1996 riefen Schlagzeuger John Convertino und Gitarrist Joey Burns, beide Mitglieder von Howe Gelbs Giant Sand, ein neues Projekt ins Leben, das sie vorerst Spoke nannten, nach der Veröffentlichung einer ersten Platte aber in Calexico umbenannten – der Name bezieht sich dabei nicht nur auf den gleichnamigen Ort, sondern ist zudem ein Kofferwort aus „Kalifornien“ und „Mexiko“, das Aufschluss gibt über die stilistische Ausrichtung der Band, aber auch die Texte der Songs, in denen oft Geschichten um das Grenzland zwischen US-Amerika und Mexiko erzählt werden, reflektiert.
Elf Platten später weiß der Calexico-Hörer immer so ungefähr, was er oder sie sich von einer neuen Platte erwarten kann, so unverkennbar ist ihre Mischung aus Mariachi-Sounds, Salsa, Country, Americana, Folk und Indierock. Von Platte zu Platte gibt es mittlerweile keine revolutionären musikalischen Umwälzungen, sondern eher feine Metamorphosen, die aus der Dosierung der verschiedenen Ingredienzen des Calexico-Sounds resultieren. Auf ihrer neuesten Platte „El Mirador“ kehren sie, im Gegensatz zu Platten wie dem von Indie und Folk dominierten „The Thread That Keeps Us“ (2018) oder „Algiers“ (2012) und „Carried to Dust“ (2008), auf denen die Band ihren Trademark-Sound wohl am ausgeglichensten zur Schau stellte, zu den Mariachi-Klängen ihrer Anfänge zurück – eine Ausrichtung, die auch das gesamte Set im Atelier prägen sollte.
Nachdem die peruanische Vorband Alejandro y Maria das (leider relativ spärlich vorhandene) Publikum bereits in lateinamerikanische Klänge eingetaucht hat, eröffnet Calexico mit dem namengebenden Titel ihrer neuen Platte und zündet danach ein Feuerwerk an Songs, die ihren Mariachi- und Desert-Rock-Einflüssen huldigen – fast wirkt es so, als hätte sich die Band entschieden, dass nach zwei Jahren Pandemie jetzt erst mal Schluss mit Introspektion und Melancholie sein muss.
Songs wie „Cumbia Del Polvo“ vom neuen Album oder „Inspiracion“ von „Carried to Dust“ (2008) klingen, wie es mir der frühere Plattenhändler meines Vertrauens während des Konzerts zuflüsterte, nach Palmen und Mojito, aber eben auch nach Wüstenstaub und Hitze. Würde Tarantino endlich mal wieder zur alten Form finden, er könne neben den üblichen Morricone-Songs definitiv Calexico für seinen nächsten Soundtrack einbinden.
Trotz der geringen Anzahl an Musikfans gelingt es Joey Burns, die vorhandene Menschen zum Tanzen anzuregen – und irgendwann während des Konzerts dachte ich, dass Calexico streckenweise wie eine zugänglichere, poppigere Variante von The Mars Volta klingen – ein Duo, das öfters auch lateinamerikanische Einflüsse in ihre verrückte Mischung aus Prog, Jazz und Hardcore packte.
Das Resultat ist ein mitreißendes, verdammt tanzbares Konzert, in dem Trompetenklänge, akustische, elektrische Gitarren und ein Vibraphon die verschiedensten Gesangstimmen umgeben – und sich auf das rhythmische Gerüst von John Convertinos präzisem, knackigem Schlagzeugspiel und Scott Colbergs eleganter Kontrabass-Akrobatik stützen.
Da die stilistische Vielfalt der Band einer homogeneren Auswahl an Tracks, die das Klangbild der neuen Platte reflektieren, weicht, werden jedoch ganze Idiosynkrasien der Band ausgeklammert – so gab es wenige ihrer Country- und Americana-Balladen, in denen die Band immer wieder das Feierliche der lateinamerikanischen Musik aufbricht und so auch die Schattenseiten des von ihr besungenen Grenzlandes ausleuchtet.
Das zeigt einerseits, wie kohärent das Klangbild der Setlist ist, in der sich neue Songs wie das schöne „Harness the Wind“ neben Klassiker wie das immer noch tolle „Crystal Frontier“ reihen, andererseits wirkt das Konzert stellenweise etwas einseitig. Dabei ist das hier Meckern auf hohem Niveau: Calexico lieferten im Atelier einen 90-minütigen Querschnitt durch ihre Diskographie – und das auf einem klanglich und musikalisch absolut einwandfreien Niveau.
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