Donald Trump hat beim NATO-Gipfel in Brüssel auch die schlimmsten Erwartungen erfüllt. Die europäischen Partner und NATO-Generalsekretär Stoltenberg aber geben sich eher unbeeindruckt. Und Luxemburgs Außenminister Asselborn rechnet vor, was Trumps Forderungen für Europas politische Stabilität tatsächlich bedeuten würden.
1.700 Journalisten aus aller Welt. Einen solchen Zulauf kennt auch Brüssel nicht alle Tage. Doch wenn Donald Trump kommt, ist nichts mehr normal – Hubschrauber kreisten bereits am frühen Morgen und sogar die Sonne schien über der sonst notorisch verregneten europäischen Hauptstadt.
Trotzdem hat es nicht lange gedauert am Mittwoch, bis Donald Trump zum ersten Mal die Keule schwang. Die feine Klinge der Diplomatie ist nicht sein Ding. Beim Frühstück mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kritisierte Trump bei Orangensaft und Omelette vor allem Deutschland scharf. «Deutschland ist ein Gefangener Russlands», sagte Trump in Anspielung auf die geplante Ostsee-Pipeline Nordstream 2, über die Deutschland russisches Gas beziehen will. Trump findet es «traurig, dass Deutschland einen riesigen Deal mit Russland schmiedet, während wir Deutschland verteidigen sollen». Am kommenden 16. Juli trifft Trump den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Helsinki. Für Gesprächsstoff war bereits im Vorfeld gesorgt. Nach dem NATO-Gipfel wird es noch mehr davon geben als davor.
Es war also früh vorbei mit der Einigkeit. Dabei hatten die Diplomaten bereits Tage im Voraus Vollzug gemeldet und sich auf die zu unterzeichnenden Dokumente geeinigt. Aber. Seit Trump US-Präsident ist, gibt es immer ein Aber. Demnach: Aber all das wurde vereinbart, bevor Trump sein Frühstück vor sich stehen und Stoltenberg vor sich sitzen hatte. Mit Trump ist die Unsicherheit eingezogen in die Allianz. Der US-Präsident hatte das Transatlantische Verteidigungsbündnis bereits einmal als «obsolet» bezeichnet. Hundertprozentig sicher, dass Trump die USA nicht irgendwann aus der NATO zieht, ist sich offensichtlich keiner. Das wäre das Ende des Bündnisses. Die Nervosität war auch am Mittwoch spürbar. «Alle NATO-Gipfel sind wichtig – aber dieser ist noch wichtiger», sagte Stoltenberg kurz nach dem gemeinsamen Frühstück.
Bettel ist erst locker, doch dann kommt Trump
Um 13.00 Uhr trafen Xavier Bettel und Etienne Schneider ein. Bettel gab sich locker beim sogenannten Doorstep-Interview, dem kurzen Gespräch auf dem Weg ins NATO-Gebäude. Luxemburgs Premier betonte die Wichtigkeit der Entwicklungshilfe und nahm Abstand von den geforderten zwei Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben, die bereits 2014 in Wales vereinbart worden waren. Da wusste Bettel allerdings noch nicht, was da noch kommen sollte.
Nach der Gipfelsitzung wurde es kurz hektisch. Trump hatte mittlerweile Abstand genommen von den zwei Prozent, die die NATO-Mitglieder aus ihrem BIP in die Verteidigung stecken sollen. Er sprach jetzt von vier Prozent. Stoltenberg wollte das später bei der Pressekonferenz relativieren. «Ich rede über das, zu dem wir uns verpflichtet haben – und das sind die zwei Prozent», sagte der NATO-Generalsekretär, um dann von den vier geforderten «Cs» zu sprechen: Cash, Contribution, Capabilities, also Geld, Beiträge zu den NATO-Missionen, Fähigkeiten, die dabei nützlich sind. Das vierte «C» erwähnte er nicht. Es ist aber das «C» für «Cooperation», das Luxemburg für sich beansprucht. In der Tat ist Luxemburg Schlusslicht bei den Verteidigungsausgaben. Gerade mal 0,6 Prozent seines BIP steckt das reichste NATO-Mitglied in die Verteidigung. Luxemburgs Premier Xavier Bettel hatte diese Sicht da bereits in die Mikrofone gesprochen. Im Gespräch mit dem Tageblatt hatte sich auch Vizepremier Etienne Schneider am Dienstag für diese Politik ausgesprochen.
Einigkeit bei den Europäern
Am Mittwoch nun brachte Jean Asselborn einen weiteren Punkt ein in diese Rechnung. Bereits ein Prozent des europäischen BIP mehr für Verteidigung auszugeben, käme dem Budget gleich, das der Europäischen Union insgesamt zur Verfügung steht. Und dann spricht Trump von vier Prozent? Für Luxemburgs Außenminister eine Provokation. «Das würde die gesamte Sozialpolitik der Europäer über den Haufen werfen», warnte Asselborn, das Geld müsse ja von irgendwo herkommen – und dann an anderer Stelle fehlen. Ein solcher Schritt würde «auf Kosten der politischen Stabilität in Europa gehen».
Asselborn zufolge geht es nun darum, als Europäer Einigkeit unter Beweis zu stellen. In diesem Licht kann auch Trumps Angriff am Morgen auf Deutschland gesehen werden. Denn die deutsch-russische Pipeline lehnen auch andere NATO-Staaten wie Polen ab. Trump wollte offenbar spalten, indem er den Energiekonflikt auf NATO-Ebene hebt. Gelungen ist ihm das nicht. Auch Stoltenberg wollte die NATO nicht mit dem Gas-Streit befassen. «Das ist eine nationale Angelegenheit», sagte der Norweger. Deutschlands Außenminister Heiko Maas fand bei einer kurzen Stellungnahme ebenfalls klare Worte: «Wir sind keine Gefangenen – weder von Trump noch von Putin.»
Asselborn: Trumps Zahlenreiterei fast ein «Fetisch»
In der Sitzung zeigten sich Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geeint. Merkel klärte Trump über Deutschlands Energielieferungen auf, die zu beträchtlichen Teilen von den NATO-Mitgliedern Niederlanden und Norwegen stammen. Macron verwies auf die großen Anstrengungen, die die europäischen NATO-Partner während der vergangenen Jahre bei den Verteidigungsausgaben getätigt haben. In der Tat sind die Ausgaben in den vergangenen Jahren zum ersten Mal seit Ende des Kalten Krieges wieder gestiegen. «Es gibt Entscheidungen der NATO – und wir liefern», sagte auch Stoltenberg.
Asselborn, dem die «buchhalterische Herangehensweise» Trumps gegen den Strich geht und demzufolge sie fast schon einem «Fetisch» gleichkommt, zeigte sich nach dem Gipfeltreffen halbwegs zufrieden. Viele der NATO-Partner hätten sich geeint gezeigt und sich nicht auseinanderteilen lassen wollen.
Belehrungen durch den US-Präsidenten hätten die Europäer auch keine nötig, sagt Luxemburgs Außenminister gegenüber dem Tageblatt. «Wir sind uns ja längst einig, dass wir mehr für unsere Sicherheit machen müssen.» Aber Länder wie Luxemburg oder auch Dänemark würden effektiver handeln, wenn sie in die Entwicklungshilfe und Kooperationspolitik investierten. «Dass wir nun anfangen, der amerikanischen Rüstungsindustrie ihre Waffen abzukaufen, wird nicht passieren», so Asselborn.
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