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LogementLuxemburger Mieterschutz: „Das Mieten ist das Stiefkind der Luxemburger Wohnpolitik“

Logement / Luxemburger Mieterschutz: „Das Mieten ist das Stiefkind der Luxemburger Wohnpolitik“
Fabio Spirinelli im Tageblatt-Gespräch Foto: Editpress/Alain Rischard

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Wohnungsbauminister Henri Kox hat ein neues Mietgesetz vorgelegt – und damit das Gegenteil von dem bewirkt, was er ursprünglich verkündete. Die Mietpreise werden nämlich anhand eines Koeffizientensystems nun doch an den reellen Marktwert angepasst. Das Tageblatt hat mit dem Mitbegründer vom Luxemburger Mieterschutz Fabio Spirinelli über die geplante Reform, derzeitige Probleme und mögliche Lösungsansätze für die derzeitige Krise auf dem Luxemburger Wohnungsmarkt gesprochen.

Tageblatt: Das neue Mietpreisgesetz hat in den vergangenen Wochen für viel Aufregung gesorgt. Auch der Mieterschutz hat bereits Kritik geäußert. Können Sie ihre Kritikpunkte kurz zusammenfassen?

Fabio Spirinelli: Erstmal will ich festhalten, dass wir mit der Ankündigung gut leben können, dass der Mietpreis auf 3,5 Prozent respektive drei Prozent des investierten Kapitals für energieineffiziente Wohnungen heruntergesetzt wird.

Was ist der Mieterschutz? 

Die Luxemburger Mieterschutzvereinigung wurde 2020 mit dem Ziel gegründet, „eine Lobby-Plattform zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Mietern“ zu sein. Seitdem klärt die Vereinigung Mieter über ihre Rechte auf und steht bei Streitfällen mit juristischem Rat beiseite.

Sie haben aber Probleme mit dem neuen Rechenmodell?

Genau. Die von Wohnungsbauminister Henri Kox vorgeschlagenen Koeffizienten bei der Neubewertung der Mieteinheiten sorgt nämlich dafür, dass der Mietpreis, besonders bei alten Wohnungen, stark ansteigen würde. Damit kann die Preisentwicklung nicht gestoppt werden. Das Absurde an dem neuen Modell ist, dass für Wohnungen, die vor 30 oder 40 Jahren gekauft wurden, eine drei- bis viermal höhere Miete verlangt werden kann, als es das aktuelle Gesetz erlaubt. Nur bei Neubauten wird die Mietpreisentwicklung etwas gestoppt.

Wer beim Vermieten auf eine hohe Gewinnmarge setzt, vermietet nicht an Personen, die nicht viel Geld zur Verfügung haben.

Fabio Spirinelli, mieterschutz.lu

„Wir wollen, dass der Wohnungsmarkt sich ohne Exzesse nach oben oder unten entwickeln kann.“ Eine Aussage, die so von Wohnungsbauminister Henri Kox getroffen wurde.

Wir als Mieterschutz fragen uns bei dieser Aussage lediglich, wie Exzesse nach unten überhaupt aussehen sollen. Wenn man sich das Gesetz genauer anschaut, erlaubt es nämlich viel eher Exzesse nach oben, als umgekehrt. Wir als Mieterschutz werden im Alltag normalerweise nicht kontaktiert, weil Mieter zu wenig zahlen. Das Gegenteil ist der Fall.

Warum wehrt man sich als Mieter nicht gegen solche Praktiken?

Viele Mieter haben Angst davor, aus ihrer Wohnung auszuziehen. Einige haben keine unbefristeten Arbeitsverträge und die Lage am Wohnungsmarkt ist sowieso schon angespannt. In diesem Kontext kommt es dann viel eher zu Missbräuchen.

Im neuen Mietgesetz wird auch die Aufteilung der Kosten für Immobilienagenten genau festgesetzt. Ein Schritt in die richtige Richtung?

Das ist ein weiterer Punkt, bei dem wir der Logik des Wohnungsbauministers nicht folgen. Im Gesetzesentwurf von 2020 wurde das belgische Modell erwähnt, bei dem die Kosten für Immobilienmakler komplett vom Vermieter übernommen werden. Luxemburg geht dann jetzt wieder seinen eigenen Weg und führt eine gleichwertige Aufteilung auf Mieter und Vermieter ein. Dabei ist es ja nicht der Mieter, der diesen Service angefragt hat, sondern der Vermieter. Das ist aber nicht der einzige Punkt, in dem das Gesetz Inkohärenzen aufweist.

Welche gibt es noch? 

Das Gesetz verschreibt sich einer anderen Logik als Minister Kox angekündigt hatte, als er 2020 meinte, dass nicht mehr der Marktpreis entscheidend sein soll. Genau das passiert aber jetzt mit dem Rechenmodell der Koeffizienten.

Insgesamt ist es eher darauf ausgelegt, nicht dem Mieter, sondern dem Vermieter das Leben zu vereinfachen. Zum Beispiel bei der Regelung zu Wohngemeinschaften, bei der es nicht etwa pro Mieter einen Mietvertrag gibt, sondern einen Vertrag, der alle Mitbewohner der Wohngemeinschaft umfasst.

