«Noch vor einigen Jahren (nach der Finanzkrise) hatten wir Sorgen. Wir hatten zu wenig Wachstum», so Wirtschaftsminister Etienne Schneider zu Beginn seiner Rede. «Heute ist das nicht mehr der Fall.» Manche Menschen «verteufeln» das Wachstum heute sogar, so der Minister weiter. Sie sehen die immer länger werdenden Staus auf den Straßen und die ewig steigenden Immobilienpreise. «Doch Gott sei dank haben wir heute wieder Wachstum – wir brauchen es, um unser Sozialsystem zu finanzieren», sagt Schneider. Die große Frage aber sei: «Wie gestalten wir das Wachstum künftig auf eine nachhaltige Art und Weise?» Damit hat der Initiator des Prozesses in wenigen Sätzen zusammengefasst, was das Ziel des Projekts ist. Er will das Land auf die Zukunft vorbereiten.
Dass viele Menschen heute eher die negativen Seiten des Wachstums sehen als früher, erklärt sich der Minister damit, dass der Wohlstand nicht mehr so gut verteilt wird wie vor der Finanzkrise. «Früher stieg das verfügbare Einkommen der Menschen jedes Jahr um rund zwei Prozent», so Schneider. Heute sei es deutlich weniger.
PROTEST
Das «Mouvement écologique» hatte am Donnerstagmorgen eine Protestaktion vor dem Grand Théâtre organisiert. Man freue sich zwar über den Rifkin-Prozess – er reiche aber nicht aus, so die Aussage. Eine wahre Grundsatzdebatte über die Zukunft des Landes habe bisher nicht stattgefunden.
Die negativen Seiten des Wachstums
Dies zeige, dass man neue Modelle benötige, so der Minister weiter. Und der Rifkin-Prozess ist eine langfristige Vision, eine, die über politische Wahlperioden hinausgeht, die erarbeitet wird. Gleichzeitig wird beim Prozess versucht, möglichst viele Menschen mit einzubinden. Und so waren es rund 350 Personen, die bisher in Arbeitsgruppen in verschiedenen Themenbereichen (bspw. Nachhaltiges Bauen, Mobilität oder Energie) mitgearbeitet haben.
All diese Bereiche verbindet, dass sie mit der fortschreitenden Digitalisierung vor fundamentalen Veränderungen stehen. Der Star Jeremy Rifkin, dessen Namen der komplette Prozess trägt, und der anfangs das Projekt mit gestartet hat, war gestern nicht mehr mit dabei. Seine Person war ein Aufhänger, um die Debatte um die dritte industrielle Revolution ans Laufen zu bringen, so Schneider. «Mittlerweile kommen wir selbst gut voran. Gemeinsam wurden viele Ideen entwickelt – und sie befruchten sich gegenseitig.»
Unterschiedliche Themen, gemeinsam behandlet
Dass viele unterschiedliche Themen in diesem Prozess gemeinsam behandelt werden, sieht auch Carlo Thelen von der Handelskammer als Stärke des Projekts. Wirtschaftlich gesehen hofft er, dass im Laufe des Prozesses eine «Exit-Strategie aus unserem aktuellen nicht-nachhaltigen Wachstumsmodell» entwickelt werden könne.
Wie genau das in Zukunft aussehen soll, bleibt vorerst unklar. Klar jedoch ist, dass «die Welt sich verändert, und dass wir neue Wege finden müssen», so Christian Scharff von IMS Luxembourg. «Wir haben gar keine andere Wahl. Es gibt keine Alternative zur Suche eines neuen Weges.» Eine Luftverschmutzung, wie es sie beispielsweise in Neu Delhi gibt, wolle man hierzulande jedenfalls nicht.
Um den partizipativen Charakter des Prozesses hervorzuheben, erhielten gestern zudem 12 Schüler und Studenten, die bei einem Innovation Camp der «Jonk Entrepreneuren» teilgenommen haben, die Gelegenheit, ihre eigenen Ideen vor fünf Ministern zu präsentieren. Mit dabei waren neben dem Wirtschaftsminister noch der Finanzminister, die Ministerin für Umwelt, der Minister für Nachhaltigkeit und Infrastruktur sowie der Minister für Arbeit.
Exit-Strategie aus Wachstumsmodell
Die Schüler haben unter anderem vorgeschlagen, ein Spiel zum Thema Energieeffizienz in den Schulen einzuführen. Oder dass gewisse Haushaltsgeräte zwischen den Bewohnern von Apartment-Wohnungen gemeinsam benutzt werden könnten. Weiter sind sie der Meinung, dass vor allem der Staat in der Pflicht stehe. Er müsse die Rolle des Vorreiters und des Sponsors (mittels staatlicher Beihilfen) einnehmen. Die Schüler bemängelten aber auch, dass das Thema «Rifkin» in den Schulen nur sehr wenig thematisiert werde.
Nach den Schülern erhielten Vertreter von unterschiedlichen Berufskammern die Gelegenheit, ihre Ideen zum Thema vor den Ministern zu erläutern.
Jean-Claude Reding von der «Chambre des salariés» wies darauf hin, dass die Digitalisierung es bisher nicht geschafft habe – im Gegensatz zur Theorie – Arbeit und Freizeit miteinander in Einklang zu bringen. Vielleicht sollte man ein gesetzliches Recht einführen, das Mitarbeitern erlaubt, in ihrer Freizeit nicht ständig per Handy erreichbar zu sein, sagte er. Immerhin würden heute die meisten Menschen mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten. Dies müsse künftig besser organisiert werden. Das werden Zukunftsherausforderungen für den nationalen Sozialdialog.
Abgeschlossen ist der Rifkin-Prozess somit noch lange nicht. «Vieles bleibt in den nächsten Jahren zu tun», so der Wirtschaftsminister. Die nächste Etappe wird eine Debatte im Landesparlament sein, die nächste Woche stattfindet.
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"Wachstum – wir brauchen es, um unser Sozialsystem zu finanzieren"
Das sagt auch jeder Schneeballsystembetrüger.
Jeder nicht endender Wachstum führt zum Niedergang und immer nur höher Pokern ist kindisch
Aktuell steht zur Auswahl: Wirtschaft à la "Rifkin-Ideologie" versus "Mutter-Theresa-Wirtschaft" (siehe die Auslassungen der Großherzogin zum zukünftigen Wirtschaftsmodell)