„To the people of the world, please demand that the governments and parliaments in your countries sign and ratify the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons.“ Am 9. August, dem Gedenktag des Atombombenabwurfs auf die japanische Stadt Nagasaki im Jahre 1945, wandte sich ihr Bürgermeister Tomihisa Taue mit einem eindringlichen Appell an die Weltgemeinschaft. Die aktuelle Lage …
Von Raymond Becker*
Laut dem Internationalen Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri liegt das gesamte Arsenal aller neun Atomwaffenstaaten heute bei etwa 14.500 Sprengköpfen, Russland und die USA halten allein fast 92% aller dieser Waffen. Unbestreitbar, die Zahl der weltweiten Atomsprengköpfe ist seit 1980 rapide gesunken.
Doch für Sipri-Direktor Dan Smith ist dies nur ein Teil der Wahrheit: „Erstens ist mit Nordkorea ein neuer Nuklearstaat dazugekommen. Zweitens laufen in allen anderen Atomwaffenstaaten Modernisierungsprogramme. Und drittens ist die Rüstungskontrolle in ernsthaften Schwierigkeiten: Derzeit verhandelt niemand über einen weiteren Abbau der Nuklearwaffen.“
Der Schrecken der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki scheint bei den Atommächten immer mehr zu verblassen. Dies ist die einhellige Meinung der Verantwortlichen des „Nagasaki Atomic Bomb Museum“.
Hans Kristensen ist ein dänischer Friedensforscher und Direktor des „Nuclear Information Project“ bei der „Federation of American Scientists“ in Washington DC. Kristensen bringt die aktuelle Sachlage sehr gut auf den Punkt: „Beide Seiten, Ost und West, sinken in ihre alte Gegnerschaft zurück, wobei sie zunehmend Atomwaffen als Signal einsetzen und ihre Bedeutung für ihre nationalen Sicherheitsstrategien betonen. Gleichzeitig wird über die Entwicklung neuartiger Nuklearwaffen nachgedacht. Kurz gesagt: Beide Seiten gehen einander wieder an die Kehle und der Stellenwert der Atomwaffen als politisches Signal wächst.“
Ein richtungsweisender Vertrag
Zurück zum Appell des japanischen Bürgermeisters. In immer unsicher werdenden Zeiten wäre es ein wichtiger und richtiger Schritt, sich allerorts für das Verbot von Atomwaffen einzusetzen. Im Juli 2017 wurde von den Vereinten Nationen ein Atomwaffenverbotsvertrag mit 122 Ja-Stimmen verabschiedet. Die Entscheidung der Vereinten Nationen sieht vor, die Entwicklung und Produktion, den Test, Erwerb, die Lagerung und den Transport, die Stationierung und den Einsatz von Atomwaffen sowie die Drohung mit ihnen zu verbieten.
Damit dieser Vertrag – „TPNW/Treaty oft the Prohibition of Nuclear Weapons (1)“ – in Kraft tritt, muss er von mindestens 50 Staaten unterzeichnet und ratifiziert werden. Seit September 2017 liegt das Abkommen zur Unterschrift und Ratifizierung vor. Anfang August dieses Jahres haben bereits 60 Staaten der Vertrag unterzeichnet und 14 haben ihn zudem ratifiziert. Nach Einschätzung mancher Experten ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass der Vertrag Ende 2019 in Kraft tritt.
Bei Atomwaffen war es bis dato anders als bei biologischen oder chemischen Waffen. Sie waren bislang international nicht geächtet. Nach dem Ratifizierungsprozess schließt der Atomwaffenverbotsvertrag endlich diese Lücke. Ein Land, das dann noch an Atomwaffen festhält, steht eindeutig außerhalb des Völkerrechts.
Ein Widerspruch zur NATO-Mitgliedschaft?
Der Tenor aus NATO-Kreisen ist klar: Als NATO-Mitglied diesen Vertrag der Vereinten Nationen zu unterschreiben und zu ratifizieren, würde eine klare Verletzung der Bündnispflichten bedeuten. Aber ist dem wirklich so?
In einer aktuellen Studie hat Bonnie Docherty (Human Rights Watch/Harvard Law School) die Vereinbarkeit dieses Atomwaffenverbotsvertrags mit bestehenden Sicherheitsabkommen der NATO untersucht. Die Studie (2) kommt zum Schluss, dass NATO-Staaten und Alliierte dem Verbotsvertrag beitreten können, ohne ihre Bündnisverpflichtungen zu verletzen.
