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Patin des PunkPatti Smith wird 75: „Meine Mission ist es, zu kommunizieren“

Patin des Punk / Patti Smith wird 75: „Meine Mission ist es, zu kommunizieren“
Was sie auch tut, tut sie immer mit der gleichen Leidenschaft: Geburtstagskind Patti Smith Foto: Hannah Mckay/EPA/dpa

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Sie ist Singer-Songwriterin, Rockmusikerin mit Punk-Attitüde, Lyrikerin, Schriftstellerin, Fotografin, Malerin und vieles mehr. Patti Smith tut also eine Menge unterschiedlicher Dinge, aber was sie auch tut, sie tut es immer mit der gleichen Intensität und Leidenschaft, und zwar bis heute, dem Tag, an dem sie ihren 75. Geburtstag feiert.

Eine der trefflichsten Bezeichnungen für Patti Smith ist diese: Sie ist die Stimme der Bowery, einer im Süden von Manhattan gelegenen Straße und deren Umgebung. Patti, die in Chicago geboren wurde, dann mit ihren Eltern nach New Jersey zog, mit 16 die Schule schmiss, in einer Fabrik arbeitete, kam mit 20 hierhin, lernte den damals noch unbekannten Fotografen Robert Mapplethorpe kennen, mit dem sie in das berühmte „Chelsea Hotel“ in der 23. Straße West zog und mehrere Jahre zusammenlebte.

In dieser Zeit lernte sie so unterschiedliche Künstler wie Bob Dylan, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Andy Warhol oder den Dichter William S. Burroughs kennen. Sie begann, ihre von der Beat-Generation beeinflussten Texte in Zeitschriften wie Lester Bangs’ Creem-Magazin zu veröffentlichen. Wie Leonard Cohen oder Gil Scott-Heron begann Patti Smith somit ihre Laufbahn Anfang der 70er-Jahre als Dichterin ohne jede Ambition, Rockmusikerin zu werden.

Poesie und Punk-Attitüde

Patti vergötterte den französischen Dichter Arthur Rimbaud und nannte ihre ersten Dichterlesungen „Rock’n’Rimbaud“. In einer Buchhandlung, in der sie damals arbeitete, lernte sie in Lenny Kaye ihren zukünftigen Gitarristen kennen, der sie von nun an bei Dichterlesungen improvisierend begleitete. Kaye hatte seinerseits den Begriff Punkrock erfunden, als er in der von ihm herausgebrachten Anthologie „Nuggets“ mit US-amerikanischen Garage-Bands der 60er-Jahre deren Musik als Punkrock bezeichnet hatte. Als das Duo nun für größere Lesungen in der St. Mark’s Church neben dem „Chelsea Hotel“ und im „CBGB“ in der Bowery gebucht wurde, wurden diese wilden, unberechenbaren Happenings plötzlich als Punk bezeichnet.

Der Betreiber des „CBGB“, dieser In-Kneipe mit kleiner Bühne, hatte ursprünglich ganz andere Musik im Sinn, die er live in seiner Schänke präsentieren wollte, denn die Initialen seines Clubs standen für „Country“, „Blue Grass“ und „Blues“. Hier fand nun die Geburtsstunde der Patti Smith Group statt und das „CBGB“ wurde fortan zum Szene-Treffpunkt dieser neuen Subkultur New Yorker Punk- und New-Wave-Bands wie Television, Johnnie Thunders & the Heartbreakers, Talking Heads, Blondie oder Ramones.

Seit dieser Zeit plagt sich Patti Smith mit dem Etikett „Godmother of Punk“ herum, obwohl ihre Musik viel näher an Hendrix, den Stones oder Doors ist als am Punk. Und so nahm sie 1974 als erste Single eine Cover-Version von Hendrix’ „Hey Joe“ auf, der sie ein eigenes Gedicht voranstellte, mit ihrer ersten eigenen Nummer „Piss Factory“, einer Abrechnung mit der verhassten Spielwaren-Fabrik, in der sie als Jugendliche gearbeitet hatte, auf der Rückseite. Patti war mittlerweile so etwas wie ein Underground-Star und so erhielt die Symbolfigur musikalischer Unangepasstheit schließlich, im Alter von 29 Jahren, einen Plattenvertrag bei Arista mitsamt ihrem Wunschkandidaten John Cale als Produzenten.

Smith ist auch in Luxemburg ein gern gesehener Gast, wie etwa im Juli 2012 in der Rockhal (Foto) oder im August 2014 in Befort
Smith ist auch in Luxemburg ein gern gesehener Gast, wie etwa im Juli 2012 in der Rockhal (Foto) oder im August 2014 in Befort Foto: Editpress/Hervé Montaigu

General Patton im Electric Ladyland

Der ehemalige Violonist und Keyboarder von Velvet Underground hatte keine leichte Aufgabe zu erledigen, als Patti mit Lenny Kaye, unterstützt von Richard Sohl am Klavier, Ivan Kral am Bass und Jay Daugherty am Schlagzeug, in den „Electric Ladyland“-Studios erschien. Der Produzent besorgte der Truppe erst einmal neue Instrumente, da sich ihre Klampfen ständig verstimmten, dann versuchte er, Patti, die sich laut Aussage Cales „wie General Patton“ im Studio aufführte, die Poserin auszutreiben und die wahre Künstlerin in ihr zum Vorschein zu bringen.

