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Mediziner des Mittelalters: Hildegard von Bingen und Avicenna

Mediziner des Mittelalters: Hildegard von Bingen und Avicenna

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Avicenna und Hildegard von Bingen waren zwei Universalgelehrte, die in ihrer jeweiligen Zeit nicht nur durch ihre Arbeiten auf dem Gebiet der Medizin für Aufsehen sorgten.

Das Mittelalter kannte Methoden, einer Krankheit zu begegnen, die heute nur Kopfschütteln auslösen. Immerhin war die aus der Antike stammende Säftelehre noch verbreitet, nach welcher ein Körper krank wird, wenn die vier Säfte – Blut, Schleim, schwarze Galle und gelbe Galle – ins Ungleichgewicht geraten. Um die Säfte wieder ins vermeintlich richtige Verhältnis zu rücken, wurde der Patient zum Beispiel einem Aderlass unterzogen.

Nicht ganz so brutal, wenn auch manchmal nicht weniger gefährlich war Kräutermedizin. Nicht umsonst warnen moderne Reproduktionen mittelalterlicher Kräuterbücher davor, die darin enthaltenen Rezepte für bare Münze zu halten oder gar auszuprobieren.

Pflanzliche Wirkstoffe

Dass einige Pflanzen je nach Zubereitung und Art der Verabreichung eine Wirkung auf den menschlichen Körper haben, ist unumstritten. Man denke etwa an die Effekte von vergorenen Trauben, von Hopfen oder Cannabis. Viele Pflanzen haben eine wissenschaftlich nachgewiesene Wirkung und Medikamente enthalten ihre Wirkstoffe oder zumindest synthetisch hergestellte identische Kopien ihrer Wirkstoffe – was den Vorteil hat, dass die Inhaltsstoffe nicht mit anderen Substanzen verunreinigt sind.

Zwei Menschen, die sich im Mittelalter mit der Heilkunde beschäftigten und die dafür bis heute bekannt sind, sind die Nonne Hildegard von Bingen und der persische Arzt Avicenna. Sie auf ihre Heilkunde zu reduzieren, wäre allerdings ein Fehler. Beide hielten sich jedoch nicht nur in ihrem Kräutergarten oder ihrer Kräuterküche auf. Hätten sie das getan, dann wären sie heute mit Sicherheit nicht die bekannten Personen, die sie sind.

Hildegard von Bingen: Umweltschützerin und Frauenrechtlerin

Wohl eine der schillerndsten Personen des Mittelalters ist Hildegard von Bingen. Die Nonne betätigte sich in so vielen Feldern, dass man sie getrost als eine Universalgelehrte bezeichnen kann. Sie gründete und leitete entgegen zahlreicher Widerstände ein Frauenkloster, schrieb über Sex und Genitalien, über den Teufel und die Heilwirkung von Pflanzen, Tieren und Steinen und komponierte Musik.

Das Konvolut an Schriften, das sie hinterlassen hat, ist so umfangreich, dass jeder darin etwas findet, von dem er sich angesprochen fühlt. Demnach werden ihr heute alle möglichen Rollen zugeschrieben: von der Frauenrechtlerin über die Revoluzzerin bis hin zur Umweltschützerin.

Religiöse Erziehung

Als zehntes Kind einer Adelsfamilie verbrachte das Mädchen seine Kindheit wahrscheinlich in Bremersheim im heutigen Rheinland-Pfalz. Mit drei Jahren hatte Hildegard von Bingen – laut ihrer Autobiografie – zum ersten Mal eine Erscheinung, angeblich ein Licht, das so groß war, dass es ihre Seele erzittern ließ.

Mit acht Jahren wurde sie, wie damals üblich, als zehntes Kind, in ein Kloster gegeben. Dort erhielt sie von geistlichen Frauen eine religiöse Erziehung. Im Jahr 1112 kam Hildegard ins Kloster Disibodenberg, in dem sie ihre Karriere starten sollte. Mit 15 legte Hildegard ihr Gelübde ab und verschrieb sich damit voll und ganz der Kirche.

