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SlowflowersHinter Stefanie Hildebrands Schnittblumen steckt eine Philosophie 

Slowflowers / Hinter Stefanie Hildebrands Schnittblumen steckt eine Philosophie 
Stefanie Hildebrand schwimmt auf ihrer Blumenfarm in Kapenacker mit regionalen Sorten und ökologischem Anbau gegen den Strom Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Für Stefanie Hildebrand ist die Pandemie ein beruflicher Einschnitt. Die ehemals selbstständige Trainerin für interkulturelle Kommunikation sattelt um und wird Blumenfarmerin. Hinter dem Projekt „Slowflowers” in Kapenacker steckt eine Philosophie.

Stefanie Hildebrand (58) ist zwischen ihren Blumen zu finden. Sie schneidet gerade welche zurecht und bearbeitet den Boden. Am Rand des Feldes ausgebreitete Schafwolle soll Tiere abhalten und sie baut Humus, Mutterboden, auf. Mitten in dem farbenfrohen Meer von Blüten, in dem es summt und große Schmetterlinge umherschwirren, taucht sie auf und verbreitet gute Laune.

Im August ist einiges los auf den rund 1.000 Quadratmetern Anbau. Vormals heimische und in Vergessenheit geratene Arten wie Löwenmäulchen, Duftnesseln, Cosmos oder Zinnien blühen nur so um die Wette. Bis zu der bunten Pracht war es ein harter Weg. Der Lehmboden braucht Pflege, um ihm etwas abzutrotzen, und sie erlebt Rückschläge. Wühlmäuse fressen die ersten Tulpen und die Rehe finden die Rosen lecker. Kapenacker ist ein kleiner Weiler und sehr ländlich.

Die Blumenfarmerin ist Autodidakt

Während der Pandemie experimentiert Hildebrand und bringt sich alles selbst bei. Der lebendige Bauerngarten, den sie angelegt hat, erfüllt sie. „In ein Blumenfeld einzutauchen, macht etwas mit einem“, sagt sie. Rosen vom Äquator oder Tulpen aus Amsterdam gibt es bei ihr nicht. Soll es auch nicht, denn gerade diesem Mainstream will sie etwas entgegensetzen. „Das Schlimmste für mich wäre, wenn meine Blumen irgendwann als Gesteck in Steckschaum aus Mikroplastik landen“, sagt sie.

Industriell hergestellte Schnittblumen haben nie ein Insekt oder einen Regentropfen gesehen

Stefanie Hildebrand, Blumenfarmerin

Auch ein fertig gebundener Strauß kommt ihr nicht ins Haus. Für sie sehen sie, abgesehen von einigen farblichen Unterschieden, sowieso alle gleich aus. Wenn sie mit Entschiedenheit sagt, sie wolle auf gar keinen Fall Standardware produzieren, ist sie gleich beim philosophischen Hintergrund ihres Projektes. Der anglo-amerikanischen Bewegung „Slow Flowers“ sind Begriffe wie regional, saisonal, ökologisch verantwortungsvoll und biokulturelle Vielfalt wichtig.

Danach hat Hildebrand ihre Blumenfarm ausgerichtet. Ihre Samen stammen aus überwiegend biologischem Anbau und teilweise kann sie sie mittlerweile selbst gewinnen, so wie es früher alle Landwirte gemacht haben. Das Biolabel hat sie nicht. „Slow Flowers“ ist in Reaktion auf die teils mafiösen Geschäfte einer Industrie entstanden, die die Gewinnmargen zwischen den in Drittländern billig produzierten Blumen und dem Geschenkedruck auf anderen Kontinenten für sich entdeckt und gut davon lebt.

Ausbeutung in Drittländern

An Tagen wie Valentinstag, wo rote Rosen in Massen verkauft werden, lebt die Diskussion darüber regelmäßig auf. Medienberichte wie die Recherche des Norddeutschen Rundfunks NDR vom Mai 2023 belegen, dass beispielsweise die meisten in Europa verkauften Rosen aus Kenia stammen. 1,6 Milliarden Stück importiert demzufolge allein Deutschland.

Dafür, dass die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter in den Produktionsfirmen miserabel sind, die Blumen eine hohe Pestizidbelastung aufweisen und sie chemisch behandelt werden, um den langen Transport oft mit Zwischenhandel in den Niederlanden zu überstehen, interessiert sich lange niemand. Im Gegenteil: Konsumenten wie Handel profitieren von dem zu jeder Jahreszeit und überall verfügbaren Angebot an Schnittblumen sogar im tiefsten Winter.

Die Importe gleichen aus, dass jeder europäische Garten dann normalerweise noch mit den Nachwehen des Winters kämpft und blühende Blumen nicht in Sicht sind. Heute kommt in der Diskussion um die Blumenindustrie noch etwas anderes hinzu: „Der CO2-Abdruck von so einer einzelnen Rose sind zwei bis drei Kilo“, sagt Blumenfarmerin Hildebrand. Ihr Traum ist anders und sie hat ein Bild dazu vor Augen. Irgendwann sollen Menschen durch ihre Blumenfelder gehen, sich die selbst geschnittenen Blumen in den Arm legen, um daraus einen Strauß zu binden, der anschließend locker arrangiert in der Vase den Raum verschönert.

Lockere Arrangements in der Vase 

Wie aus den Schnittblumen ihres Bauerngartens so ein Strauß entsteht, vermittelt sie in ihren Workshops. Dass das ein Umdenken in Sachen „Look“ ist, gibt sie unumwunden zu. Deshalb lässt sie die Bezeichnung „Öko-Ästhetin“ für sich gelten, denn darum geht es ihr: Veränderung der Seh-, Konsum- und Marktgewohnheiten. „Industriell hergestellte Schnittblumen haben nie ein Insekt oder einen Regentropfen gesehen“, sagt Hildebrand.

Ihre Blumen kennen das. So offen wie sie selbst ist auch ihre Anbaufläche. „Mir ist es wichtig, dass sich hier Menschen begegnen und sich austauschen können“, sagt sie. Ihre Blumen und die Sträuße daraus, von denen sie seit kurzem 40 Stück wöchentlich an den luxemburgischen Lebensmittelgrossisten abgibt, sprechen ihre eigene Sprache. Sie laden dazu ein, ihre Herkunft näher kennenzulernen.