Nach sechs Wochen hatten sie es schließlich gemeinsam geschafft. „Horses“, das Debütalbum der Patti Smith Group, ist atemberaubend und von der Energie, die hier eingefangen wurde, durchaus vergleichbar mit dem Debütalbum der Stooges, einem anderen, von Cale fünf Jahre zuvor produzierten Meisterwerk.

Mit „Horses“ etablierte sich die Patti Smith Group im Rock-Business und die Band produzierte in den Folgejahren drei weitere mehr oder weniger erfolgreiche Alben sowie gelegentliche Radio-Hits, allen voran „Because the Night“, das sie gemeinsam mit Bruce Springsteen geschrieben hatte, doch innerlich schien sich die Sängerin kontinuierlich vom Showbusiness zu distanzieren. 40 Jahre nach dem Erscheinen ihres Debütalbums erzählte sie in einem Interview mit The Guardian: „1974, als ich an dem Material zu arbeiten begann, das mal ’Horses’ werden sollte, waren viele unserer großen Stimmen schon tot. Wir hatten Jimi Hendrix, Jim Morrison und Janis Joplin verloren und ebenso Leute wie Robert Kennedy, Martin Luther King und Malcolm X: alles Menschen, die mit ihrer Stimme kulturelles und politisches Gewicht erlangt hatten. Und es schien, dass Rock’n’Roll im Begriff war, zu etwas anderem zu werden: Konsumenten-freundlicher und Stadion-orientiert.“

Schicksalsschläge

Im Januar 1977 spielte sie ein Konzert in Tampa, Florida, als sie während des Songs „Ain’t It Strange“ Gott aufforderte, ihr ein Zeichen zu geben und zu erscheinen. Immer wilder tanzte sie und drehte sie sich – und stürzte die vier Meter hohe Bühne hinab. Die Sängerin verletzte sich ernsthaft am Genick, musste lange Zeit eine Halskrause tragen und erholte sich nur langsam. Ein Jahr später war dann definitiv Schluss: Sie löste die Patti Smith Group auf, brach alle Brücken hinter sich ab und zog mit ihrer großen Liebe, dem MC5-Gitarristen Fred „Sonic“ Smith, nach Detroit, um fortan nur noch Ehefrau, Schriftstellerin und Mutter zu sein. Doch das Leben meinte es nicht allzu gut mit ihr: Ende der 80er, Anfang der 90er starben innerhalb kürzester Zeit vier enge Vertraute: Robert Mapplethorpe, Richard Sohl, ihr Mann Fred und ihr Bruder Todd.

Doch Patti alterte trotz aller Schicksalsschläge in Würde und startete gegen Mitte der 90er-Jahre ein fulminantes Comeback, veröffentlichte mehrere hervorragende Alben und gab wieder Konzerte in aller Welt, zum Teil begleitet von ihrem Sohn Jackson an der Gitarre. 2007 wurde sie in die „Rock & Roll Hall of Fame“ aufgenommen. Es sei ihre Mission, zu kommunizieren, antwortete sie, wenn sie gefragt wurde, was sie antreibe, und außerdem brauche sie dann und wann auch Geld. 2017 kaufte sie das Haus von Arthur Rimbaud in Roche, einem 78-Seelen-Dorf in den französischen Ardennen.

Patti Smith ist niemandem was schuldig und lässt sich von niemandem einen Maulkorb verpassen, verbittert wirkt sie jedoch nie. Als Michael Stipe am Ende von R.E.M. gefragt wurde, was er von seiner langjährigen Freundin Patti Smith gelernt habe, meinte er: „Menschlichkeit – als Performer. Ich weiß, das klingt ein bisschen abgehoben, ist aber eine sehr konkrete Sache. Humor. Und noch etwas Wichtiges: Demut. Patti ist gut im Demut-Haben.“ Live ist sie nach wie vor ein Ereignis. Wenn man sie an einem guten Abend erwischt und die äußeren (allseits bekannten) Umstände es zulassen, zerreißt sie bei „Rock N Roll Nigger“ immer noch jede einzelne Saite ihrer Gitarre. Happy Birthday, Patti!

Für ihren Kollegen, den legendären Singer-Songwriter Bob Dylan, nahm Smith im Dezember 2016 in Stockholm den Literatur-Nobelpreis entgegen
Für ihren Kollegen, den legendären Singer-Songwriter Bob Dylan, nahm Smith im Dezember 2016 in Stockholm den Literatur-Nobelpreis entgegen Foto: AP

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