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Autorin und LGBT+-AktivistinLuce van den Bossche: „Lyrik kommt bei mir aus dem Bauch heraus und ist mehr Punkrock“

Autorin und LGBT+-Aktivistin / Luce van den Bossche: „Lyrik kommt bei mir aus dem Bauch heraus und ist mehr Punkrock“
Luce van den Bossche: „Ich würde mein Werk nicht als engagierte Literatur per se beschreiben, sondern eher sagen, dass jede Existenz in der Gesellschaft mit einer politischen Position einhergeht“ Fotos: Editpress/Hervé Montaigu

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Autorin, Aktivistin und Mitarbeiterin des Rainbow Center: Luce van den Bossche, eine nichtbinäre Trans-Frau, die in Luxemburg lebt, ist auf vielen Fronten aktiv. Vor kurzem hat sie ihren Gedichtband „Sangs“ veröffentlicht und im Rahmen einer Lesung vorgestellt. Die Lyrikerin hat mit dem Tageblatt über ihren Werdegang gesprochen.

Über ihren Schaffensprozess redet sie allgemein eher ungern – viel lieber lasse sie ihr Werk für sich sprechen. Luce van den Bossche (30) hat vor kurzem ihren Band „Sangs“ beim Verlag „L’Angle Mort“ veröffentlicht – nach acht Jahren, denn es wurde bereits 2015 verfasst und mit dem „Prix d’encouragement“ der „Fondation Servais“ ausgezeichnet. In ihrem Werk gäbe es nicht wirklich wiederkehrende Themen – vielmehr beschreibt sie ihr Schaffen als „Stream of Consciousness“. „Bis zu einem gewissen Grad ist ‚Sangs‘ auch politisch, allerdings aus einem eher existenzialistischen Standpunkt“, sagt die Lyrikerin im Tageblatt-Gespräch. „Ich würde es nicht als engagierte Literatur per se beschreiben, sondern eher sagen, dass jede Existenz in der Gesellschaft mit einer politischen Position einhergeht.“

„Sangs“ ist, in den Worten von Luce van den Bossche, ein Manifest der Resilienz, „une marée inexorable“. Das Werk, in dem mehrere Sprachen verwendet werden, setzt sich aus zwei Teilen zusammen: „tagebau pour un lit dans les fleuves“ et „tophet“, die beide unterschiedliche Zeiträume im Leben der Autorin darstellen. Der erste Teil, verfasst nach den Attentaten des Islamischen Staates (IS) in Frankreich, spiegelt das von der Autorin erlebte Leiden aufgrund der Genderdysphorie (Belastung, die mit einer Inkongruenz zwischen Gender und biologischem Geschlecht einer Person einhergeht; Anm. d. Red.) wider, stellt aber auch einen künstlerischen Ansatz dar, bei dem Sprachen, Ideen und Stimmen ineinanderfließen. „tophet“, der zweite Teil, ist nach dem Begriff für Kultstätten betitelt, in denen in phönizischen Kulturen Kinder beigesetzt wurden. Rund um diese Stätten ranken sich viele Legenden und Erzählungen, sodass ihre eigentliche Verwendung bis heute unklar ist. Ganz allgemein handelt der Gedichtband von der Isoliertheit in einer spätkapitalistischen Gesellschaft, sagt die Autorin.

Das Thema Genderdysphorie kommt in „Sangs“ zur Sprache. Luce van den Bossche hat sie durchlebt. Es wäre jedoch ungerecht und inkorrekt, sie als Autorin zu sehen, die ausschließlich über Trans-Rechte schreibt. Das tut sie nämlich nicht, auch wenn es ein Teil von „Sangs“ ist. Die Frage, inwiefern sich Elemente aus ihrem persönlichen Leben in ihrem Werk wiederfinden, kann sie nur schwer beantworten. „Was ich schreibe, entstammt meiner persönlichen Erfahrung, aber es ist jetzt nicht wie in einem Schlüsselroman, in dem eine real existierende Person quasi eins zu eins dargestellt wird. Ich erzähle nicht mein Leben – die Leser erhalten höchstens einen Einblick darauf, wie ich mein eigenes Leben empfinde. Für mich ist Lyrik aber auch etwas, was eher aus dem Bauch statt aus dem Kopf heraus entsteht. Vor allem im akademischen Bereich meinen Menschen, es sei etwas sehr Kopflastiges. Für mich ist es eher etwas, was aus dem Bauch heraus kommt – eben mehr Punkrock.“

„Eine Sichtbarkeit, die es in meiner Jugend nicht gab“

 Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Luce van den Bossche wurde bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet – im englischsprachigen Raum sagt man „assigned male at birth“. Wie viele Menschen in Luxemburg, die ursprünglich aus Südkorea kommen, wurde sie als Kind adoptiert, ging in Esch zur Schule und studierte in Frankreich, unter anderem französische Literatur in Paris. Hier betont sie, dass es eine große Trennung gibt zwischen der formellen Literatur, der akademischen Welt und ihrem künstlerischen Schaffen. „Viele Menschen im Publikum sehen eine direkte Verbindung. Ich unterstreiche aber, dass es enorme Unterschiede zwischen der akademischen Ausbildung und dem, was ich mache, gibt.“

Sie begann als Jugendliche mit dem Schreiben; konkreter wurde das Ganze, als die Minetterin im „Lycée Hubert Clément Esch“ (LHCE) von Alexandra Fixmer, Französischlehrerin, Autorin und zwischen 2005 und 2007 Direktorin der „Editions Phi“, entdeckt und gefördert wurde. Fixmer bot Schreibateliers in der Schule an und stellte van den Bossches literarisches Talent fest. Deren eigentliches Debüt folgte im Jahr 2012. Obschon „Sangs“ ihre erste Buchveröffentlichung ist, wurden bereits davor Gedichte in Zeitschriften und Anthologien gedruckt, unter anderem im deutschen Hanser-Verlag. Highlights in der noch jungen Karriere der Autorin waren neben dem oben genannten Servais-Preis Auszeichnungen beim „Concours Jeune Printemps“ und in der Jugendkategorie des „Concours national littéraire“.

