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ChamberSo reagiert Luxemburgs Politik auf die neuen Statec-Prognosen

Chamber / So reagiert Luxemburgs Politik auf die neuen Statec-Prognosen
Das Tageblatt hat mit Luxemburgs Parteien über die kommenden Dreierrunden geredet Fotomontage: Tageblatt

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Mit den neuen Inflationsprognosen des Statec beginnt am Sonntag die zweite Tripartite-Runde für dieses Jahr. Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter verhandeln dann über weitere Hilfsmaßnahmen in der derzeitigen Energiekrise. Nebst galoppierender Inflation und explodierenden Energiepreisen dürfte vor allem die angespannte Situation im Staatshaushalt die Tripartite-Verhandlungen dominieren. Das sagen Luxemburgs Parteien zur kommenden Dreierrunde.


Gilles Baum, DP-Fraktionsvorsitzender

 Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Die DP geht laut ihrem Fraktionsvorsitzenden Gilles Baum vom Worst-Case-Szenario aus. Das würde vier zusätzliche Indextranchen innerhalb von zehn Monaten bedeuten. „An der Indextranche im April wird nicht gerüttelt“, sagt Gilles Baum im Gespräch mit dem Tageblatt. Der weitere Verlauf der Krise hänge aber stark von den Energiepreisen ab. „Ich habe in der Washington Post gelesen, dass sich die Energiepreise bis Weihnachten wieder stabilisieren könnten“, sagt Baum. Das sei letztendlich aber reine Spekulation. Die Tripartite sei gut vorbereitet. „Wir müssen uns auf das schlimmste Szenario einstellen“, meint Baum. „Danach kann man ja immer noch gegensteuern.“

Für das Maßnahmenpaket bei der Tripartite dürfe es keine Tabus geben. „Es ist wichtig, dass den Menschen geholfen wird“, sagt Baum. Der DP-Fraktionsvorsitzende könne sich zum Beispiel eine Deckelung der Energiepreise vorstellen, wie sie schon in anderen Ländern existiere.

Die Finanzsituation sei laut Baum angespannt. „Die Corona-Pandemie hat uns drei Milliarden Euro gekostet“, sagt der DP-Politiker. Der „Solidaritéitspak“ am Anfang des Jahres habe noch einmal 800 Millionen Euro gekostet. „Wir gehen also nicht mit einem gefüllten Geldbeutel in diese Krise.“

Ob die Tripartite innerhalb von drei Tagen ein „tragbares Abkommen“ hervorbringe, bleibe abzuwarten. „Letztes Mal wurden die Verhandlungen ja einmal unterbrochen“, sagt Baum. „Ich kann mir vorstellen, dass nach drei Tagen eine erste Skizze des Abkommens steht und sich die Verhandlungspartner noch einmal intern beraten werden.“ Ein Abkommen für Anfang Oktober aber erscheine realistisch. „Ich würde mich da an die Aussagen von Premierminister Xavier Bettel halten.“


Yves Cruchten, LSAP-Fraktionsvorsitzender

 Foto: Editpress/Julien Garroy

„Die Statec-Prognosen, die jetzt noch einmal nach oben angepasst wurden, untermauern, wie wichtig es ist, dass die Tripartite am Wochenende zusammenkommt“, sagt der LSAP-Fraktionsvorsitzende Yves Cruchten dem Tageblatt. Die einzelnen Szenarien des Statec würden jedoch darauf hinweisen, dass man auch Lösungen für das kommende Jahr finden müsse. Die klammen Staatsfinanzen dürften dabei keine Rolle spielen. „Der finanzielle Spielraum muss halt der sein, der für die derzeitige Krise gebraucht wird.“ Der budgetäre Rahmen sei eng, doch das Wenige an Marge müsse man jetzt ausnutzen.

Wann das Tripartite-Abkommen stehen werde, sei derzeit schwer vorherzusehen. „Es ist wichtig, dass alle Verhandlungspartner die gleiche Ausgangsbasis teilen“, sagt Cruchten. Die Gewerkschaften hätten belastbare Zahlen angefragt, aufgrund derer Entscheidungen getroffen werden können. „Die Lage ist ernst und wir müssen uns die nötige Zeit geben“, sagt der LSAP-Politiker. In dem Punkt stimme er dem OGBL zu.


