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Trotz SanktionenWarum die offizielle Keml-Propaganda noch immer durch das Netz geistert

Trotz Sanktionen / Warum die offizielle Keml-Propaganda noch immer durch das Netz geistert
„Emotionale Überwältigung statt Vernunft“: deutschsprachige RT-Startseite am 5. November 2023  Bild: Screenshot

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Die Waffen Russlands im Informationskrieg schießen weiter: Die Staatsmedien RT und Sputnik sind in der EU trotz Sanktionen mit banalen Tricks erreichbar. 

Sie sind die Waffen Russlands im Informationskrieg: die Staatsmedien RT und Sputnik. Seit Jahren verbreiteten sie prorussische – und antiwestliche – Inhalte in Europa. Den Auftrag der Kreml-Outlets erläuterte die Politologin Susanne Spahn gegenüber dem Tageblatt im März des vergangenen Jahres so: Sie sollen in den westlichen Staaten eine Gegenöffentlichkeit herstellen, die Demokratie angreifen und als dysfunktional darstellen. „Auf der anderen Seite wird das autoritäre System Russlands positiv gezeichnet – und Präsident Putin als effektiver Krisenmanager in Szene gesetzt“, sagte Spahn. 

Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 und mit den darauf folgenden Sanktionen der Europäischen Union sollte Schluss sein mit der Propaganda aus Moskau. „In einem nie dagewesenen Schritt setzten wir die Lizenzen für die Propaganda-Maschine des Kremls aus“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Russia Today und Sputnik und all ihre Subunternehmen werden nicht mehr in der Lage sein, ihre Lügen zu verbreiten, um Putins Krieg zu rechtfertigen und die Union zu spalten.“ Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel nannte RT im selben Zuge einen Teil eines „aggressiven militärischen Akts“. Die Medien seien „eine Waffe des russischen Staats und ein integraler Teil in diesem Krieg“. Luxemburg habe sich dafür starkgemacht, eine europäische Lösung zu finden, die es ermöglicht, dass konzertiert gegen die verschiedenen Diffusionskanäle der genannten Gruppen vorgegangen werden kann.

Das ist RT

„Wenn sich Russland im Krieg befindet, sind wir natürlich auf der Seite Russlands.“ Das sagte die RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan in einem Interview im Jahr 2012. Ihrer Ansicht nach hatte Russland den „Informationskrieg“ im Zuge des russischen Einmarsches in Georgien verloren, weil ihr Sender zu wenig Geld vom Kreml bekommen hatte. Das sollte sich in Zukunft ändern. Laut dem Portal Statista liegt es für die Jahre 2022 bis 2024 bei über 28 Milliarden Rubel jährlich, rund 300 Millionen Euro. 

„RT versteht es, in seinen Berichten an der Trennlinie zwischen Andeutung und Fehlinformation zu bleiben. Oft werden falsche Aussagen anderer Personen zitiert“, schreibt die Webseite Correctiv. Demnach verbreite RT seit Kriegsbeginn auch Falschinformationen, wie beispielsweise über eine 70-prozentige Gehaltserhöhung ukrainischer Abgeordneter.

Das gemeinnützige Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), das zu den Themen Verschwörungsideologien, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus forscht, sagt, dass die russische Desinformation auf „fruchtbaren Boden“ trifft. „Es ist ein Angriff auf die Demokratie als solche.“

Am 2. März wurden die Sanktionen gegen RT und Sputnik im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Das erlaubte beispielsweise dem Luxemburger Satellitenbetreiber SES, den deutschsprachigen Fernsehkanal „RT“ vom Transponder zu werfen. Aber: Auf seinen Internetseiten konnte RT erst einmal munter weiterfunken. Das lag anfangs auch an der vagen Kommunikation seitens der EU-Kommission, die einigen Interpretationsspielraum zuließ. Die zuständige Medienaufsichtsbehörde in Deutschland entschied, dass die „RT-Webseiten und die dort eingestellten Artikel“ unter die Sanktionen fallen. Im Luxemburger Staatsministerium ging man jedoch vom Gegenteil aus. „Der Fokus des ersten Sanktionstextes zu den Propaganda-Instrumenten handelt vor allem von den Broadcast-Medien, die ‚one-to-all’ gestreamt werden. In diesem Sinne sind die Websites nicht davon betroffen“, erklärte die Behörde Anfang März 2022. Brüssel selbst bestätigte erst nach mehreren Tageblatt-Anfragen, dass die Sanktionen „ungeachtet des Verteilungskanals“ wirkten und auch die Webseiten betreffen. Das lag wohl auch an der Bedenkzeit, die die EU-Stelle „Berec“ benötigte. Dieses „Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation“, das in Riga zu Hause ist, befand am 4. März 2023, dass die „Sperrung von RT und Sputnik weit gefasst ist und dass alle Websites darunter fallen“.

