Ein bisschen wie Justin Vernon damals, als er das bereits Tage nach seiner Veröffentlichung als Meisterwerk gefeierte „To Emma, Forever Ago“ in einer Hütte im Wald schrieb, kann man sich Priscila Da Costa vorstellen, als sie im September 2021 Gitarren, Synthesizer, Laptop und Bassdrum einpackt und sich für eine Woche nach Bourscheid begibt, um dort im Chalet eines Freundes an „Balanced Darkness“ zu werkeln – einer Platte, die kompromissloser, persönlicher und gefährlicher klingen soll, als alles, was Da Costa bisher mit ihrem Projekt aufgenommen hat.
Vor diesem Rückzug gab es allerdings einen weiteren: 2018 begab sich die Musikerin in ein Ayahuasca-Retreat im Peru und nahm dort an drei schamanischen Zeremonien teil, um sich mit ihren Dämonen auseinanderzusetzen und so mithilfe von neuen Herangehensweisen alte Traumata aufzuarbeiten.
„Davor ging es mir echt mies“ erklärt die Musikerin, die sich anfangs vergangener Woche im Rahmen einer Residenz im Club der Rockhal auf das Release-Konzert vorbereitete. Da Costa redet ehrlich, bestimmt und transparent über die Geburt dieser doch sehr persönlichen und streckenweise dunklen Platte. „Die Auseinandersetzung mit spiritualistischen Denkweisen half mir erst nicht richtig weiter, weil einem dort ständig eingebläut wird, man solle den Schwerpunkt auf die positiven Ereignisse legen. Das führte bloß zu mehr Verdrängung. Während des Ayahuasca-Rituals erfährt man, dass auch unsere Schattenseiten ein wichtiger Bestandteil von uns sind – und man lernt, damit umzugehen, ohne sie zu verdrängen. Dies half mir, aus einer Konstellation auszubrechen, in der ich mich als Opfer positionierte, um so die Kontrolle über mein eigenes Leben zurückzuerlangen.“
Daher auch der Albumtitel, „Balanced Darkness“: „Dinge sind selten schwarz-weiß, auch wenn unser Ego leichter damit klarkäme, wenn dem so wäre. Der Plattentitel bezieht sich darauf, dass wir nur dann ein inneres Gleichgewicht erlangen, wenn wir auch unsere Schattenseiten akzeptieren.“ Dieses Paradoxon zwischen Licht und Dunkelheit fängt der Opener „Shamanic Lullaby“ am besten ein. Die schamanischen Chöre sind sanft wie ein Schlaflied, ihnen wohnt aber etwas Bedrohliches inne, das die Zuhörer*innen auf das einstimmt, was auf sie zukommt – eine musikalische Reise, deren Etappen dem Ablauf eines Ayahuasca-Rituals huldigen und so Da Costas innere Metamorphose von Momenten der Verzweiflung bis hin zum finalen Hoffnungsschimmer nachzeichnen.
Kompromisslos und facettenreich
„Während du in einem Zustand der veränderten Wahrnehmung bist, wirst du deinen schlimmsten Ängsten gegenübergestellt. Meinem ärgsten Dämon habe ich im Song ‚My Darkest Creature‘ einen Stellenwert gegeben, sodass er mich im Alltag nicht mehr so leicht überrumpeln kann. Auf ‚Inspiration‘ verarbeite ich die Tatsache, dass es meistens diese dunkleren Seiten sind, die unsere Kreativität anspornen und beispielsweise dazu führen, dass ich Songs schreibe, Videos drehe. Die Songs der Platte sind alle von der Erfahrung im Peru inspiriert – das, was dort in mir losgetreten wurde, hat über ein, zwei Jahre in mir gearbeitet und mich letztlich zum Schreiben der Songs verleitet.“
Einer dieser Tracks heißt „Fado“ und kennzeichnet sich dadurch aus, dass er, im Gegensatz zu den anderen sechs Tracks mit Lyrics (der Opener und „Universal Feedback“ sind instrumental), auf Portugiesisch ist. Dieses vielleicht spannendste Experiment der Platte, im Laufe dessen sich bedrohliche Synthies und ein tribales Schlagzeug unter die klassische Fado-Melodie schieben, ergab sich, weil Da Costa seit ein paar Jahren parallel ein Projekt betreibt, bei dem sie nur auf Portugiesisch komponiert und so ihrer Herkunft huldigt.