Die Revoluzzerin

Hildegard von Bingen scheute nicht die Konfrontation. Auch nicht mit ihrem Abt, der es nicht gutheißen konnte, dass sie die Askese für die von ihr geleitete Gemeinschaft etwas weniger streng sah. Sie lockerte die Essensbestimmungen und kürzte die Zeit, die für das Gebet bestimmt war. Als sie ihr eigenes Kloster gründen wollte, brachte das für den Benediktiner-Abt das Fass zum Überlaufen.

Hildegard von Bingen legitimierte ihr Handeln mit ihren „Visionen“. Sie selbst schreibt, sie habe lange nichts über diese Visionen niedergeschrieben und erst „bewegt durch vielerlei Krankheit“ habe sie sich dazu entschlossen. Eine populäre Erklärung für die Lichterscheinungen, die von Bingen sah, ist die des Neurologen Oliver Sacks, der vermutete, dass sie unter Migräne gelitten haben muss.

Große Sammlung von Werken

Zwischen 1147 und 1150 gründete sie das Benediktinerinnen-Kloster Rupertsberg in Bingen. Die Stadt liegt zwischen Koblenz und Frankfurt, dort, wo die Nahe in den Rhein fließt. Ihre Zeitgenossen wunderten sich über diese Entscheidung. Warum es eine Adelige und Nonne, der es an nichts fehlt, in eine solch karge Gegend ziehe, fragten ihre Mitmenschen sie laut ihrer Autobiografie. Das Kloster war jedoch sehr beliebt und wurde bald so reich, dass man von Bingen vorwarf, sie halte sich nicht an die für Benediktiner vorgeschriebene Armut.

1179 starb Hildegard von Bingen im Alter von 82 Jahren. Während ihres Lebens schrieb sie theologische Werke („Scivias“, „Liber divinorum operum“), naturheilkundliche Werke („Physica“ und „Causae et curae“) und Musik. In „Scivias“ beschreibt und interpretiert sie ihre eigenen Visionen. Sie hinterließ eine riesige Sammlung an Briefen. Die Sammlung wurde allerdings unter ihrer Aufsicht zusammengestellt und wohl auch redigiert.

Name für Marketingzwecke verwendet

Das komplette Werk von Bingens (minus die naturheilkundlerischen Bücher) wurde handschriftlich im „Riesencodex“ zusammengefasst. Das Buch wird heute in der Hochschul- und Landesbibliothek RheinMain verwahrt und wiegt 15 Kilogramm. Seinen Namen trägt es aufgrund seines Volumens.

Von Bingen wurde im Mai 2012 von Papst Benedikt XVI. heiliggesprochen und später zur Kirchenlehrerin ernannt (ein Titel, den bislang nur 36 Personen, darunter nur sehr wenige Frauen, tragen). 1998 produzierte David Lynch ein Album der Sängerin Jocelyn Montgomery mit Musik der Hildegard von Bingen. Ihr Name wird heute, vor allem in Deutschland, für die Vermarktung von unter anderem Kosmetika und Arzneimitteln verwendet.


Avicenna

Rund hundert Jahre vor Hildegard von Bingen lebte in Chorasan in Zentralasien der Universalgelehrte Abu Ali al-Husain ibn Abd Allah ibn Sina – in der latinisierten Version kurz Avicenna. Er war Arzt, Philosoph, Dichter, Jurist, Mathematiker, Naturwissenschaftler, Alchemist, Musiktheoretiker und Politiker. Avicenna war bei seinen Zeitgenossen für seinen Scharfsinn bekannt und als ein Mann, der austeilen konnte. Über seinen Kollegen, den bekannten Arzt Al-Razi, soll er gesagt haben, er „wäre besser beim Testen von Stuhl und Urin“ geblieben.