Soweit der Anspruch. Und die Wirklichkeit? 

„Anlässlich einer Vortragsreihe habe ich sämtliche RT DE-Seiten recherchiert. Es sind insgesamt zwölf Seiten mit mehr als sechs Millionen Aufrufen im August 2023.“ Das schreibt Susanne Spahn Anfang Oktober in einer Mail dem Tageblatt. Spahn hatte von Deutschland aus auf die sanktionierten Webseiten zugegriffen „Im Mai hatte ich noch insgesamt 1,8 Millionen Zugriffe auf den verschiedenen Seiten registriert.“ Die Politologin recherchiert seit Jahren zum Thema RT und Sputnik – und verzeichnet jetzt, anderthalb Jahre nach Kriegsausbruch und Sanktionen, wieder einen User-Aufschwung bei den beiden Medienportalen: „Dies zeigt, dass die Sanktionen der EU, die die Verbreitung der Inhalte von RT DE seit März 2022 verbieten, nicht greifen.“ RT sei nicht nur übers WWW, sondern auch über Social Media und Video-Portale erreichbar. „Auch Telegram ist wieder dabei, das schon gesperrt war“, sagt Spahn. 

Tatsächlich geistern RT und Sputnik auch im europäischen Teil des Internets munter weiter umher. Auch in Luxemburg. Das liegt an der technischen Struktur des Netzes.

Blockade per Listeneintrag

„Ohne die Möglichkeit, gezielt auf Internet-Flüsse Einfluss nehmen zu können, bleibt oft nur ein Blockieren auf dem Niveau der DNS-Server“, sagte ein Sprecher der Abteilung für Medien, Konnektivität und digitale Agenda des Staatsministeriums im Oktober gegenüber dem Tageblatt. Ein Sprecher des Luxemburger Chaos Computer Clubs (C3L) erklärt, wie diese Technik funktioniert: DNS-Server oder „Resolver“ sind sogenannte Namensserver. Sie sind die Stellen im Netz, die bei Ansurfen einer WWW-Adresse den Namen – zum Beispiel www.tageblatt.lu – in eine IP-Adresse übersetzen, die die Netzwerkmaschinen verstehen. Dafür gleicht der Server den Namen mit der Adresse auf einer Tabelle ab. Und die kann geändert werden. „Es muss nur ein Eintrag in einer Liste gemacht werden“, sagt der Sprecher. Dann sei RT über seine offizielle Adresse nicht mehr erreichbar. 

Luxemburger Internetanbieter haben ihre eigenen DNS-Server, auf die die Kunden bei Internet-Anfragen zugreifen. Claude Schuler vom Provider Visual Online erklärt, dass auf dem eigenen Namensserver sowohl die offizielle Internet-Adresse blockiert ist, die RT vor dem Krieg genutzt hat, als auch zahlreiche, stellenweise kryptischen Alternativ-Adressen, die sich der Sender im Zuge der Sanktionen zugelegt hat. „Wenn unsere Kunden, wie angeraten, unsere Resolver benutzten, dann sind die Sperren auch aktiv“, sagt Claude Schuler. Wirklich unzugänglich sind die Propaganda-Seiten damit für einigermaßen versierte Internet-Nutzer aber nicht. Denn, sagt Schuler: „Das Internet funktioniert anders.“ 

