Rá und seine vier besten Freunde (über)leben auf den Straßen von Medellín – bis der junge Mann eines Tages per Brief mitgeteilt bekommt, dass die Regierung ihm das Grundstück seiner während des Bürgerkrieges expropriierten „abuela“ zurückerstattet. Der fast schon US-amerikanisch klingende Traum eines jungen Menschen, der es vom Straßenjungen zum stolzen Besitzer schafft, klingt utopisch, scheitert aber an einer Regierung, die die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs nur vorheuchelt.
Die (fiktionale) Handlung stammt aus dem Film „Kings of the World“, einer luxemburgischen Koproduktion, die im Wettbewerb des diesjährigen Luxembourg City Film Festival gezeigt wurde und dort den 2030 Award by Luxembourg Aid & Development erhielt. Das Festival, das u.a. wegen seiner politischen Programmierung nach und nach eine internationale Anerkennung erlangt hat, wird übrigens vom Kulturministerium … und von der Stadt Luxemburg finanziert – ebendieser Stadt, die soeben für ein Bettelverbot gestimmt hat.
Straßenkinder auf der Leinwand in einem leicht fiktionalisierten Kolumbien sind also gerade noch gut genug, um während feierlicher Eröffnungsreden die soziale Ader wenig sozialer Politiker zu zeigen: Immerhin schützt hier der Schirm der Fiktion vor der leibgewordenen Armut, da, wo das Elend in der Hauptstadt ungefiltert, ergo dann doch wohl zu viel des Guten ist.
(Viel) Geld in ein Festival investieren und während Eröffnungszeremonien unterstreichen, wie stolz man auf ein sozialkritisches Festival sei, dann aber in der eigenen Hauptstadt die Armut kriminalisieren – irgendwie wirkt das ganz schön schizophren.
Dass eine solche kognitive Dissonanz – Empathie im Kino empfinden (oder vortäuschen), die nervigen Bettler dann aber aus der Stadt vertreiben – möglich ist, erklärt sich durch Aristoteles’ Fiktionsdefinition: Im Theater werden Triebe stellvertretend ausgelebt, danach sind Zuschauer*innen von lästigen Wut- oder Eifersuchtsgefühlen befreit. Woran Aristoteles nicht gedacht hatte: Seine Katharsis könnte wohl auch dazu führen, positive Eigenschaften wie Empathie oder Fürsorge stellvertretend auszuleben – damit man im Alltag wieder ein knallhartes, emotionsloses Monster sein kann.
Dass Lydie Polfer (DP) eine aseptische Hauptstadt will, ist in den letzten Jahren glasklar geworden – man denke an die Sicherheitspatrouillen im Bahnhofsviertel, aber auch an die Art, wie Festivals auf dem Kirchberg abgesagt werden mussten, weil es dort im Spätsommer manchmal bis sage und schreibe Mitternacht etwas lärmen sollte. Das Bettelverbot ist nur der nächste logische Schritt in dem großen Projekt einer leeren Stadt, die wegen ihrer Exklusionsmaßnahmen immer mehr einer „gated community“ nahekommt: So wird Luxembourg City zu einem Paradies für die ganz Reichen – für alle anderen wird Nicolas Sarkozys Kärcher-Metapher angewandt.
Die Begründung, in anderen Ländern oder Städten gebe es doch längst ein solches Verbot, ist ebenso stumpfsinnig, wie den streikenden Franzosen vorzuwerfen, anderswo würde man doch auch länger arbeiten müssen – im Allgemeinen nennt man so etwas Anpassung nach unten, bei solchen Maßnahmen hängen die nächsten menschenverachtenden Schritte immer bereits in der Luft. Wer ohne Widerstand das Pensionsalter nach hinten schieben kann, weiß, dass auch andere Maßnahmen duckmäuserisch akzeptiert werden.
