Tageblatt: „Sie haben einfach nichts gemacht.“ Das war Ihr Fazit im vergangenen Jahr, als wir Sie fragten, wie Sie die Sozialpolitik der Regierung und die Bekämpfung der Ungleichheiten bewerten würden. Würden Sie das heute noch einmal so sagen?
Nora Back: Wenn wir die Amtszeit der jetzigen Regierung beurteilen wollen, dann muss einer unserer Maßstäbe natürlich die Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeiten sein. Leider sind diese, wie wir im „Panorama social“ der Arbeitnehmerkammer gesehen haben, nicht weniger geworden. Im vergangenen Jahr ist jedoch viel passiert. Unter anderem wurden zwei Tripartite-Abkommen unterzeichnet, um die Kaufkraft der Bevölkerung zu erhalten. Bei der Politik ist ein Bewusstsein dafür entstanden, dass es den Menschen einfach nicht gut geht. Zudem muss man auch festhalten, dass durch die Corona-Pandemie ein Ausnahmezustand geherrscht hat.
Seit dem vergangenen 1. Mai haben zwei weitere Tripartite-Runden stattgefunden. Wie fällt Ihre Bilanz nach einem Jahr intensivem Sozialdialog aus?
Ich bin der Überzeugung, dass unsere Opposition im vergangenen Jahr notwendig war. Wir wurden in eine Ecke gedrängt und als Außenseiter dargestellt. Schlussendlich hatten wir aber recht, als wir uns gegen eine Gießkannenpolitik nur für Unternehmen gewehrt haben. Unsere Weigerung, die März-Manipulation des Index zu unterschreiben, und unsere fortwährende Gegenwehr haben dafür gesorgt, dass wir in den beiden anschließenden Dreierrunden ein anderes Resultat erzielen konnten.
Sie haben nach der März-Manipulation gesagt, dass Sie keinem Politiker mehr trauen können. Ist dieses Vertrauen wieder einigermaßen hergestellt?
Nein, nicht wirklich. Das hat tatsächlich gelitten, auch weil jede Partei und die Regierungskoalition sich in ihren Wahlprogrammen und Koalitionsvertrag zum Index bekannt haben. Letztendlich hat trotzdem eine Manipulation des Index stattgefunden, die wir nicht vergessen können. Wir vertrauen nicht auf leere Versprechen, sondern werden nur noch auf die Taten der Politik schauen.
Immer wieder wurde der Index im vergangenen Jahr als „asozial“ bezeichnet …
Der Index ist einfach eine rote Linie für den OGBL. Wir werden uns wehren, sobald jemand am Warenkorb rüttelt oder von einer Deckelung des Index spricht. Denn: Der Index ist nicht asozial – im Gegenteil ist der Index wohl eine der bedeutendsten sozialen Errungenschaften des Landes.
Trotzdem werden Besserverdiener mehr entlastet als Geringverdiener …
Die Frage der Gerechtigkeit ist keine Frage des Index, sondern eine Frage der Löhne und Steuern. Wie sozial eine Gesellschaft ist, macht sich nicht an einem Mechanismus fest, der den Kaufkraftverlust auffangen soll, sondern eher daran, wie mit der Frage der Umverteilung umgegangen wird. Ob Sie jetzt 3.000 oder 5.000 Euro verdienen: Sie haben nach Ihren finanziellen Möglichkeiten gelebt und einen diesem Lebensstandard entsprechenden Kaufkraftverlust erlitten.
Das Argument wird einfach an der falschen Stelle vorgebracht. Außerdem wird dieses Argument ja von genau denen vorgebracht, die gegen den Index kämpfen, nämlich dem Patronat. Es ist ein populistisches Argument, um eine Debatte um den Index zu eröffnen. Zudem kann jeder Arbeitgeber für mehr Gerechtigkeit sorgen, indem er bessere Löhne zahlt. Und wenn Finanzministerin Yuriko Backes das sagt, ist es genauso absurd. Die Regierung könnte ja anhand einer Steuerreform für soziale Gerechtigkeit sorgen.
Ein gedeckelter Index klingt ja auf den ersten Blick nicht verkehrt – doch auch das Argument zerfällt in seine Einzelteile, wenn man es durchdekliniert. Wenn jemand mit einem hohen Lohn keinen Kaufkraftverlustausgleich mehr kriegt, kriegen diejenigen mit einem niedrigeren Gehalt ja nicht mehr. Stattdessen wandert das Geld in die Taschen der Aktionäre des Unternehmens. Ich denke nicht, dass man dadurch mehr Gerechtigkeit schafft.
