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„Game of Thrones“: Ein Luxemburger Historiker über den Einsatz von Politik in Westeros

„Game of Thrones“: Ein Luxemburger Historiker über den Einsatz von Politik in Westeros

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Der Erfolg der TV-Serie Game of Thrones beruht nicht zuletzt darauf, dass die Erzählwelt Parallelen zu unserer Gesellschaft aufzeigt. Filmhistoriker Yves Steichen über den Einsatz von Geschichte und Politik in Game of Thrones.

Von Yves Steichen

WARNUNG: Der folgende Text enthält Spoiler.

Seit der ersten Staffel von Game of Thrones (2011) befindet sich der Kontinent Westeros in einem dauerhaften Kriegszustand. Nach dem Tod von König Robert Baratheon, bis dato Herrscher über die Sieben Königreiche, wird zunächst dessen „Hand“ Eddard (Ned) Stark zum „Beschützer des Reichs“ ernannt, um für politische Stabilität zu sorgen.

Lange geht das jedoch nicht gut, denn im Hintergrund bringen sich gleich mehrere konkurrierende Anwärter*innen auf den „Eisernen Thron“ in Stellung, die das Land schließlich in einen Bürgerkrieg stürzen; auch Ned Stark selbst, eine der wenigen Hauptfiguren des Game-of-Thrones-Universums, die ansatzweise über einen moralischen Kompass verfügte, wurde am Ende der ersten Staffel (zur großen Überraschung vieler Zuschauer) hingerichtet.

Die siebte Staffel von Game of Thrones, die im Sommer 2017 gezeigt wurde, führte alle handlungsrelevanten Charaktere, die bis dahin getrennt voneinander in Westeros und im Ostkontinent Essos agierten, wieder zusammen, um sie, gemeinsam mit ihren jeweiligen Alliierten, gegeneinander und gegen die äußere Bedrohung durch die Armee der „White Walkers“ aufzustellen.

Der lang angekündigte Winter, den diese Eiszombies mit sich bringen und der einen ewigen Schatten über den gesamten Kontinent zu legen droht, ist jetzt (man möchte fast sagen: endlich) eingetroffen. Seit dem letzten Sonntag (14. April) läuft die achte und letzte Staffel der HBO-Serie, die das Intrigenspiel um die Vorherrschaft in Westeros in sechs Episoden (zum Teil in Spielfilmlänge) zu Ende erzählt, zeitgleich in den USA und in weiteren Teilen der Welt. Damit findet eine der erfolgreichsten Serien der TV-Geschichte ihren definitiven Abschluss.

Für diesen anhaltenden Erfolg gab es gleich mehrere Gründe:

Basierend auf der Romanreihe A Song of Ice and Fire von George R.R. Martin entwarfen die beiden „Showrunner“ David Benioff und D.B. Weiss eine komplexe und anarchische, oft krude Fantasy-Mittelalter-Welt, die aber gleichzeitig mit einer überraschenden Tiefe, nachvollziehbaren Gesetzmäßigkeiten und ambivalenten, präzise gezeichneten Figuren ausgestattet war, die ihre politischen Ambitionen in geradezu shakespeareschen Intrigen umsetzten.

Die äußerst expliziten und freizügigen Darstellungen von Gewalt, Sexualität und Inzest, die Game of Thrones stets eine skandalträchtige Aura verliehen, trugen zudem ebenso zum Erfolg der Serie bei wie die mitunter überraschenden Wendungen im Handlungsverlauf, die schon mal dafür sorgten, dass in ein und derselben Episode gleich mehrere Hauptcharaktere ins (Serien-)Aus gekegelt wurden.

Diese erzählerischen Volten unterliefen den Erwartungshorizont vieler Zuschauer und brachen mit ihren Sehgewohnheiten – die Serie entwickelte dadurch eine enorme Bindekraft und lud ihr Publikum regelrecht dazu ein, in den sozialen Netzwerken über den weiteren Handlungsverlauf zu spekulieren. Game of Thrones war (und ist) ein Produkt des Social-Media-Zeitalters und hat gleichzeitig durch eine Vielzahl an Memes, Tweets, Live- und „Reaction“-Videos zu dessen kontinuierlicher Ausformung und Popularisierung beigetragen. Daneben profitierte Game of Thrones aber sicherlich auch davon, dass TV-Serien, vor allem US-amerikanische, seit einigen Jahren nicht mehr als „zweitklassige“ Produktionen gegenüber Kinofilmen angesehen wurden, sondern eigene Erzählmodi und Ästhetiken entwickelten, die denen auf der großen Leinwand gefährlich nahe kamen.