Drei wesentliche Punkte werden in dieser Docherty-Studie analysiert. ICAN, die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, verfasste eine Kurzfassung.
1) Staaten, die dem Vertrag beitreten wollen, können nicht mehr Teil des „nuklearen Schirms“ der NATO sein. Mit der Kooperation unter dem „nuklearen Schirm“ unterstützen, ermutigen und veranlassen atomwaffenfreie Staaten die „nukleare Schutzmacht“ zum Besitz, Einsatz und der Drohung mit Atomwaffen. Alle drei Aktivitäten sind im Vertrag der Vereinten Nationen verboten.
2) Das Verlassen des nuklearen Schirms verletzt keine bestehenden Sicherheitsabkommen mit NATO-Staaten. Der Gründungsvertrag der NATO nimmt keinen expliziten Bezug auf Atomwaffen. Die nukleare Abschreckungspolitik wird zwar im strategischen Konzept der NATO von 2010 festgeschrieben. Diese Vereinbarung ist jedoch eine politische Erklärung, kein rechtlich verbindliches Abkommen. Das strategische Konzept beschreibt einerseits, dass die NATO eine nukleare Allianz bleibt, solange Atomwaffen existieren. Gleichzeitig begrüßt es Abrüstungsbemühungen und die Schaffung der dafür notwendigen Bedingungen.
3) Die Studie schlussfolgert, dass die Teilnahme an gemeinsamen Militäraktionen mit Atomwaffenstaaten nicht an und für sich verboten ist. Eine ähnliche Regelung treffen auch andere humanitäre Abrüstungsverträge, wie der Vertrag zum Verbot von Landminen. Auch hier wird auf die konkrete Verbindung zwischen Militäraktion und Einsatz von Landminen Bezug genommen. Die USA sind diesem Vertrag bis heute nicht beigetreten und dennoch haben NATO-Mitglieder gemeinsam mit den USA viele Militäraktionen durchgeführt.
Auch hierzulande: Flagge zeigen!
Der letzte NATO-Gipfel hat eindeutig bewiesen, dass die transatlantischen Beziehungen in einer Krise stecken. Das Militärbündnis in seiner jetzigen Form steht auf der Kippe. Das „Ge-Trump-ele“ der letzten Monate zeigte eindeutig, dass gemeinsame Werte, gemeinsame Institutionen, gemeinsame Interessen oder gemeinsam ausgehandelte Abkommen keine Rolle für diesen US-Präsidenten mehr spielen.
Trotz aller herrschenden Ungereimtheiten und populistischen Getöses innerhalb der Europäischen Union ist die Zeit reif, eine neue Sicherheitsstruktur zu ersinnen und in die Wege zu leiten. Diese Struktur müsste gegen die realen Bedrohungen unserer Sicherheit vorgehen: Terrorismus, Klimawandel, Armut, Ressourcenknappheit, Ungerechtigkeit oder Krankheiten.
Eine durch Europa angestrebte Dynamisierung des OSZE-Prozesses (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) mit seinen 57 Teilnehmer- und elf Partnerstaaten, wäre ein guter Schritt. Sicherheit und Frieden erreicht man durch klare Positionen, Dialog und den Aufbau von Vertrauen, nicht durch Abschreckung mit Atombomben und anderem militärischem Zeug.
Die politisch Verantwortlichen sollten hierzulande den Mut aufbringen, den Vertrag der Vereinten Nationen für ein Verbot von Atomwaffen zu unterstützen. Die 56 Bürgermeister/-innen Luxemburgs, die als „Mayors for Peace“-Unterstützer gelten (3), sollten ihr Engagement in dieser Initiative bestätigen. Durch eine Initiative im jeweiligen Gemeinderat könnten sie dem Beispiel einer steigenden Zahl von Städten und Kommunen folgen. Diese sprechen sich klar gegen Atombomben aus und fordern ihre jeweiligen Regierungen zur Unterstützung des Atomwaffenverbotsvertrags auf.
Wie heißt es doch in der nuklearen Strategie der NATO: „Gleichzeitig begrüßt es Abrüstungsbemühungen und die Schaffung der dafür notwendigen Bedingungen.“
Na dann mal Butter bei die Fische!
(1) https://www.un.org/disarmament/wmd/nuclear/tpnw/“
(2) http://hrp.law.harvard.edu/wp-content/uploads/2018/06/Nuclear_Umbrella_Arrangements_Treaty_Prohibition.pdf
(3) http://www.mayorsforpeace.org/english/
Raymond Becker* ist Ko-Initiator der „Friddens- a Solidaritéitsplattform Lëtzebuerg“
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