Stichwort Steuerreform: Ein weiterer Punkt, in dem das Vertrauen in die Politik weiter erodiert ist?
Der OGBL sagt schon sehr lange, dass es keine Steuergerechtigkeit in Luxemburg gibt. Der ehemalige Finanzminister Pierre Gramegna (DP) hat 2017 behauptet, dass die damalige Steuerreform die gerechteste sei, die es je gegeben habe. Fakt ist, dass einfach nur die kalte Progression der vergangenen Jahre angepasst wurde. Das ist keine Steuergerechtigkeit, egal, wie oft Politiker das behaupten.
Nun wurde uns wieder eine Steuerreform versprochen – nach der Corona-Pandemie wurde das Projekt gleich auf Eis gelegt. Dabei hätte die Regierung noch einige Jahre Zeit gehabt. Da hat schon eine gewisse Ladehemmung geherrscht. Uns wurde dann bei den vergangenen Wahlen 2018 eine Individualisierung versprochen – die nicht kam. Jedoch kann es auch nicht bei der Einführung einer einzigen Steuerklasse bleiben.
Was muss eine Steuerreform denn beinhalten, wenn sie vom OGBL das Prädikat „sozial gerecht“ erhalten will?
Die Steuertabelle für physische Personen muss überarbeitet werden. Zwar ist eine gewisse Progressivität der Besteuerung enthalten – die müsste aber angepasst werden. Die niedrigeren Gehälter müssten weniger Steuern zahlen, der Mindestlohn komplett steuerfrei sein. Die Progressivität müsste dann langsamer ansteigen und es müssten weitere Steuertranchen in den oberen Gehaltsklassen eingeführt werden.
Die größte Ungerechtigkeit aber liegt im Unterschied zwischen der Besteuerung des Kapitals und der Arbeit. Die Arbeit wird zu stark besteuert, Kapitalerträge zu wenig. Auch kann es nicht sein, dass wir wieder über Steuersenkung für Unternehmen diskutieren. Wir wehren uns nicht gegen gute Investitionen in die Luxemburger Wirtschaft – jedoch können wir doch nicht das Gegenteil von zahlreichen Ländern und den Vorschlägen der OECD machen.
Arbeitsminister Georges Engel hat mit der Vorstellung der Studie zur Arbeitszeitverkürzung das seltene Kunststück vollbracht, Patronat und Gewerkschaften gleichermaßen vor den Kopf zu stoßen. Wie steht der OGBL zu dieser Studie?
Wir sind natürlich nicht glücklich, dass wir bei der Fragestellung der Studie nicht mit einbezogen wurden. Wir sind zudem der Meinung, dass eine doch sehr konkrete Frage – nämlich die, wie viel meiner täglichen Zeit man auf der Arbeit verbringt – nicht mit einer theoretischen Studie beantwortet werden kann. „Ambigu“ ist das Wort, das am häufigsten bei der Vorstellung der Studie genannt wurde, die ja eigentlich auch nur dazu anregt, weitere Studien zu veranlassen.
Mehr Wahlkampfstunt als konkreter Fortschritt?
Es hat den Vorteil, dass sich jetzt jede Partei mit dem Thema auseinandersetzen und Farbe bekennen muss und die Debatte jetzt offiziell begonnen hat. Die Forscher haben in der Studie darauf hingewiesen, dass die derzeit einzige Möglichkeit, eine Arbeitszeitverkürzung in Luxemburg zu erreichen, der Weg über Kollektivverträge ist. Das freut uns natürlich und deutet darauf hin, dass wir die Gesetzgebung in dem Punkt weiter stärken müssen.
Die drei Tripartite-Runden haben gezeigt, dass der Sozialdialog in Krisenzeiten funktionieren kann. Im Alltag jedoch zeigt sich dann immer wieder, dass der Sozialdialog „einen Platten hat“, um die UEL zu zitieren. Wie stark verankert ist der Sozialdialog tatsächlich in der politischen Kultur Luxemburgs?
Das Luxemburger Sozialmodell beruht auf dem Sozialdialog und bewahrt uns vor den Unruhen, wie man sie jetzt in Frankreich und Deutschland sieht. Die Politik betont ja auch immer wieder, wie wichtig der Sozialdialog sei. Die Arbeitgeber haben sich historisch gesehen noch immer etwas schwergetan damit – nehmen aber daran teil, wenn es darauf ankommt. Er hat sich einfach historisch bewährt.