Josée Lorschée, „déi gréng“-Fraktionsvorsitzende

 Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Josée Lorsché geht davon aus, dass jede Partei ähnlich auf die Statec-Prognosen reagiert hat. „Wir müssen eine Katastrophe verhindern“, sagt Lorsché. „Sowohl im sozialen als auch im wirtschaftlichen Sinne.“ Die Politik müsse „Lenkungscharakter“ beweisen und in den Verhandlungen die Richtung vorgeben. „Der Index darf nicht infrage gestellt werden.“ Wenn jedoch laut Statec vier weitere Indextranchen fallen können, sieht die Grünen-Fraktionsvorsitzende schwierige Verhandlungen voraus. Aber: „Der Index und die Tripartite zeichnen Luxemburg aus“, meint Lorsché. Die perfekte Lösung werde es wohl nicht geben, weswegen alle Verhandlungspartner in einer Krise, wie „sie es seit 40 Jahren nicht mehr gegeben hat“, aufeinander zugehen müssen.

Die Grünen hatten auf ihrer Rentrée-Pressekonferenz an der Schuldenobergrenze von 30 Prozent gerüttelt, damit die Regierung mit den nötigen finanziellen Mitteln auf die Krise reagieren könne. „Weiteren Schulden, die die Krise abfedern sollen, stehe ich eher skeptisch gegenüber“, rückt die Fraktionsvorsitzende von den Forderungen ihrer Parteipräsidenten ab. Schulden wären eher ein Mittel, um langfristige Investitionen zu tätigen – für die Krise gebe es andere Mittel.

Jedoch bestehe noch etwas Spielraum, da man noch nicht an der festgesetzten Schuldenobergrenze angelangt sei. „Es darf jetzt nicht gespart werden“, sagt Lorsché und bekräftigt erneut ihre Forderung: „Aus der Krise darf keine Katastrophe werden.“ Mechanismen wie Steuerkredite oder Prämien gebe es genügend. Genaue Berechnungen seien jedoch nicht möglich, da den Abgeordneten keine genauen Daten vorliegen würden. „Die anstehenden Verhandlungen dürfen nicht übers Knie gebrochen werden“, so Lorsché. Es wäre besser, ein oder zwei Wochen länger zu verhandeln und im Oktober ein sinnvolles Abkommen zu unterschreiben. „Wir müssen nachher auch für das Tripartite-Abkommen geradestehen.“


Martine Hansen, CSV-Fraktionsvorsitzende

 Foto: Editpress/Didier Sylvestre

„Den Abgeordneten wurden die Statistiken, die den Sozialpartnern vorgelegt wurden, noch nicht mitgeteilt“, kritisiert die CSV-Fraktionsvorsitzende Martine Hansen den Informationsfluss zwischen Regierung und Abgeordneten. „Wir haben jedoch wieder die Einberufung der Tripartite-Spezialkommission gefordert, in der Regierung und Statec die Abgeordneten über die neusten Entwicklungen informieren sollen.“ Die Preise bei Energie, Strom, Heizöl, aber auch Pellets würden stetig steigen – und die Menschen somit jetzt sofort Hilfe brauchen.

„Die derzeitigen Probleme sind nicht hausgemacht“, sagt Hansen weiter. Die Menschen müssten in dieser Krise begleitet werden. „Die Indextranchen dürfen nicht immer wieder verschoben werden.“ Weitere Vorschläge der CSV sind die Anpassung der Steuertabelle an die Inflation und steuerliche Entlastungen „bis in die Mittelschicht“ hinein. „Auch müsste der Kreis der Empfänger der Energieprämie erweitert werden“, schlägt Hansen vor. „Es gibt teilweise Rentner mit einer zu hohen Rente, um für die Energieprämie in Betracht gezogen zu werden.“

Auch dürften die Unternehmen nicht vergessen werden. „Ich denke, dass nicht wenige Unternehmen Existenzängste haben“, sagt die CSV-Politikerin gegenüber dem Tageblatt. Eine Diskussion um eine 35-Stunden-Woche wäre jetzt zumindest fehl am Platz.

