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Kampfstil Ving Tsun Kung Fu„Selbstverteidigung beginnt mit dem Angriff des Gegners“

Kampfstil Ving Tsun Kung Fu / „Selbstverteidigung beginnt mit dem Angriff des Gegners“
Ving-Tsun-Kung-Fu-Trainer Georges Weisgerber bei einer Partnerübung im Vereinstrainingszentrum in Beggen Foto: Ving Tsun Kung Fu Luxembourg

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Bewegungen, die fließendem Wasser ähneln, Knochenarbeit, Konditionierung und Partnerarbeit auf Augenhöhe: Ving Tsun Kung Fu ist eine spirituelle Kampfkunst. In Luxemburg wird sie in einem kleinen Verein in Beggen unterrichtet. Daisy Schengen ließ sich vom Vereinspräsidenten erklären, warum Selbstverteidigung für jeden funktioniert, jedoch die Technik nicht in wenigen Wochen zu erlernen ist.

„Der Angriff des Gegners gibt den Startschuss für die eigene Verteidigung“, sagt Georges Weisgerber, Präsident des Ving-Tsun-Kung-Fu-Vereins in Luxemburg, den er gemeinsam mit seiner Frau Françoise Leurs gründete.

Obwohl laut Definition Ving Tsun eine asiatische Kampfsportart ist, geht es im Beggener Trainingszentrum nicht primär um Wettbewerbe und Kämpfe. „Wir alle trainieren um dem Sport willen, für uns selbst und auch um sich selbst zu verteidigen“, erklärt Weisgerber.

Der Verein, der dem flämischen Wushu-Verband angegliedert ist, zählt derzeit etwa 15 Mitglieder. Trainiert wird in Beggen, immer montags, mittwochs und freitags zwischen 19 und 21 Uhr.

Der Verein hat derzeit rund 15 Mitglieder, die Übungen richten sich sowohl an Frauen als auch an Männer, unabhängig von Alter und Vorkenntnissen
Der Verein hat derzeit rund 15 Mitglieder, die Übungen richten sich sowohl an Frauen als auch an Männer, unabhängig von Alter und Vorkenntnissen Foto: Ving Tsun Kung Fu Luxembourg

Die Kurse richten sich an Frauen und Männer gleichermaßen, unabhängig von körperlicher Fitness oder auch Vorkenntnissen. Es gehe darum, zunächst solide Grundkenntnisse aufzubauen, um schrittweise zu höheren Graden zu gelangen, so die Vereinsphilosophie. „Wir wollen das Verständnis der fundamentalen Prinzipien und Konzepte des Ving Tsun fördern, um sie sowohl in einer realistischen Selbstverteidigung als auch im tagtäglichen Leben anwenden zu können“, heißt es online dazu.

Weisgerber trainiert hier die Ausführung der Bewegungen: Bewusst und fokussiert müssen die Bewegungen ausgeführt werden
Weisgerber trainiert hier die Ausführung der Bewegungen: Bewusst und fokussiert müssen die Bewegungen ausgeführt werden Foto: Ving Tsun Kung Fu Luxembourg

Lernen ist „Knochenarbeit“

Beim Training in Beggen handele es sich um ein „bodenständiges System, um Knochenarbeit“, sagt Georges Weisgerber. „Man muss nicht trainieren, bis man eine Technik erlernt hat, sondern bis man ein Verhalten verinnerlicht hat“, erklärt der Trainer den entscheidenden Unterschied. Eine Bewegung müsse abertausendmal wiederholt werden, damit sie zum Automatismus werde.

Warum die Verinnerlichung von Bewegungsabläufen im Notfall entscheidend sein kann, schildert Weisgerber an folgendem Beispiel: „Stellen Sie sich vor, Sie werden überfallen und in der Stresssituation, voller Angst um das eigene Leben, müssen Sie sich in Bruchteilen einer Sekunde an die richtigen Bewegungsabläufe und Trainingssituationen erinnern, um sich gegen den Aggressor zu verteidigen. Das funktioniert nur, wenn die Bewegung zum Automatismus geworden ist.“

Letzterer lässt sich nur mit viel Training und über längere Zeit erreichen. Neben Händen, Fäusten, Stöcken werden im Ving Tsun auch lange Messer eingesetzt, die an geschwungene Piratensäbel erinnern.