Es gebe eine Reihe Methoden, sich an so einer Provider-Sperre vorbeizumogeln. Mit einer VPN-Verbindung in Länder, die RT nicht blocken, könne man sich beispielsweise an der Sanktion „vorbeitunneln“. Aber auch kleine Änderungen an den Netzwerkeinstellungen des eigenen Computers oder Handys reichen – und RT ist wieder problemlos erreichbar. Denn nicht jeder Internet-Riese, der in Europa Geschäfte macht, legt die Sanktionen offenbar so streng aus, wie es sich Brüssel vorstellt. „Wenn sie beispielsweise die Resolver von Google oder Cloudflare nutzen, dann haben sie die Sperre zum jetzigen Zeitpunkt und Wissensstand schon überwunden“, sagt Schuler. Tatsächlich scheinen sich die superschnellen DNS-Dienste der beiden amerikanischen IT-Riesen nicht viel um die Sanktionen in Europa zu scheren. Beide spucken ohne nachzudenken die richtigen Adressen der Server der russischen Propaganda-Maschinen aus. „Da sollte man sich doch fragen, wieso man in Europa bei den Resolvern dieser Internet-Giganten an der Sanktion vorbeikommt“, sagt Schuler. 

Demokratisch fragwürdige Alternative

„Das Internet ist so konzipiert, dass es Störungen umgeht“, sagt der C3L-Sprecher. „Blockaden werden hierbei als Störungen angesehen.“ Und um die unliebsamen Inhalte von RT und Sputnik effektiver aus den Datenströmen herauszufiltern, müssten Methoden angewandt werden, die technisch komplizierter und demokratisch fragwürdig sind. „Die einzige Möglichkeit wäre, wie in China, eine ‚Great Firewall’ einzusetzen, die den gesamten Datenverkehr von Luxemburg durchleuchtet“, sagt der C3L-Sprecher. „Dies ist unserer Ansicht nach jedoch ein massiver Einschnitt in die Privatsphäre der Bürger und somit unter keinen Umständen zu befürworten“, so der Sprecher. 

Was tun mit den halbgaren Internet-Sanktionen? Die EU-Kommission, unter deren Ägide sie verhangen wurden, sieht selbst keine Strafe für Verstöße gegen sie vor. Gelten tun sie nichtsdestoweniger nach wie vor. „Die Europäische Union hat Sanktionen gegen russische Staatsmedien und/oder Medien, die unter dem Einfluss des Kremls stehen, verhängt, darunter RT und Sputnik, deren Übertragung und Ausstrahlung in oder aus der EU ausgesetzt wird“, heißt es einer Antwort der Kommission auf eine Tageblatt-Anfrage. „Es obliegt den jeweiligen Providern, den Zugang zu den Websites der von den Sanktionen betroffenen Medien zu sperren.“ Und es obliege den „zuständigen nationalen Behörden, alle erforderlichen begleitenden Regulierungsmaßnahmen zu ergreifen.“ Man stehe in dieser Angelegenheit mit den nationalen Behörden „in Kontakt“. 

Der Sprecher der zuständigen nationalen Behörde in Luxemburg, der Abteilung für Medien im Staatsministerium, sagt: „Sender wie RT oder Sputnik nutzen immer wieder neue Möglichkeiten für die Verbreitung ihrer Propaganda-Inhalte, welche Internet-Provider oft nur im Nachhinein erkennen und kontern können.“ Oft bleibe eben nur das Blockieren auf dem Niveau der DNS-Server, das mit dem entsprechenden Wissen umgangen werden könne. Dieses „Umgehen“ technisch zu überprüfen, sei sehr aufwändig. „Erschwerend kommt hinzu, dass die Sanktionstexte sehr generelle Vorgaben enthalten und keine kontinuierlich fortgeschriebene Angaben zu Domains, IP-Adressen oder ähnlichem enthalten.“ 

Claude Schuler von Visual Online sieht sich mit seiner DNS-Sperre auf der „rechtlich sicheren“ Seite. Die Sperre an sich sei bereits ein komplexes Thema. So müsse unter anderem sichergestellt sein, dass nicht gegen den Grundsatz der Netzneutralität verstoßen wird, sagt er. „Wenn das Sperren anfängt, wo hört es dann auf? Wann ist es Zensur?“ Wer solle in Zeiten der Kriege und Hetzen, der Falschinformationen und der Propaganda mit welcher Begründung und zu welchem Zweck was sperren? „Wer soll das bestimmen, auf welcher Rechtsgrundlage, und nicht zuletzt: Wie sollte es durchgesetzt und kontrolliert werden?“, fragt er sich. „Wir kontrollieren unseren eigenen DNS-Server, wir haben unsere Schuld erbracht.“