Zwischen 1924 und 1936 wurde der „Prix olympique d’alpinisme“ während der Olympischen Spiele für die herausragendste bergsteigerische Leistung vergeben. 2020 werden Athleten in Tokio um die Goldmedaille beim Hangeln an Plastikgriffen kämpfen. Die Zeiten ändern sich, aber Jay Hoffmann beeindruckt das wenig. Der luxemburgische Sportkletterer sucht seinen akrobatischen Weg lieber am kurzen, schwierigen Naturfelsen.
Von unserem Korrespondenten Chrëscht Beneké
Seitdem der junge Bienenzüchter vor knapp sechs Jahren seine neue Leidenschaft beim Boulder-Klub Lëtzebuerg entdeckt hat, steckt er wie jeder Leistungssportler seine gesamte Energie darin. Gleichzeitig sagt er selbst: „Wettkämpfe reizen mich eigentlich wenig, für mich sehe ich nur wenig Sinn darin.“
Nur weil ihn sein damaliger Trainer Jerry Medernach kurzfristig von der Teilnahme überzeugt hatte, holte sich der 65 Kilogramm leichte und 1,75 Meter große Athlet 2017 einen Landesmeistertitel. Ansonsten trainiert er zwar am Plastik, doch seine wahre Leidenschaft gilt dem Klettern am Naturfelsen und den möglichst kniffligen Problemen, die er hierbei lösen muss.
Wann immer es geht – wenn es also trocken genug ist, aber durchaus auch bei Minustemperaturen, bei denen er für den besseren Grip seine Kletterschuhe unter den Achselhöhlen vorwärmt – zieht es den 23-Jährigen an seinen lokalen Block im deutsch-luxemburgischen Grenzraum. Manchmal reist er auch für einen kurzen Trip in das Sandsteinparadies Fontainebleau nahe Paris, wo die dortigen Alpinisten an den niedrigen, aber umso schwierigeren Felsblöcken bereits vor den Weltkriegen ihr Bergsteigerkönnen geschult haben. Wie bereits letztes Jahr startete Jay Hoffmann auch in diesen Sommerferien zu einer großen Alpenexpedition.
Klettern am Naturfelsen
Der leidenschaftliche Boulderer ignoriert jedoch nicht nur die Wettkämpfe, selbst in den Alpen reizen ihn die hohen Wände nicht und er bleibt bei seinen wenige Meter kurzen, möglichst schwierigen Felsblöcken. Diese werden mit Matten, sogenannten Crashpads, abgesichert und ohne Sicherungsseil ausprobiert, aber ähnlich wie die Sportkletterrouten mit Seil nach ihrem Schwierigkeitsgrad gewertet.
Den Durchbruch oder Ritterschlag unter den Boulderern, den Grad fb 8a, hatte als erster Luxemburger Patrick Englebert geschafft. Auf diesen Erfolg können bisher nur sehr wenige Luxemburger stolz sein: Yves Schartz, Jerry Medernach, Anselm Geimer und Hoffmann selbst am 24. Juli 2017 mit der „The Green Mile“ im deutschen Sauertal. Ein wenig später hatte Jay Hoffmann dann auch seinen Führerschein und musste nicht mehr stundenlang mit Bus und Bahn anreisen. Im letzten Jahr ging es dann mit dem Crashpad als Matratze im rudimentär ausgebauten Kleinwagen auf Bouldertour in die Alpen, wo ihm als erstem und bisher einzigem Luxemburger mit „Die unendliche Geschichte I“ der Grad fb 8a+ gelang.
Bei seiner diesjährigen, 50 Tage dauernden Tour hatte der bescheidene Sportler das nächste ehrgeizige Ziel: „Mein Ziel waren die 8b, aber nach der ersten Hälfte des Urlaubs hatte ich das quasi aufgegeben. Es regnete so ziemlich jede zweite Nacht und ich hatte richtig Probleme mit der Haut an meinen Fingern: Schnitte, Risse und ‹Neelchen›. Das Lösen der Probleme, die richtigen Bewegungssequenzen für die Blöcke an der menschenmöglichen Grenze zu finden, gehört dabei genauso zum Spiel wie die richtige mentale Einstellung, Geduld und das Beobachten der Natur. Wissen, wann welcher Block die besten Bedingungen bietet, die sich sogar im Tagesverlauf etwas ändern.“
Erster Luxemburger mit dem Grad 8b
Seinen ursprünglich anvisierten 8b konnte er zwar zwischendurch antesten, meist war der aber viel zu nass. Zwei neue 8a+, fünf 8a, sowie vier 7c+ sorgten aber für die moralisch nötigen Erfolgserlebnisse, bis er sich in der zweitletzten Woche ein neues Projekt im schweizerischen Boulderparadies „Magic Wood“ anschaute.
„Dark Sakai ist ein Dach, das heißt, er ist nahezu komplett horizontal und wird erst zum Ende hin etwas weniger überhängend“, erklärt Hoffmann. „Von den zwei Schlüsselstellen ist die schwierigste am Ende. Von einem Totpunkt aus muss man sehr weit auf einen Schlitz/Crimp (eine winzige Stelle, die man nur mit den Fingerspitzen greifen kann, Anm. d. Red.) greifen, der zudem schwer zu treffen ist, weil man ihn nicht einmal sieht.“
Im Laufe der nächsten zwölf Tage verfeinerte er an insgesamt sieben Tagen immer wieder einzelne Bewegungszüge, startete 22-mal von null und scheiterte spätestens am schwierigen Schluss. Bis er und der nationale Kletterverband Flera vor einem Monat schließlich den ersten luxemburgischen Durchstieg eines fb-8b-Grades in den sozialen Medien vermelden konnten.
Mit einer Handvoll von 8c+-Bouldern weltweit, die erst nach Monaten von Training und Arbeit der Weltbesten begangen werden konnten, bleibt zwar weiter Luft nach oben. Aber selbst international gibt es nicht mehr viele Sportler, die 8b oder noch größere Schwierigkeiten geschafft haben.
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