Ob die Tripartite gleich am Wochenende zu einem Abschluss kommen werde, sei schwierig einzuschätzen. „Wenn vor dem 1. Oktober jedoch kein Abkommen steht, muss die Regierung Maßnahmen ergreifen“, fordert Hansen.


Fernand Kartheiser, ADR-Fraktionsvorsitzender

 Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Fernand Kartheiser, Fraktionsvorsitzender der ADR, will auf drei Punkte aufmerksam machen. „Index beibehalten, Sanktionspolitik stoppen und die budgetären Möglichkeiten nicht überstrapazieren“, zählt Kartheiser auf. „Wir stehen zum Index – mit der Energie im Warenkorb und ohne Manipulation“, sagt Kartheiser. Die Ursache sieht er aber in der „Sanktionspolitik, die uns in den ökonomischen Selbstmord treibt“.

Auch Kartheiser kritisiert die bislang fehlende Datengrundlage, um konkretere Maßnahmen vorschlagen zu können. Für den konservativen Politiker steht jedoch fest: „Bei den Inflationsraten riskieren wir eine Verarmung der Mittelschicht – und mit den Zinserhöhungen wird zusätzlicher Druck aufgebaut.“

Besonders die Energiepreise würden der ADR Sorgen bereiten. „Wir verstehen nicht, warum die Spritpreise in Frankreich billiger sind“, sagt Kartheiser. „Wir haben ja schon Vorschläge unterbreitet, dass unsere Spritpreise immer die billigsten in unserer Grenzregion sein werden.“ Auch dürfe Luxemburg auf keinen Fall das Triple A verlieren. „Wir kriegen sonst Probleme im Finanzsektor“, sagt Kartheiser und fordert entscheidende Maßnahmen. „Sonst sind vier Indextranchen nicht zu überstehen.“

Dass schon am Wochenende ein Abkommen zwischen den Sozialpartnern steht, hält Kartheiser für unwahrscheinlich. „Sie sollen sich die nötige Zeit und Ruhe geben“, meint er und verweist auf die Kritik der Gewerkschaften, dass beim letzten Mal nicht genügend Zeit für detaillierte Berechnungen gewesen sei. „Wir befinden uns in einer Sackgasse und bewegen uns mit der derzeitigen Politik immer weiter Richtung Mauer.“


Myriam Cecchetti, „déi Lénk“-Abgeordnete

 Foto: Editpress/Julien Garroy

„Wir dürfen nicht den Index angreifen, sondern müssen die Inflation unter Kontrolle bringen“, fordert die Linken-Abgeordnete Myriam Cecchetti. Der Index solle weiterlaufen und den Unternehmen, denen es schlecht gehe, müsse geholfen werden. „Ungleichheiten und Armut hat es auch schon vor dieser Krise gegeben“, sagt Cecchetti. „Das ist die Konsequenz einer Politik, die für die Armen nur Almosen bereithält.“

Die Klagen der Arbeitgebervertreter kann die Linken-Politikerin nicht wirklich verstehen. „Tatsache ist, dass die Auftragsbücher gut gefüllt sind, die Arbeitslosigkeit sich auf einem niedrigen Niveau befindet und eher nicht genügend Personal für die anfallende Arbeit bereitsteht“, sagt Cecchetti. Es gebe sicherlich einige kleinere Unternehmen, die nun Probleme haben. „Die großen Unternehmen mit großen Profiten sollen deshalb einen Teil der Verantwortung übernehmen.“

Auch solle eine radikale Steuerreform her. „Arbeitende Leute sollen nicht mehr an Steuern bezahlen müssen als die, die an der Börse keinen Finger krumm machen“, sagt die Politikerin von „déi Lénk“. Teil dieser Misere sei zudem der Umstand, dass Europa sich von Autokraten abhängig gemacht habe und es verpasst wurde, in erneuerbare Energien zu investieren. Und auch von den derzeitigen Energiemärkten hält Cecchetti nicht viel. „Die Märkte hätte man schon längst regulieren können, damit nicht einige wenige riesige Profite erzielen“, meint die Abgeordnete. „In dem Sinne ist das eine selbst verschuldete Krise.“