Einen entscheidenden Anteil an der Popularität der Serie hat ferner die Tatsache, dass die Erzählwelt von Westeros deutlich an die unsrige angelehnt bzw. von ihr inspiriert ist:

Obwohl Game of Thrones an der Oberfläche in einer diffusen, mittelalterlich anmutenden Fantasiewelt spielt, spricht die Serie zugleich auch unentwegt die historische wie gegenwärtige Realität an: Ob Rivalitäten, Macht, Krieg, Liebe oder Geschlechterrollen, Game of Thrones vermischt das Fantastische mit dem geschichtlichen und zeitgenössischen Realen und stellt Fragen zur geopolitischen Verwaltung von Königtümern und Erbfolgeregeln, politischen Systemen, Religion, Geschlecht sowie sozialer Integration.

Benioff, Weiss und Martin griffen dabei auf unterschiedliche historische Fakten und Motive – darunter auch solche, die der Welt des Imaginären entsprungen sind, wie etwa Fantasiewesen (Drachen, Riesen) und Magie – zurück, und arrangierten sie zusammen mit fiktionalen Elementen zu einer in sich geschlossenen Erzählwelt. Das zeitliche Spektrum reicht von der Antike (z.B. die Revolte gegen bzw. die Ermordung von Jon Snow durch die Mitglieder der Nachtwache, die der von Julius Caesar nachempfunden ist; die Gladiatorenkämpfe in der Arena von Meereen) über das Mittelalter (die feudalistische Organisationsstruktur der Königshäuser in Westeros; die offensichtlichen Anleihen bei den „Rosenkriegen“ genannten Auseinandersetzungen zwischen den beiden rivalisierenden englischen Adelshäusern York und Lancaster im späten 15. Jhd.; die verschiedenen Verkörperungen eines ritterlichen Ideals [Brienne of Tarth] bzw. deren Pervertierung [Sandor „The Hound“ Clegane sowie Jaime Lannister]) bis weit in die Gegenwart hinein (die Debatten um die Integration der sogenannten „Freien Völker“, die jenseits der Mauer leben und auf der Flucht vor den „White Walkers“ sind).

Das Erfolgsrezept der Serie beruht schließlich auch darauf, dass sie in ihrer pessimistischen Grundfärbung an das kollektive Bewusstsein der (vor allem) westlichen Gesellschaften anknüpft. Die Welt von Game of Thrones erscheint als ein Reich, das seinen Zenit unwiederbringlich überschritten hat (auch wenn seine Herrscherfiguren dies noch gar nicht richtig begriffen haben) und deren Protagonisten sich in Erinnerungen an eine nostalgische Vorzeit klammern, die um einiges überschaubarer anmutet als die Gegenwart. Die Serie spiegelt damit jene Post-9/11-Realität wider, in der auch wir uns seit einigen Jahren befinden: komplex, fragmentiert und bisweilen unübersichtlich, mit wackeligen Allianzen und Friedensschlüssen, die oft nur von sehr kurzer Dauer sind.

Auch wenn die „White Walkers“ nicht, wie gerne angenommen, eine Allegorie für den drohenden Klimawandel sind, haben diese (oft impliziten) Bezüge zur Aktualität Game of Thrones jenes Identifikationspotenzial verliehen, das den Einfluss und die Akzeptanz der Serie weit über die Publikumsgrenzen des Fantasy-Genres hinaus erklärt.

Ciné-conférence: Geschichte und Politik in Game of Thrones

Pünktlich zur Ausstrahlung der achten und letzten Staffel findet am kommenden Samstag (27. April) von 10-13 Uhr im „Centre national de l’audiovisuel“ (CNA) in Düdelingen ein öffentlicher Vortrag (auf Luxemburgisch) statt, in dem sich Filmhistoriker Yves Steichen mit der Darstellung von Geschichte und Politik in Game of Thrones beschäftigt.

Für die Veranstaltung, die im Rahmen des Konferenzzyklus Film und Politik – in Zusammenarbeit mit dem „Zentrum fir politesch Bildung“ (ZpB) – stattfindet, können sich Interessierte unter der E-Mail info@zpb.lu anmelden; die Plätze sind limitiert. Der Eintritt ist frei.