Gemeinsam üben und voneinander lernen: die Teilnehmer eines Trainingscamps mit Ving-Tsun-Meister Philip Beyer (Mitte, in Blau)
Gemeinsam üben und voneinander lernen: die Teilnehmer eines Trainingscamps mit Ving-Tsun-Meister Philip Beyer (Mitte, in Blau) Foto: Ving Tsun Kung Fu Luxembourg

Das Training im Verein verfolgt mehrere Ziele, angefangen bei Schlagkraft, Schlagbereitschaft, Timing, Gleichgewicht, Strategie erlernen bis hin zum Willen, sich selbst zu verbessern. Speziell abgestimmte Übungen tragen dazu bei, diese Ziele zu erreichen.

Wie sehr „Knochenarbeit“ den Kampfsport Ving Tsun prägt, offenbart der zweite Teil des Vereinsnamens. Entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch von Kung-Fu als Sammelbegriff für asiatische Kampfsportkunst, steht die wörtliche Übersetzung für „etwas durch harte, geduldige Arbeit Erreichtes“.

Weisgerber beschreibt es so: Bewusst und fokussiert Bewegungen ausführen, sich ihren Sinn und Zweck in der Trainingssituation vor Augen führen. Anfangs geschieht alles sehr langsam, erst im Laufe des Trainings, wenn die Bewegungsabläufe routinierter werden, gehe man zum nächsten Level über und führe sie schneller und variantenreicher aus.

Hier übt Françoise Leurs, Mitbegründerin von „Ving Tsun Kung Fu Luxembourg“, mit einem Partner
Hier übt Françoise Leurs, Mitbegründerin von „Ving Tsun Kung Fu Luxembourg“, mit einem Partner Foto: Ving Tsun Kung Fu Luxembourg

Rücksicht und Teamarbeit

Beim Beggener Verein steht vor allem die Partnerarbeit im Vordergrund. „Bei uns geht es nicht darum, zu beweisen, wer im Zweierteam stärker ist, sondern darum, dass mein Gegenüber in der Partnerarbeit auch die Bewegung üben kann“, so Weisgerber. Er vergleicht den Lernprozess mit dem Schreibenlernen – als ein aufeinander aufbauendes System mit mehreren Einheiten, das in seiner Entwicklung von einem Partner begleitet wird. „Man baut Wissen und sich selbst (als Person) auf.“

Das passiere nicht im Handumdrehen: „Es braucht viel Zeit und viel Training.“ Heutzutage, sagt der Trainer, leben wir in einer Welt, in der wir uns alles und viel kaufen können, und alles sofort zu haben ist. Das gelingt aber weder beim Ving Tsun noch bei irgendeiner anderen Sportart. Denn es gehe nicht um Kampf, sondern ums Trainieren, ums Zeitinvestieren, ums ständige Streben nach Verbesserung – „man kommt nie ans Ziel“.

Der Legende nach ist dieser Stil von einer Frau erfolgreich praktiziert worden und gelangte nach vier Generationen zu Yip Man, der bis zu seinem Tode 1972 in Hongkong unterrichtete. Der wohl erfolgreichste Kämpfer unter Yip Mans Schülern war Wong Shun Leung, der an der Entwicklung des Ving Tsun in Hongkong maßgeblich beteiligt war.

Durch seinen Schüler Philipp Bayer (siehe Infobox) erreichte Wongs Ving Tsun in den 80er Jahren Europa und erfreut sich seither immer größerer Beliebtheit, berichtet der Luxemburger Verein auf seiner Homepage.