Dass die Tripartite innerhalb von drei Verhandlungstagen zu einem Abschluss kommt, hält Cecchetti für nicht sehr wahrscheinlich – „es sei denn, bei den bilateralen Gesprächen wurden schon Lösungswege aufgezeigt.“ Dass der Staatshaushalt den finanziellen Möglichkeiten eine Grenze aufzeigt, sieht die Linken-Abgeordnete weniger kritisch. „Während der Covid-Krise und mit dem Tankrabatt wurde viel Geld ausgegeben“, sagt die Politikerin gegenüber dem Tageblatt. „7,5 Cent sind an der Zapfsäule einfach verschenkt worden.“ Man hätte einiges an Geldern einsparen können – nun müsse man mit den vorhandenen Mitteln auskommen. „Die Regierung muss jetzt einen Krisenplan aufstellen – und nach der Krise dann die Energiemärkte in den Griff kriegen.“


Sven Clement, Piraten-Abgeordneter

 Foto: Editpress/Tania Feller

„Wenn wir die Statec-Prognosen vorliegen hätten, könnten wir auch darauf reagieren“, kritisiert Sven Clement den Umstand, dass die Daten nicht an die Abgeordneten weitergeleitet wurden. „Aber überrascht das noch jemanden?“ Es stelle sich nämlich die Frage, was genau die Inflationstreiber seien und wie auf diese eingewirkt werden könne. „Natürlich sind Gas, Ölprodukte und Strom verantwortlich“, sagt Clement. „Eventuell verstecken sich im Warenkorb aber noch andere Überraschungen.“ Ob zu hohe Nachfrage, Lieferkettenschwierigkeiten oder Energieprobleme – auf verschiedene Probleme müsse anders reagiert werden. „Statec müsste die verschiedenen Probleme auf einer granularen Ebene durchleuchten.“

Auch bei der Haushaltslage vermisst der Piraten-Abgeordnete die nötige Transparenz der Regierung. „Es ist schon eine drollige Situation, dass Gewerkschaften und Patronatsvertreter Teile des Budgets 2023 vorgelegt bekommen, über das noch nicht in der Chamber diskutiert wurde“, sagt Clement. „Ich könnte jetzt zahlreiche Maßnahmen vorschlagen, die dann aber aus budgetären Gründen abgelehnt werden würden.“ Einerseits müssten ja europäische und nationale Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Andererseits müsste man sich auch strukturelle Fragen stellen. „Was erwarten wir in puncto Geldpolitik der Europäischen Zentralbank?“, wirft Clement in den Raum. „Davon hängt ja auch unsere Verschuldung ab.“ Klar sei derzeit nur, dass die Politik jetzt antizyklisch reagieren müsse.

Auf die Frage, wann ein Abkommen denn realistisch erscheine, meint Clement: „Heute ist es bereits zu spät.“ Die Piraten würden sich für eine kurzfristig ausbezahlte Energieprämie aussprechen. „Dann könnten wir ohne Druck auf dem Kessel diskutieren.“ Im Endeffekt aber würde ein schneller Verhandlungserfolg vom „guten Willen“ der Verhandlungspartner abhängen. „Wenn die Regierung ihre Ansätze präsentiert und nur auf die Zustimmung der Sozialpartner wartet, kann es schnell gehen“, sagt Clement. Das könne im Gegenzug aber auch schnell zu einem Scheitern der Tripartite führen. Besonders wenn detailgetreu diskutiert werde, könne es noch länger dauern. „Ich denke, dass bereits im August hätte diskutiert werden können.“

Phil
17. September 2022 - 8.28

Der Herr Baum liest sich sein politisches Wissen aus der "Washington Post"... majo dann! Wie wäre es denn mal mit der "Bild-Zeitung" oder der "Prawda"...?