tatsächlich seien Interaktionen – also Wechselwirkungen – mit anderen Medikamenten bekannt. „Aber diese Diskussion war stark beeinflusst von der eingeschränkten Verfügbarkeit des Medikaments“, sagt Muller. Das habe zu einer gewissen Zurückhaltung geführt. „Ich kenne aber mittlerweile einige Patienten, die mit über 70 Jahren an Covid-19 erkrankt sind, und die kein Paxlovid empfohlen bekommen haben“, sagt der Experte. „Das ist eigentlich genau die Zielgruppe, an die sich das Medikament richtet.“

Auch die von der „Santé“ publizierten Zahlen zu den Infektionsinzidenzen von geimpften und ungeimpften Personen beschreibe die derzeitige Lage nur ungenügend. „Gerade bei Omikron wissen wir ja, dass die Impfung nicht besonders gut vor einer Infektion schützt, wohl aber sehr gut gegen schwere Komplikationen“, sagt Muller. In Luxemburg werde zurzeit ein bivalenter Impfstoff verabreicht, der sowohl eine Komponente gegen die Wuhan-Variante als auch eine Komponente enthält, die an Omikron angepasst ist. „Die Anpassung richtet sich nach der BA.1-Subvariante.“ Mittlerweile seien in Luxemburg aber mit 90% BA.4 und BA.5 dominant. „Das sollte aber nicht verunsichern, denn diese Subvarianten von Omikron unterscheiden sich nicht entscheidend“, erklärt Muller. „Der bivalente Impfstoff ist also auf jeden Fall zu empfehlen.“ In den USA werde ein Impfstoff zugelassen, der an BA.4 und BA.5. angepasst ist, erläutert der Luxemburg Virologe weiterhin. Wann die Zulassung für diesen Impfstoff in Europa und Luxemburg erfolge?  „Darüber kann die ‚Santé’ sicher Auskunft geben.“

„Epidemiologisch nicht auffällige“ Mutationen

Ob neue besorgniserregende Varianten im Umlauf seien, auf die Luxemburg besonders aufpassen müsse? „Es gibt mehrere Omikron-Subvarianten – aber kein Hinweis, dass diese sich nennenswert von anderen Omikron- Subvarianten unterscheiden, die schon bei uns in Umlauf sind oder waren“, sagt Muller. Aus virologischer Sicht gebe es minimale Unterschiede zwischen diesen Subvarianten – „die aber epidemiologisch bisher noch nicht auffällig wurden“, so Muller weiter.

Das Auftauchen neuer Varianten oder Mutationen sei demnach nicht immer gleich ein Grund zur Sorge. „Viren mutieren – das bedeutet jedoch nicht, dass sich das Virus automatisch grundlegend anders verhält“, sagt Muller. Beim Auftauchen neuer Varianten sei es auch schwierig, die Infektiosität verlässlich zu messen. „Das hängt immer von lokalen Gegebenheiten ab.“ Und auch wenn sich die Intensivstationen in anderen Ländern wieder füllen würden, bedeute das nicht automatisch, dass Luxemburg auch in gleichem Maße betroffen sein werde. „In Luxemburg kann Sauerstoff schon auf der Normalstation verabreicht werden“, sagt Muller. „Das ist in anderen Ländern vielleicht nur auf der Intensivstation möglich.“

Auch deshalb sieht der LIH-Virologe in dem neuesten Covid-Gesetz, in dem die Isolationszeit von sieben auf vier Tage reduziert wurde, kein Problem. „Wichtig ist mir, dass noch einmal Wert auf die vierte Impfung gelegt wurde. Besonders bei den Bevölkerungsgruppen, die einem erhöhten Risiko eines schweren Verlaufs ausgesetzt sind.“

Fünf Todesfälle übers Wochenende

Das Gesundheitsministerium hat bekannt gegeben, dass übers Wochenende fünf Todesfälle mit oder wegen Corona festgestellt wurden. Zudem haben sich bei 419 PCR-Tests 20 Personen positiv getestet. Stand Montagabend befinden sich 33 Personen in stationärer Behandlung, 32 davon auf der Normalstation – eine Person liegt demnach auf der Intensivstation. Übers Wochenende wurde lediglich eine Boosterimpfung vorgenommen und keine weiteren ersten oder zweiten Impfungen.