In der ursprünglichen Idee von Ving Tsun ging es darum, Dinge ohne Kraft zu erreichen. Noch heute bedeutet das nicht, dass man ohne Krafteinsatz kämpfen sollte, sondern sich nicht von einer Gegenkraft ausbremsen lassen darf. „Man muss wie Wasser sein, wie weiches Wasser, das auf einen Felsen trifft und ihn umspült“, beschreibt Weisgerber. So flink und fließend sollen auch die Bewegungen sein, wenn man einen Angriff abwehrt. Die Kraft des Wassers bleibt immer bestehen, egal wie stark der Felsen ist, der sich ihr in den Weg stellt.

Hat man erst mal diese Idee verinnerlicht, kann sich jeder Mensch verteidigen, ob riesengroß oder eher klein, sagt der Trainer. „Wird mein Angriff plötzlich gestoppt, passe ich mich blitzschnell an und suche eine neue Möglichkeit.“ Außerdem besagt die Philosophie, stets schlagbereit zu sein und bei allen Bewegungen kurze Wege anzustreben.

Problematisch sieht der erfahrene Trainer die Methoden aus anderen Kampfkünsten, wo es den Teilnehmern plausibel gemacht wird, dass sie sich durch die im Kurs erlernten Übungen auch gegen Messerangriffen wehren können. Einerseits sei dies problematisch, es als Unbewaffneter mit einem bewaffneten Gegner aufzunehmen, andererseits sei es fraglich, ob man in der Stresssituation alle Punkte der gelernten Übungen so abrufen könne, um sich erfolgreich zu verteidigen, bezweifelt Weisgerber.

Machte in Europa den asiatischen Kampfsportstil bekannt: Philip Bayer (Mitte) mit den luxemburgischen Trainern Françoise Leurs und Georges Weisgerber
Machte in Europa den asiatischen Kampfsportstil bekannt: Philip Bayer (Mitte) mit den luxemburgischen Trainern Françoise Leurs und Georges Weisgerber Foto: Ving Tsun Kung Fu Luxembourg

„Der Körper als Einheit“

Ving Tsun wurde entwickelt, um einen Feind schnellstmöglich auszuschalten. Alter, Geschlecht oder extreme physische Beeinträchtigung spielen keine Rolle, wenn ein Ving-Tsun-Praktizierender es mit einem oder mehreren Gegnern zu tun hat, schreibt Philip Bayer, Gründer der „Ving Tsun Kung Fu Association Europe“ in einem Artikel von 2016.
Bayer selbst begann bereits in den 70ern, sich mit Kampfkunst zu beschäftigen. Als er in den 80ern seine linke Hand verlor, ging er nach Hongkong und ließ sich in der Lehre des Ving Tsun Kung Fu ausbilden.
Geschwindigkeit, Timing, Schlagdistanz, Genauigkeit helfen jeden Gegner zu begegnen, jedoch ist das alles nutzlos, wenn die erforderliche Schlagkraft fehlt, um ihn auch tatsächlich zu stoppen, erklärt Philip Bayer in einem Beitrag für die Fachzeitschrift Wing Chun Illustrated.
Genetische Voraussetzungen oder ein Kampf zwischen Frau und Mann können die Ausgangsbedingungen erschweren. Doch wie schafft man es trotzdem, die berühmte Schlagkraft zu entwickeln? „Um Schlagkraft zu entwickeln, muss man eine Struktur schaffen, die den gesamten Körper als Einheit nutzt und alle Muskeln in die Schlagrichtung ausrichtet“, so Bayer. Vor allem für Menschen, die eher klein und zierlich sind, sind dies die Voraussetzungen zum Erfolg. Keine Tricks, sondern intelligente Nutzung der eigenen Ressourcen. Oder wie Bayer es ausdrückt: Der entscheidende Faktor bei der Entwicklung der Schlagkraft ist die sehr schnelle Rotation der Körperachse.

 „Ving Tsun Luxembourg“

Georges Weisgerber & Françoise Leurs
Web: vingtsun.lu
Tel.: +352 691 38 28 97
Info@vingtsun.lu