Sie hatten in dem Punkt bei RTL auch auf Unklarheiten bei den Mietsubventionen verwiesen.

Genau – und auf unsere Frage hin hat uns der Wohnungsbauminister dann unterstellt, Falschinformationen zu verbreiten. Mittlerweile wurden einige Unklarheiten aus dem Weg geräumt. Dennoch: Gerade hinsichtlich der Regelung von Wohngemeinschaften haben wir aber noch einige Kritikpunkte. Wenn ein Mieter etwa aus einer Wohngemeinschaft ausziehen will, muss er „ausreichende Anstrengungen“ unternehmen, um einen Nachmieter zu finden. Anfangs war nicht klar, was mit „ausreichenden Anstrengungen“ gemeint war. Das wurde mittlerweile verbessert. Wenn jedoch festgestellt wird, dass der Mieter nicht ausreichend nach einem Nachmieter gesucht hat, ist er noch mehrere Monate an die vertraglichen Verbindlichkeiten gebunden. Was das genau heißen soll, ist uns noch immer nicht ganz klar. Auch genießt der Vermieter das Recht, eine Wohngemeinschaft aufzulösen, wenn die Hälfte der Mieter die Wohngemeinschaft verlassen.

Wir haben viel über das künftige Mietgesetz gesprochen. Wie sieht denn die derzeitige Lage auf dem Mietmarkt in Luxemburg aus? Was sind die Hauptbeschwerden, mit denen sich der Mieterschutz tagtäglich befassen muss?

Es wenden sich viele Mieter an uns, weil die Mietkaution nicht zurückerstattet wurde. Das, weil zum Beispiel am Ende des Mietverhältnisses kein Übernahmeprotokoll erstellt wurde oder aber der Mieter keine Kopie und somit keinen Beleg erhalten hat.

Ein weiteres geläufiges Problem sind Mieterhöhungen. Im derzeitigen Mietgesetz gibt es lediglich zwei Einschränkungen bei der Mietobergrenze: einerseits die Fünf-Prozent-Kapitalobergrenze und andererseits die Regel, dass die Miete nur alle zwei Jahre erhöht werden darf. Wir wurden schon ein paar Mal von Mietern kontaktiert, denen die Miete um eine paar 100 Euro erhöht wurde – im legalen Rahmen des Gesetzes war dies jedoch möglich. Durch die Energiekrise kommt es nun auch vermehrt zu Fällen, in denen die Nebenkosten drastisch erhöht wurden.

Waren diese Erhöhungen denn Ihrer Meinung nach „exzessiv“?

Das ist schwierig zu beantworten, da es keine verlässlichen Zahlen oder Statistiken zum Luxemburger Wohnungsmarkt gibt. Wir haben jedoch von einigen Fällen gehört, in denen die Nebenkosten in der Miete mit einbegriffen waren – und diese dann trotz der bis Ende Dezember eingefrorenen Mieten erhöht wurden. Das ist natürlich illegal.

Viele Mieter haben sich bereits an uns gewandt, weil für Januar Mieterhöhungen angekündigt wurden. In dem Fall sind sie komplett abhängig vom Vermieter, dass der sich an die Kapitalobergrenze hält. Oder aber man muss sich auf die Mietkommission verlassen können, dass diese ihre Arbeit richtig macht und bei einem Streitfall die Maximalmiete anhand der Kapitalobergrenze richtig festsetzt.

Sie haben gesagt, dass es an genauen Zahlen und Statistiken fehlt. Wie gesättigt ist der Mietmarkt denn ihrer Erfahrung nach?

Das ist aus unserer Sicht schwer zu sagen, da wir vor allem mit Einzelfällen konfrontiert sind. Im Großen und Ganzen kann man jedoch feststellen, dass es nicht nur beim Wohneigentum, sondern auch bei den Mietwohnungen an bezahlbarem Wohnraum mangelt. Das Mieten ist historisch gesehen das Stiefkind der Luxemburger Wohnpolitik. Es muss jedoch als sinnvolle Alternative und nicht als Zwischenstopp zum Grundeigentum oder Lösung für Studenten angesehen werden. Mit der derzeitigen Mietpreisentwicklung ist das jedoch sehr schwierig.

Wie sieht die Lage denn im unteren Preissegment aus?

Ganz konkret fehlt es auch an Notunterkünften. In zahlreichen Gemeinden gibt es „Kaffeezimmer“, die den Kriterien einer sauberen und bewohnbaren Wohnung absolut nicht entsprechen. Die Gemeinden schreiten in den meisten Fällen aber nicht ein, weil sie nicht wissen, wo sie die Menschen unterbringen sollen. Wir hatten den Fall einer Familie, die aus ihrer Wohnung ausziehen musste und auf einem Campingplatz notdürftig untergebracht wurde, weil keine andere Wohnung zur Verfügung stand. Die zwei Kinder konnten während der Zeit auch nicht zur Schule, weil der Campingplatz zu weit weg vom Schulgelände war.