Dass sie transgender ist, wusste Luce van den Bossche bereits in ihrer Jugend. „Allerdings wurde damals kaum darüber gesprochen“, sagt sie heute. „Und wenn das Thema zur Sprache kam, dann waren es doch sehr eindimensionale Darstellungen in den Medien.“ Einen Wendepunkt sieht sie Mitte der 2010er-Jahre, als sich mehrere prominente Trans-Personen an die Öffentlichkeit wandten. Dazu gehört das sehr mediatisierte Coming-out von Caitlin Jenner, auch wenn van den Bossche betont, dass die Person durchaus problematisch ist. Doch diese Sichtbarkeit des Themas habe zu einem Shift in der Gesellschaft geführt. „Es gab und gibt auch heute noch Backlash, doch zumindest begann man, darüber zu sprechen“, sagt die Luxemburgerin. „Auch anhand meines Beispiels möchte ich zeigen, wie wichtig Sichtbarkeit ist. Als Trans-Frau bin ich in Luxemburg sichtbar und werde es auch weiter sein. Ich hoffe, vielleicht Menschen, die sich in ähnlichen Situationen befinden, zu helfen. Eventuell gibt es bei ihnen einen Moment, in dem es ‚klick‘ macht.“

Trotz allgemeiner gesellschaftlicher Akzeptanz der LGBT+-Gemeinschaft ist Luxemburg keine Insel. Auch hier sind besorgniserregende Entwicklungen durchaus zu sehen.

Diese Sichtbarkeit und Repräsentation von Trans-Personen sowie von lesbischen Frauen kannte van den Bossche in ihrer Jugend nicht. Sie hofft deswegen, dass es die jüngeren Generationen einfacher haben werden. In Luxemburg werde daran gearbeitet, Trans-Personen sichtbarer zu machen, ihnen Räume zu geben und ihre Rechte zu verteidigen. Die 30-Jährige sagt aber: „Die Situation der Gemeinschaft ist auf dem Papier ganz in Ordnung, auch wenn es im rechtlichen Bereich Baustellen gibt. Doch die Frage lautet, wie es in der Praxis aussieht.“ Rechte auf dem Papier und gelebte Realität sind nicht immer dasselbe, betont sie. 

„Das Problem sind nicht wir“

Alleine was den Zugang zu verschiedenen Arten medizinischer Pflege betrifft, gibt es Baustellen in Luxemburg. Wer eine Hormontherapie beginnen möchte, benötigt zuerst ein Zertifikat eines Psychiaters. Van den Bossche weist jedoch darauf hin, dass zum einen nicht viele Psychiater eine solche Bescheinigung ausstellen und zum anderen, dass jene, die es tun, nicht spezialisiert sind und nicht über genügend Erfahrungswerte verfügen. Auch in der Endokrinologie haben das Rainbow Center und die Vereinigungen, die mit dem Zentrum zusammenarbeiten, einen eklatanten Mangel an Ärzten, die mit dem Thema vertraut sind, festgestellt. „Dementsprechend lang sind dann auch die Wartezeiten …“ Erwartungen und Vorurteile gegen Trans-Personen bestehen nach wie vor, vor allem, wenn es um die Frage der äußerlichen Präsentation geht. Nicht alle Trans-Personen unterziehen sich einer Hormontherapie oder geschlechtsangleichenden Operationen.

 Foto: Editpress/Hervé Montaigu

„Das Problem sind nicht wir. Das Problem ist die Art, wie Teile der Gesellschaft uns sehen“, sagt die Aktivistin. „Ich sehe das unter anderem am Gender-Diskurs, der aus Polen nach Deutschland übergeschwappt ist und dort genauso von den Rechten aufgegriffen wurde.“ Diese Rhetorik gäbe es auch in Luxemburg. „Trotz allgemeiner gesellschaftlicher Akzeptanz der LGBT+-Gemeinschaft ist Luxemburg keine Insel. Auch hier sind besorgniserregende Entwicklungen durchaus zu sehen.“

Deswegen seien geschützte Räume wie das Rainbow Center, in dem sie angestellt ist, wichtig. Es wurde mit dem Ziel gegründet, ein „safe space“ für Mitglieder der LGBT+-Gemeinschaft zu erschaffen. Dort finden unter anderem Vorträge und Workshops statt, aber auch eine Ausstellung mit Werken von Künstlern aus der Community läuft derzeit. Und – wie bei Luce van den Bossche zu erwarten – soll auch dem Thema Literatur bald eine größere Rolle zukommen. „Wir planen beispielsweise Schreibateliers“, verrät die administrative Managerin des Zentrums. „Es gibt bereits Ideen für weitere Events, aber mehr verrate ich noch nicht …“


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