Mike Lazaridis (Jay Baruchel) und Douglas (Regisseur Matt Johnson) sind zwei Geeks wie aus dem Bilderbuch: Während Douglas mit Doom-T-Shirt, ständigen Star-Wars- oder Dune-Referenzen, Turtles-Portemonnaie und David-Foster-Wallace-Bandana seiner Nerdiness huldigt, wirkt Mike etwas diskreter. Trotzdem ist er es, den das Summen eines in China hergestellten Modems so sehr stört, dass er nur Sekunden vor einem für ihre Firma überlebenswichtigen Produkt-Pitch das sich im Büro befindende Gehäuse öffnet, um dem nervigen Geräusch ein Ende zu setzen.
Als der eiskalte Jim Balsillie (Glenn Howerton) die beiden empfängt, hat dieser sichtlich mit internen Firmenrivalitäten zu tun und hört den Geeks nur mit einem Ohr, wenn überhaupt, zu. So scheint er die revolutionäre Idee hinter dem Bandana und der China-Skepsis nicht mitzubekommen: „Wir hatten mal einen Lehrer, der meinte, wenn es dir gelingt, einen Computer in ein Telefon zu implementieren, wirst du die Welt ändern.“
Als der frisch entlassene Balsillie – der genauso ballsy ist, wie sein Name es andeutet – am Folgetag im Bürogebäude von Research in Motion aufkreuzt, sind beide Lager überrascht: Douglas und Mike, die ihr Team am Abend davor über die Absage mit einer Indiana-Jones-Kinonacht vertröstet haben, sind erstaunt, den Typen überhaupt wiederzusehen – und Jim kann es kaum fassen, anstatt einer funktionierenden Firma einen Haufen Zocker vorzufinden, die ihren CEO Mike wie einen überforderten Kita-Angestellten wirken lassen.
Zwischen den drei beginnen die Verhandlungen; schonungsloser als Balsillie hätte es Mike und Douglas niemand mitteilen können: „Das gestern war der schlechteste Produkt-Pitch, den ich je gesehen habe.“ Subtext: Ihr braucht mich. Kein Spoiler: Tun sie auch.
Hostile Takeover
Für Jim ist dieser wilde, postpubertäre Haufen die letzte Chance: Als er feststellt, dass Mikes Firma nicht nur hoch verschuldet ist, sondern der naive Nerd sich zudem von einem Businesspartner gleichzeitig veräppeln wie auch die Idee hat stehlen lassen, entscheidet er sich, all in zu gehen und sein ganzes Besitztum zu investieren. Weswegen er auch äußerst brutal und unbarmherzig vorgeht, um das welterste Smartphone zum kommerziellen Sensationserfolg hoch zu wirtschaften. Dies gelingt ihm dann auch, bis Steve Jobs das erste iPhone vorstellt – laut Partner Mike ein absurdes Produkt, von dem bald niemand mehr reden wird.
In einer Dokumentarfilmästhetik, die sich (etwas zu oft) auf das spontane Heranzoomen an seine Figuren verlässt, um auf die Authentizität des Geschilderten zu pochen, erzählt „BlackBerry“ auf eine zuerst unglaublich lustige und dann eine zunehmend tragische Art die wahre Geschichte von ein paar Spinnern, die die Welt verändern sollten, und einem ungleichen Paar, das sich zu Beginn schwört, immer ehrlich zueinander zu sein, und dieses Versprechen natürlich nicht halten kann.
Die Mär vom Aufstieg und Fall eines Nerds, der nach und nach seine Seele verkauft, kennt man allzu gut: David Fincher hat 2010 mit „The Social Network“ die Entstehungsgeschichte von Facebook und dessen Gründer Marc Zuckerberg nacherzählt und damit Filmgeschichte geschrieben – weil sein Film einen Paradigmenwechsel schilderte und zudem ästhetisch meisterhaft war.
Matt Johnson geht einen Schritt weiter zurück, ergänzt in dem Sinne Finchers Narrativ, indem er den Finger auf den Grundstein der digitalen Welt, wie wir sie kennen, legt und erzählt von dem Wendepunkt, an dem die Kommunikationsbranche aufgehört hat, den Traum eines gemeinsamen Lebens zu verkaufen, und stattdessen begonnen hat, mit Selbstständigkeit zu werben, damit aber auch die Vereinsamung zum Paradigma des 21. Jahrhunderts gemacht hat.
Im Vergleich zu Fincher macht Johnson so einiges anders – aber auch vieles sehr ähnlich. So gibt es neben dem liebenswürdigen Nerd Douglas eben auch Lazaridis, der sich von Balsillie antreiben, aber auch umkrempeln lässt – denn Balsillie erkennt jede Schwäche und weiß perfekt, wie er seine Mitmenschen manipuliert.
Zu Beginn tut er dies zum Wohl der Firma, weil er bei (einer neoliberalen Auslegung von) Hobbes gelernt hat, dass der digitale Leviathan nur überlebt, wenn alle am gleichen Strang ziehen, irgendwann eskaliert aber alles, weil die gemeinsamen Interessen nicht mehr stimmen und so mancher bei all dem Geld größenwahnsinnig geworden ist.
Wo Fincher bei Zuckerberg das private, emotionale Scheitern als Beweggrund für sein Streben darlegt, verzichtet Johnson größtenteils auf psychologische Erklärungen, gibt sich zudem auch kaum mit dem Privatleben seiner Figuren ab (vielleicht auch, weil die meisten keine Zeit für sowas haben).
Das macht die Figuren weniger tiefgründig, was gen Ende deswegen etwas stört, weil man nicht mehr ganz versteht, was genau mit Mike und Jim jetzt kaputt ist – und wann es passiert ist. Zu dem Zeitpunkt machen sich dann die vielen Anleihen an Finchers Film auch bemerkbar (Stichwort: der nervöse Electro-Synthie-Soundtrack).
Zu behaupten, Johnsons Film wäre das filmische BlackBerry zu Finchers Apple, wäre dann doch übertrieben: Dafür ist dieser kanadische Wettbewerbsbeitrag zu lustig, zu gut gespielt und zu kompetent inszeniert. Letztlich illustriert „BlackBerry“ die Aussage einer Figur aus Takis Würgers letztem Roman „Unschuld“: „Geld macht nicht traurig, das sagen nur Menschen, die keins haben. Traurig machen Menschen.“
Spielzeiten (in Berlin): https://www.berlinale.de/de/2023/programm/202310362.html
Berlinale-Rating: 3/5
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