Damit das auch so bleibt, müssen wir aber immer wieder darauf hinweisen, dass wir mit einbezogen werden sollen. Die Debatte um die Arbeitszeitverkürzung ist nur ein weiteres Beispiel dafür. Ein weiteres ist das „Europäische Semester“, das zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der EU dient. Brüssel fordert, dass jedes Land ein im Sozialdialog erarbeitetes Dokument einreicht. Das aber war jahrelang eine reine Showveranstaltung, bei der den Gewerkschaften und dem Patronat ein fertiges Dokument vorgestellt wurde – bis Gewerkschaften und Patronat sich gemeinsam gewehrt haben. Mittlerweile klappt das wieder etwas besser – dieses Jahr aber ist einer der drei festgelegten Termine aufgrund der Tripartite abgesagt worden.
Ist das in einer Regierung, in der Schlüsselressorts wie das Arbeits- und das Wirtschaftsministerium von LSAP-Ministern besetzt sind, nicht etwas enttäuschend?
Wir sind ein unabhängiger Gewerkschaftsbund …
… der aber eher gemeinsame Linien mit einer LSAP aufweist als vielleicht mit einer DP.
Man kann sagen, dass es zwischen Parteien vom linken Rand und dem OGBL mehr Affinitäten gibt. Schlussendlich aber hängt es viel eher von der Politik ab als von der Person oder der Partei. Unser solidarisches Gesundheitssystem wurde trotz der Probleme, die wir heute haben, nicht privatisiert. Auch im Arbeitsrecht ist in den vergangenen Jahren und Legislaturperioden so einiges passiert. Insgesamt gibt es aber noch einen Reformstau, der dringend aufgearbeitet werden muss.
Zwei konkrete Fälle haben in dieser Woche für Aufregung gesorgt, darunter die Kollektivvertragsverhandlungen bei der Cargolux.
Die haben ja am Mittwoch wieder ein Rekordergebnis vorgestellt, blockieren aber die Kollektivvertragsverhandlungen komplett. Das Personal der Cargolux war quasi unsere Nabelschnur während der Pandemie – und dass bei der Gewinnbeteiligung bei den nun erzielten Resultaten nichts passieren soll, ist einfach nicht ernst zu nehmen. Wenn in Luxemburg die Kollektivvertragsverhandlungen scheitern, müssen die Parteien in Luxemburg zum Schlichtungsamt. Die Cargolux aber ficht diese Prozedur und unser Recht jetzt an.
Nicht nur eine, sondern drei Gewerkschaften haben sich kürzlich dann auch mit dem nationalen Statistikamt Statec angelegt. Wo liegen die Reibungspunkte? Schließlich war es nicht das erste Mal, dass die Gewerkschaften nicht mit dem Statec einverstanden sind.
Ich will erst mal festhalten, dass auch der OGBL für seine makro- und mikroökonomischen Analysen das Statec benötigt. Auch bin ich überzeugt, dass dort sehr kompetentes Personal arbeitet. Jedoch mussten wir feststellen, dass es den Anschein hat, als würde das Statec zu sehr ungünstigen Zeitpunkten quasi „gesteuerte“ Dokumente, Analysen oder Informationen nach außen tragen, die uns schwächen. Ein klassisches Beispiel ist die Veröffentlichung der Statistiken zum Verdienst zwischen Männern und Frauen am internationalen Frauentag.
Über alle Arbeitssektoren hinweg verdienen Frauen ganz leicht mehr, weil mehr Frauen im öffentlichen Dienst arbeiten. Daraus zieht das Statec dann die Schlussfolgerung, dass Frauen mehr verdienen. Das ist für mich eine falsche Darstellung der Tatsachen. Doch mehr noch als die Darstellung stört mich der Zeitpunkt der Veröffentlichung. An dem Tag, an dem zahlreiche Menschen für Gleichberechtigung auf die Straße gehen, will das Statec diese Bewegung mit diesem Gutachten dann brechen? Das finde ich einfach unangebracht.
Ein weiteres Beispiel ist das Gutachten des Statec eine Woche vor Beginn der ersten Tripartite, in dem steht, dass die Gewerkschaften an Gewicht verlieren. Das war total falsch: Es wurde eine Gewerkschaft aufgelistet, die es schon lange nicht mehr gibt, der Landesverband wurde gar nicht erwähnt und die Mitgliedszahlen der Gewerkschaften OGBL, LCGB und CGFP haben auch nicht gestimmt. Das hatte nichts mit der Realität zu tun. Was war also der Grund für diese Veröffentlichung, wenn wir eine Woche später die Löhne und Renten verteidigen müssen? Uns wurde gesagt, das wäre reiner Zufall. – Zufälle, die unserem Geschmack nach viel zu regelmäßig vorgekommen sind.
