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EditorialRegime Change: Was Asselborn und Juncker übersehen

Editorial / Regime Change: Was Asselborn und Juncker übersehen
Der Blick ins Archiv zeigt, dass Jean-Claude Juncker 2007 noch glaubte, Putin sei „ein russischer Demokrat auf dem Weg in die Lupenreinheit“ Foto: Editpress/Alain Rischard

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Jean Asselborn will Putin „physisch eliminieren“, Jean-Claude Juncker versteht Putins Wandel nicht so recht und alle erklären Russlands Autokraten für verrückt – ganz so, als ob dieser Konflikt vom Himmel gefallen sei. Putin ist zwar ein miserabler Stratege, geschickt im Taktieren, doch: Im Syrien-Krieg zeigte er unlängst, was er politisch in der Ukraine vorhat.

Man sollte sich nichts vormachen: Moskau geht es um Interessen und um Anerkennung. Putins fragile Männlichkeit wurde erstmals 2014 erschüttert. Der damalige US-Präsident Obama nannte Russland eine regionale Großmacht. Was für Normalsterbliche harmlos klingt, ist in der Arena überdimensionierter Egos eine persönliche Kriegserklärung: Das ständige UN-Sicherheitsratsmitglied Russland derart zu kränken, half Putin dabei, die Krim-Annexion via Anfeuerung des ethnischen Nationalismus zu legitimieren. Kommt Ihnen bekannt vor? Stimmt: Auch in der Vorbereitung des aktuellen Ukraine-Kriegs schürte Putin ethnische Spannungen im Osten des Landes, indem er die Separatistengebiete anerkannte – und dadurch substanziellen Rückhalt zu Hause genoss.

All dies ist also nicht die Handlung eines Wahnsinnigen. Nein, es sind Akte eines übermütigen Kriegstreibers, der jüngst ein wenig zu viele Erfolge im Nahen Osten feierte. Nachdem Russland Anfang der 2010er Jahre in die Defensive geriet, wurde das Land 2015 zum Game Changer in Syrien. Im Sommer schickte Russland Truppen, um Diktator Assad im Sattel zu festigen. Das Ziel: strategische Zugänge zu sichern und die internationale Isolation nach der Krim-Krise zu beenden. Was auch teilweise gelang. Assad ließ die Russen wieder kostenlos und unbefristet den Hafen südöstlich von Latakia benutzen. Er wurde zum Luftwaffenstützpunkt ausgebaut. Heute können nuklearfähige Jets dort landen. Der russische Militärstützpunkt Tartus im syrischen Latakia blieb so der zentrale Zugang zum Mittelmeer. Putin sicherte sich inmitten des internationalen Kampfs gegen Assad und die Terrororganisation IS den Zugang zur einzig großen syrischen Hafenstadt am Mittelmeer. Die russische Präsenz in Syrien blieb so von zentraler Bedeutung. Sie ist bis heute einer der wichtigsten russischen Versorgungsknoten für die Schwarzmeerflotte.

Inwiefern ist dies aber mit Blick auf die Ukraine relevant? Nun, der Kreml setzte seine Interessen durch und sah sich bestätigt in seinem rücksichtslosen Vorgehen. Der kleine Haken: Die vollständige militärische Hemmungslosigkeit, taktisch kurzfristige Manöver, absurde Propaganda und überschaubare Diplomatie. Was zu keinem Zeitpunkt eine Rolle spielte: humanitäres Recht. Auch hier zeigen sich die Parallelen zu heute, die eben nicht auf irrationales, sondern auf eiskalt kalkuliertes und kriegserprobtes Vorgehen hindeuten. So wie jetzt in der Ostukraine Angriffe als Vorwand dienten, um Krieg gegen angebliche Nazis und Drogis zu führen, so waren es auch in Syrien „false flag“-Einsätze, die den Gegner delegitimieren sollten. Unsere leicht erinnerungsschwachen Politiker haben vielleicht noch den Giftgasangriff von Chan Schaichun im Hinterkopf. Damaskus wurde offiziell für die Attacke verantwortlich gemacht, Russland tat die Ermittlungen jedoch als derart miserabel ab, dass sich bis heute die hirnrissigsten Verschwörungstheorien halten. Genau dies ist aber ein Zeichen für Russlands „erfolgreiche“ hybride Kriegsführung: Solange sich Unterstellungen, zugespitzte Erzählungen und Widersprüche verbreiten, wirken eindeutige Fakten fälschlicherweise als eine von vielen Wahrheiten. Ein Phänomen, das nicht nur in Kriegen, sondern auch während der Pandemie beobachtbar ist.

Heißt: Putin hat bereits im Syrien-Krieg seine militärische Taktik erproben können. Neue Waffen wurden getestet, Propaganda auf ein anderes Level gehoben und russische Interessen im Nahen Osten wie zu Sowjetzeiten gesichert. Wer also heute entsetzt feststellt, dass der russische Präsident nur noch per Hinrichtung aus dem Weg geräumt werden kann oder sich schlicht nicht mehr daran erinnert, wie es mit Putin bloß so weit kommen konnte, übersieht vielleicht Folgendes: Wir haben verdammt lange mit einem Staatsterroristen „Bizness“ gemacht und vergessen, dass sein von uns halbherzig bekämpfter Krieg in Syrien nur das militärische Vorspiel zum Angriff auf die Ukraine war.

jean-pierre.goelff
3. März 2022 - 15.43

Eisen Claudi,an och diën,diën do am Hannergrond grinst eweï een Camion diën frësch getippt huët,hun sech,eweï esou vill Leit,vum Vladimir u......... geloos!