Im Endeffekt macht es dann auch Sinn, dass die Bürgermeisterin bei ihren Eröffnungsreden hauptsächlich das touristische Potenzial des Festivals hervorhebt. Befremdlich wirkt es aber schon, wenn weltbekannte Regisseure wie Elia Suleiman oder Nadav Lapid, deren Werk sich gegen repressive Politik auflehnt, in teuren Hotels als Jurymitglieder empfangen werden – und dann durch eine von jedem Armutszeichen befreite Plastikstadt geleitet werden. Aber immerhin hat die Stadt einen Ruf zu verteidigen – den des herzlosen und dennoch pulsierenden Epizentrums des Kapitals.
Vill Geschwätz a Gemeckers am Artikel awer keng Léisung.
D'Houere musse jo och op enger spezieller Plaz 'schaffen', dotëscht ass Plaz genuch fir d'Heescherten.
Meine katholischen Eltern, 1911 und 1917 in Luxemburg geboren, wurden schon mit der von Herrn Jeff SCHINKER erwähnten "kognitiven Dissonanz" konfrontiert. Vom klerikalen Reich ab 1933 zu "salutogenen, die Gesundheit des Volkskörpers fördernden" rassenhygienischen und bellizistischen Höchstleistungen angestachelt, wurden sie ab 1945 als Parias, als ausgestoßene, pathogene Zivilisationsverbrecher behandelt. Diese Behandlung ist meiner Meinung nach korrekt, nur darf sie nicht isoliert betrachtet werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Eltern die von ihnen erlebte kognitive Dissonanz als Sühne akzeptiert haben. Kinder von Nazis sind Instrumente, denen die Möglichkeit sich ihrer Verantwortung zu stellen vom Staat gegeben werden muß. So können sie zu Heilung und Versöhnung beitragen.
MfG
Robert Hottua
Die Heuchler und Schmeichler sind ärger als die Raben; diese stechen den Toten die Augen aus; die Heuchler und Fuchsschwänzer aber verblenden die Lebendigen, daß sie die Wahrheit nicht sehen können.
Sigismund von Luxemburg (1368 - 1437), stammte aus dem Hause der Luxemburger, von 1378-1388 und 1411-1415 Kurfürst von Brandenburg, seit 1387 König von Ungarn und Kroatien, seit 1411 römisch-deutscher König, seit 1419 König von Böhmen, ab 1433 römisch-deutscher Kaiser.
(Aphorismen.de)
Der Sigi, wie der sich damals schon auskannte.
"Wer ohne Widerstand das Pensionsalter nach hinten schieben kann, weiß, dass auch andere Maßnahmen duckmäuserisch akzeptiert werden." Noch nie wurden die Menschen so alt und noch nie wurde so wenig in die Kassen eingezahlt. Die Rechnung auf Kosten der nächsten Generationen zu machen ist nicht gerade vom Feinsten. Die Streiks in Frankreich treffen vor allem die Franzosen selbst.Wenn dann auch noch die "Casseurs" anrücken und alles kaputt schlagen wird die Rechnung von den Franzosen bezahlt,nicht von Macron. Dessen sollte man sich bewusst sein. Eines steht fest,unsere Kinder werden mehr einzahlen und länger arbeiten gehen.Außer es gibt eine Reform die den Namen verdient.Siehe Skandinavien. Wer schon einmal in Ägypten unterwegs war weiß um die Bettler die einem auf Schritt und Tritt die Hand unter die Nase halten. Stellen wir uns das in Luxemburg vor? Wir wettern gegen den Kapitalismus,profitieren aber täglich von seinen "herzlosen" Vorteilen. Also bitte,nicht heucheln.
Ganz gudden Artikel. Letzebuerg soll en Vorzeigeland gin wou et nemmen eng schein Facade get. All dat Onangenehmt muss verschwannen, esou wei dat "arbeitscheues Gesindel" (huet een dat net schon an den 1930er Joeren heieren). Mir sin net mei weit vun enger Diktatur ewech.