Und kürzlich wurden die Gewerkschaften dann auf ein Wirtschaftsseminar eingeladen …
… über den Nutzen der Gewerkschaften. Wir wurden per Brief eingeladen, dem eine Tagesordnung beilag, auf der wir als Gewerkschaften als Redner aufgeführt wurden. Uns hatte im Vorfeld jedoch niemand gefragt. Zudem hätten wir auch überhaupt nicht an dem Seminar teilnehmen können, weil an dem Tag das „Europäische Semester“ stattgefunden hat. Das Timing war also auch nicht wirklich angemessen. Zudem hatte das Seminar einen faden Beigeschmack, sollte der erste Redner doch einen Beitrag halten mit dem Titel „Will they rise again?“ – als wären wir jemals am Boden gewesen.
Das hat uns endgültig gereicht, sodass wir ein für allemal klar sagen mussten: Hört auf, uns als schwach darstellen zu wollen. Nicht nur in Luxemburg – überall auf der Welt verzeichnen Gewerkschaften Rekordzugänge. Es ist auch falsch, zu sagen, wir hätten nur noch Rentner in unseren Reihen. Im Gegenteil: Wir fragen uns gerade, ob wir unsere Kommunikation nicht doch auch auf ein älteres Zielpublikum ausrichten sollen. Das ist in Krisenzeiten teilweise normal – ist aber auch ein Ergebnis unserer guten Arbeit der letzten Monate.
Sie haben heute Morgen das „Panorama social“ vorgestellt. Was sind die großen Herausforderungen der Zukunft?
Wir kümmern uns als Gewerkschaften natürlich vor allem um die Arbeitnehmer. In dem Bereich sind sicherlich die Digitalisierung und Umwelttransition große Herausforderungen. Plattformarbeit und die „Uber-isierung“ mit „neuen“ Formen der Arbeit gilt es zu verhindern. Dann gibt es bei jungen Arbeitnehmern derzeit die Tendenz, dass sie nur mit befristeten Verträgen eingestellt werden. Wenn eine Gesellschaft gerade jungen Leuten keine Sicherheit bieten kann, finde ich das eine sehr bedenkliche Entwicklung.
Hat der OGBL noch das Vertrauen in die derzeitige Koalition, diese Herausforderungen anzugehen?
Der OGBL gibt keine Wahlempfehlung. Einzige Ausnahme bleibt die Wahlempfehlung gegen die CSV, als sich diese gegen den Index ausgesprochen hat. Für den OGBL gibt es einige rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen – doch um das zu beurteilen, müssen wir die Wahlprogramme abwarten.
De Casta dit woar nach eenmat dem Casta konnt eeen verhandelen, a net dit wat déi Madame vun sech get.
@charles.hild
Nee Merci, meng Verfassung ass et och net!
Sie hun d'Leit gedoen op d'Gemengen pilgeren fir hiren Avis ofzegin. Dat war dach kloer, dass déi allermannsten d'Zäit fond hun fir dohinner ze goen. Op esou eng Manéier kann een och en Resultat steieren an beaflossen. En plus steet quasi ënnert all Artikel "...gemäss dem Gesetz"... Gesetzer déi sie esou séier änneren wéi Bonjour!
Keen Vertrauen mei an Politik, rischteg, mee och keen Vertrauen mei an den OGBL
De John waert do uewen nemmen nach mam Kapp reselen ?
Wann een den Index deckelt, hunn déi niddereg Gehälter dofir net méi, mee déi héich hu manner an den eenzegen dee méi huet, ass de Patron, d'Aktionnären oder de Patron Staat. Richteg! Bravo Nora Back & OGBL!
Jiddefalls hu mer kee Vertraue méi an d'LSAP. Déi hu nach just een, den Dan Kersch, deen ass OK. Déi aner sinn Zaldote vun der CSV a vun der DP, d.h., vun de Kapitalisten. Haut krut ech eng sougenannt "Verfassung". Dat ass net méng Verfassung, well ech hu se net dierfe stëmmen. Wat gouf do nees vill Papeier verbëtzt.
Dofir ass d'Vertrauen an den OGBL riesengrouss.
Mat hirer Antenne OPE haaten sie jo eng Meeschterleschtung erbruecht.
Ech ging nach e besschen mei weit goen:et ass kee Vertrauen an d'Politik mei do.