„Wenn ich auf Portugiesisch schreibe, sind meine Lyrics einfacher, dafür aber authentischer und intimer. Dies macht mir so viel Spaß, dass nächstes Jahr eine EP mit nur Songs auf Portugiesisch erscheinen wird.“ Diesbezüglich soll auch das Release-Konzert einen kleinen Teaser in petto haben.
Dass das Album so kompromisslos klingt, ist unter anderem auch dem Lockdown geschuldet. „Genau ein Tag vor einer Release wurde diese wegen der Pandemie abgesagt. Das war einerseits sehr frustrierend, andererseits aber habe ich festgestellt – weil mir das plötzlich abhandengekommen war – , wie sehr ich stets von der Anerkennung anderer abhängig war. Weil ich während der Pandemie eh auf diese Ego-Boosts nach einem Auftritt verzichten musste, lernte ich, mich viel weniger um das zu scheren, was andere dachten – und ging ohne Erwartungsdruck an den Schreibprozess dieser Platte heran.“
Das spiegelt sich auch bei der Live-Umsetzung. Ihren Mitmusikern lässt die Musikerin zwar nach wie vor einen gewissen Freiraum, aber im Gegensatz zu vorigen Platten, bei denen sie nur Akkorde auf der Gitarre komponierte und dann mit der Struktur des Songs an ihre Musiker*innen herantrat (die bei der Umsetzung dann alle möglichen Freiheiten hatten), hat Da Costa diese Platte viel sorgfältiger durchkomponiert, sodass es ihr überaus wichtig ist, dass die Live-Umsetzung den Gesamtton der Platte einfängt – „ich wollte beispielsweise weg von allzu deutlichen, klassischen Genre-Verankerungen wie beispielsweise Blueseinflüssen“.
Heutzutage eine Platte zu veröffentlichen bedeutet nicht bloß, gute Musik anspruchsvoll aufzunehmen und in Plattenläden (falls es denn noch welche gibt) und auf Streamingdiensten verfügbar zu machen: In einem Zeitalter, das der Langeweile den Krieg erklärt hat und diese mit einer nicht versiegenden Flut an Informationen und Abwechslung bekämpft, gilt es, ständig in aller Munde zu bleiben: „Ich habe dieses Release-Konzert bereits vor einem Jahr sehr sorgfältig geplant – so haben wir innerhalb des letzten Jahres fünf Singles veröffentlicht, jeweils mit einem Videoclip und Behind-the-scenes-Material, um die Menschen bei der Stange zu halten.“
Dieses Diktat des ständigen Content-Generierens mag anstrengend klingen, führt aber auch dazu, dass man sich detaillierter mit dem eigenen Material auseinandersetzt. So fiel während der Videoclip-Drehs auf, dass sich jeder einzelne Track mit einem anderen Element befasste – eine Gegebenheit, die zu einem Bühnenbild führte, das Da Costa selbst designt hat und dessen liebevolle Details die Zuschauer*innen am Samstag, mitsamt eines Programmes, das sich sehen lassen kann (siehe Infokasten), in der Rockhal entdecken können.
Info
Das Konzert findet am Samstag, dem 21. Januar ab 20.00 Uhr (Einlass) in der Rockhal statt. Vor dem Auftritt von Ptolemea (neues Line-up: Sarah Kertz (Synthies, Percussion, Backing Vocals), Martin Schommer (Schlagzeug), Remo Cavallini (Gitarre) und Priscila Da Costa (Gesang und Gitarre) stellen die Metaller von Scarred während einer exklusiven Show ihre neue, ungewohnt minimalistische EP „Patience“ vor. Den Auftakt machen AFTL, ein Projekt von Kevin Muhlen und Angelo Mangini, an dem der isländische Künstler und Poet Áfa mitwirkt.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können