Tageblatt: Herr Majerus, was haben Sie vom Nationalarchiv angefordert?
Benoît Majerus: Ich habe Anfang März 2023 Akten vom luxemburgischen Außenministerium angefordert, weil ich über die Connection zwischen Luxemburg und Panama im Kontext von Offshore-Firmen recherchiere.
Und dann kam erst mal eine Absage?
Genau, es kam eine Absage, was aber teilweise normal ist bei Dokumenten, die weniger als 75 Jahre alt sind. Man kann dann aber eine Ausnahme beantragen und mir wurde diese Ausnahme in diesem Fall auch bewilligt. Als es dann konkret um die Einsicht ging, haben sie aber gesagt: „Nein, das geht nicht, wir müssen das erst anonymisieren.“ Dieser Prozess hat dann sehr lange gedauert – fast fünf Monate ab der ursprünglichen Anfrage.
Was passierte dann?
Dann konnte ich mir die Sachen endlich ansehen, es waren aber fast alle Namen und auch ganze Seiten geschwärzt. Und eine der ersten Sachen, die man als Historiker macht, ist, Autor und Adressaten eines Textes zu identifizieren, was aber hier logischerweise dann gar nicht möglich ist. Das erschwert das Arbeiten natürlich sehr. Dazu kommen jetzt die extrem langen Wartezeiten, was eine Magisterarbeit fast unmöglich macht und eine Doktorarbeit sehr viel komplizierter. Außerdem musste ich für die Einsicht in einen separaten Raum im Keller gehen und es hat ein Beamter vom Archiv auf mich aufgepasst, damit ich keine Fotos mache oder ähnliches.
Kommt so etwas häufiger in dieser Form vor?
Ich bin jetzt schon seit 25 Jahren in Archiven unterwegs und habe das so noch nie erlebt.
War der Umgang mit dieser Akte denn ein Einzelfall oder ist das auch noch bei anderen passiert?
Nein, ich war nicht der Einzige, bei uns an der Universität sind mehrere Leute davon betroffen und keiner weiß auch so richtig, woher dieser Sinneswandel kommt, das muss sich offenbar irgendwann im April oder März 2023 geändert haben. Auf der Website des Archivs gibt es auch keine Erklärung oder offizielle Mitteilung über eine neue Regelung oder ähnliches. Es gibt auch meines Wissens kein neues Gesetz, das das erklären würde.
(Das Tageblatt hat das Nationalarchiv um eine Stellungnahme gebeten und wird entsprechend in den kommenden Tagen über die Antwort berichten.)
Danke Herr Majerus, dass Sie diesen Vorfall öffentlich gemacht haben.
Ich hoffe die Redaktion bleibt wirklich an der Sache dran und berichtet weiter.
Der luxemburgische Historiker Emile KRIER schreibt in seiner Dissertation aus dem Jahre 1978 "Deutsche Kultur- und Volkstumspolitik von 1933-1940 in Luxemburg" auf Seite 20:
" (…) Was die Quellen unserer Arbeit anbelangt, so konnten wir die Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes in Bonn und diejenigen des Bundesarchivs in Koblenz, in äußerst zuvorkommender Weise benutzen. Auch aus den Beständen des Bistumsarchivs Trier und aus denjenigen des Kirchlichen Aussenamtes der EKB konnten wir die Luxemburg betreffenden Akten einsehen. Die luxemburgische Generalstaatsanwaltschaft überließ uns einige Prozessakten von Personen, die schon in den 20ger Jahren enge Verbindungen mit Deutschland hatten. Das Archiv des Bistums Luxemburg konnte uns kein Material zur Verfügung stellen, da es keins besitzt; das luxemburgische Außenministerium verweigerte uns die Einsichtnahme ihrer im luxemburgischen Staatsarchiv lagernden Archive mit der äußerst fadenscheinigen Begründung: "La règle générale en vigueur veut en effet que les archives ne soient rendues accessibles qu’après une période de 50 ans. II s'y ajoute que nos archives pour la période qui vous interesse ne sont pas complètes et comprennent par ailleurs des copies de documents étrangers que nous avons pris l'engagement de ne pas publier." Ebenfalls wurde unser Benutzungsantrag für das "Deutsche Zentralarchiv Potsdam" abgelehnt. Trotz dieser negativen Bescheide hielten wir es für zulässig diese Arbeit zu schreiben, da es wahrscheinlich noch längere Zeit dauern wird, bis man die Aktenbestände der zwei letztgenannten Archive wird einsehen dürfen. Weil uns die wichtigen Akten des luxemburgischen Aussenministeriums nicht zur Verfügung standen ist es nicht auszuschliessen, dass einige Begebenheiten vielleicht einseitig geschildert werden, und die Darstellung in einigen Punkten eine von uns nicht beabsichtigte Färbung bekam. Die Ursache für vorhandene Einseitigkeiten liegt aber nur darin, daß es uns unmöglich war das Gegenstück einzusehen,um damit die andere Seite kennenzulernen. Trotz aller Schwierigkeiten bemühten wir uns um eine möglichst grosse Objektivität, und konnten wir, durch viele kleine Hilfen von links und rechts, Einseitigkeiten beheben. (…)"
MfG
Robert Hottua