Avicenna wurde um 980 in Afschana bei Buchara (heutiges Usbekistan) als Sohn eines hohen Beamten geboren. Seiner Autobiografie zufolge hatte er mit zehn bereits den Koran gelesen und sich vollständig gemerkt. Als Jugendlicher wurde er in Logik unterrichtet und studierte, weil er seinen Lehrer angeblich bereits übertraf, im Eigenstudium griechische Autoren. Mit 16 wendete er sich dann der Medizin zu, die er, wie er selbst schreibt, mit Leichtigkeit meisterte.

40-mal Aristoteles

Mehr Schwierigkeiten scheint er mit metaphysischen Problemen gehabt zu haben, wie etwa beim Studium des griechischen Philosophen Aristoteles. 40 Mal soll er ein Buch von Aristoteles gelesen haben, ohne es zu verstehen, bis ihm eine Schrift mit Erklärungen dazu in die Hände fiel. Wenn Avicenna auf seiner Suche nach philosophischen Erkenntnissen nicht weiterkam, soll er sich in die Moschee zurückgezogen haben, um zu beten, bis ihm eine Eingebung kam.

Tatsächlich aber wurde Avicenna, als der Emir Nuh II. krank wurde und dessen Leibärzte nicht weiter wussten, an den Hof gerufen, um den Monarchen zu heilen, und erhielt im Gegenzug Zugang zu dessen Bibliothek.

„Kanon der Medizin“

Als Avicenna mit 22 Jahren seinen Vater verlor und die Dynastie der Samaniden (zu der Nuh II. gehörte) zu Ende ging, ging er auf Wanderschaft. In politisch unsicheren Zeiten wanderte er von Stadt zu Stadt. Es gelang ihm immer wieder, sich durchzuschlagen. Später ließ er sich in Rey in der Nähe des heutigen Teheran nieder. Dort soll er einen großen Teil seiner Schriften verfasst haben.

Eines seiner bekanntesten Werke ist der „Kanon der Medizin“, in dem er rund 800 Pflanzen und Mineralien und ihre Wirkung beschreibt. Sein „Buch der Heilung“ ist eine Enzyklopädie der Heilmittel, die zu seiner Zeit bekannt waren. Insgesamt soll er rund 450 Werke geschrieben haben. Davon haben 240 überlebt.

«Lieber ein kurzes Leben in Fülle»

Daneben versuchte Avicenna, die Existenz von der Zeit und Gottes zu beweisen. Die damals gängige Theorie, dass Materie aus unteilbaren Teilchen (Atomen) besteht, versuchte er zu widerlegen.

Später befielen Avicenna Koliken. Er entschied, nichts dagegen zu unternehmen. Auf den Rat eines Freundes, er solle doch etwas kürzertreten, antwortete Avicenna angeblich: „Ich ziehe ein kurzes Leben in Fülle einem kargen langen Leben vor.“ Er starb mit 58 Jahren. Gegen Ende seines Lebens soll er seine Sklaven freigelassen haben und seine Reichtümer an Arme verteilt haben. Er liegt heute in einem Mausoleum in Hamadan im Iran.

de Prolet
2. September 2019 - 16.30

Es ist ungerecht diese Heilkunde aus ihrem Kontext der Zeit herauszunehmen. Man kann die Medizin des Mittelaltars genauso wenig wie die damalige Technik im allgemeinen mit denen der Moderne vergleichen. Inzwischen sind auf allen Gebieten enorme Fortschritte zu verzeichnen. Heute können sich die wenigsten vorstellen, ohne Handy resp. Smartphone auszukommen und nachvollziehen, wie ihre Vorfahren vor dem Krieg oder in den 1950er Jahren kommunizierten. Was die Kräutermedizin betrifft, so gibt es in der Natur für jedes Wehwehchen ein Mittel wobei man zwischen einem Zipperlein und einer Krebserkrankung natürlich unterscheiden muss. Die Medizin von heute, mit all ihren Möglichkeiten, mit der aus dem Mitelalter vegleichen, hiesse Äpfel mit Birnen vergleichen.