Was machen Sie als Mieterschutz in solchen Fällen?

Wir geben den Menschen meist eine Liste mit Vereinigungen mit, die in der „gestion locative sociale“ tätig sind – wohl wissend, dass es auch da an Wohnungen mangelt. Mit dem Einführen der Koeffizienten wird es zukünftig auch nicht leichter werden, Sozialwohnungen zu mobilisieren. Zwar sind 50 Prozent der Miete dann steuerfrei – jedoch kann, besonders mit älteren Wohnungen, deutlich mehr Miete verlangt werden. So lohnt sich die Vermietung an Privatpersonen mehr. 

Das Mieten ist historisch gesehen das Stiefkind der Luxemburger Wohnpolitik.

Fabio Spirinelli, Mieterschutz

Den großen Investoren dürfte das neue Mietgesetz quasi egal sein, Kleininvestoren könnte die neue Kapitalobergrenze abschrecken. Befürchten Sie, dass sich die Lage am Wohnungsmarkt weiter zuspitzt?

Das sind Argumente, die wir immer wieder hören. Wir teilen diese Ängste jedoch nicht, weil wir das alles aus einer anderen Perspektive sehen. Zudem fehlen auch hier Daten und Studien, auf die man sich stützen könnte. Schon in den 1920er Jahren wurde in Luxemburg darüber diskutiert, ob man sich in einer Wohnungskrise befinde, und durch welche Maßnahmen man eventuell Investoren abschrecke. Dieser Diskurs ist also nicht neu. Wir befinden uns jedoch in einer so dramatischen Situation, dass wir den Markt nicht mehr frei agieren lassen können. Wir können bei Investitionen in den Wohnungsmarkt nicht so reden, als würde in irgendein Konsumgut investiert werden. Jeder braucht ein Dach über dem Kopf – und am besten eins, das die Kriterien einer sauberen, bewohnbaren Wohnung erfüllt. Denn: Wer beim Vermieten auf eine hohe Gewinnmarge setzt, vermietet nicht an Personen, die nicht viel Geld zur Verfügung haben.

Und es sind jedoch genau die Bevölkerungsgruppen, die Mietwohnungen benötigen?

Genau: zum Beispiel Personen mit befristeten Arbeitsverträgen oder Alleinerziehende. Das Gesetz, wie es derzeit vorliegt, würde vielleicht funktionieren, wenn ein perfektes Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage vorliegt. Dann hätte man als Mieter auch mehr Macht, wenn es zu Verhandlungen mit dem Vermieter kommt. Derzeit aber haben viele Mieter sogar Angst, aus ihrer Wohnung auszuziehen, weil die Lage auf dem Wohnungsmarkt so dramatisch ist. Das kann zu Missbrauch führen – und man unterschreibt als Mieter dann auch einen Vertrag, mit dem man eigentlich nicht zufrieden ist. Ein Großteil der Mieter sind zudem ausländische Bürger, die die Gesetzeslage vielleicht nicht so genau kennen. Und zu alldem kommt dann noch eine psychologische Komponente hinzu.

Können Sie die psychologische Komponente kurz erläutern?

Ich kann das Beispiel einer jungen Frau nennen, der so stark von ihrem Vermieter zugesetzt wird, dass es schon an Belästigung grenzt. In ihrem Appartement werden Reparaturarbeiten nicht erledigt, bei vorigen Arbeiten wurde sie von einem unseriösen Immobilienagenten ausgenutzt. Wie groß der Druck ist, der auf der jungen Frau lastet, hat sich gezeigt, als sie bei einem Treffen mit einem unserer Anwälte einfach in Tränen ausgebrochen ist.

Was wären denn erste Lösungsansätze, die man schnell einführen könnte, um die Mieter zu unterstützen?

Eine unserer Ideen wäre ein Schlichtungsdienst, der es erlaubt, dass Eigentümer und Mieter sich zusammensetzen und Streitfälle lösen. Dieser könnte nicht nur bei Problemen mit der Miete einschreiten.

Eine weitere Idee betrifft die Mietkaution. Man könnte einen staatlichen treuhänderischen Dienst einführen, bei dem die Mietkaution hinterlegt wird. Am Ende des Mietvertrages würde man von diesem Dienst dann die hinterlegte Summe zurückbekommen. Auch der Eigentümer könnte davon profitieren, falls es durch den Mieter zu Schäden in der Wohnung gekommen ist. Das sind beides Maßnahmen, die kein neues Gesetz benötigen, sondern sofort umgesetzt werden können. Es kann nicht sein, dass man in jedem Streitfall immer wieder auf Anwälte oder das Friedensgericht zurückgreifen muss.

Ein anderer Punkt betrifft die Mietkommission. Sie wird durch die Reform nicht geändert – müsste aber eigentlich professionalisiert werden. Das System funktioniert nicht überall und ist von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. Durch eine Professionalisierung der Kommission, und möglicherweise auch einer Ausweitung ihrer Kompetenzen als Vermittlerdienst, hätte man die Möglichkeit für mehr Vermittlung und Schlichtung zwischen Eigentümern und Mietern.