Ein Energieminister als Krisenmanager. Claude Turmes („déi gréng“) tritt offenbar in die Fußstapfen von Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP). „Die Energiekrise wird wöchentlich auf der Tagesordnung des Regierungsrates stehen“, kündigt Premierminister Xavier Bettel (DP) bei der Pressekonferenz am Freitag an. „Die Versorgungssicherheit bleibt unsere oberste Priorität.“ Aber wer nach der Pressekonferenz der Grünen am Mittwoch auf die Ankündigung schneller Maßnahmen gehofft hatte, wird am Freitag enttäuscht. „Das machen wir wie bereits im Frühjahr gemeinsam mit den Sozialpartnern auf der Tripartite“, sagt Bettel.
Der Winter stehe vor der Tür, die Energie müsse für jeden bezahlbar bleiben, erklärt der Premierminister. „Die Regierung ist für schnelle und effiziente Maßnahmen.“ Die Sozialpartner würden am 14. September wieder zusammenkommen, um noch einmal in bilateralen Gesprächen die Lage zu analysieren. „Ich habe den Regierungsrat heute Morgen darüber informiert, dass vom 18. bis zum 20. September die richtigen Tripartite-Gespräche beginnen können.“
Der Luxemburger Sozialdialog sei ein Erfolgsmodell, der eine soziale und politische Stabilität garantiere. Wenn nötig, würden die Gespräche auch über die drei Tage hinaus verlängert werden. „Der soziale Frieden wird durch sozial gerechte Maßnahmen garantiert, die zusammen mit den Sozialpartnern entschieden werden“, sagt Bettel. Der Sozialdialog funktioniere, es wäre eine Tragödie, wenn dieses Modell zugrunde gehen würde. Ein Energietisch wie im Frühjahr sei auch deswegen nicht zustande gekommen, weil der Index von den Energiepreisen getrieben werde – „es muss ein gemeinsamer Lösungsvorschlag mit den Sozialpartnern erarbeitet werden“, antwortet Premierminister Xavier Bettel auf eine Tageblatt-Nachfrage.
Keine Tabus
Auf der nächsten Tripartite strebe man deswegen ein Abkommen an, das Menschen bis in die Mittelschicht hinein unterstütze. „Das Abkommen soll unseren Wohlstand und unsere Arbeitsplätze sichern und uns gut durch den Winter und darüber hinaus bringen“, sagt Bettel. Luxemburg könne die Krise jedoch nicht alleine lösen, da man stark von Energieimporten abhänge. Das kommende Treffen der Energieminister der Europäischen Union sei deshalb von größter Wichtigkeit.
„Es gibt von unserer Regierung aus kein prinzipielles Tabu, in den freien Markt einzugreifen“, kündigt Bettel an. Ein freier Markt könne nur unter fairen und freien Bedingungen funktionieren. „Die Bedingungen sind durch den russischen Angriffskrieg allerdings alles andere als fair – wir werden deshalb auch Eingriffe in den Markt mittragen, wenn diese denn sinnvoll sind.“ Auch eine Übergewinnsteuer auf europäischem Niveau könne sich die Regierung vorstellen. Genaue Details wolle die Regierung aber noch nicht präsentieren – „da stehen noch komplexe und technische Entscheidungen an.“ Nur eines stehe fest: „Heizen darf kein Luxus werden.“
Trockner Sommer tut sein Übriges
„Wir waren zu Beginn des Krieges schlecht aufgestellt“, sagt Energieminister Claude Turmes zur Gas-Lage vor sechs Monaten. Teilweise seien bis zu 40 Prozent der Gasimporte aus Russland gekommen. „Wir haben auf europäischer Ebene in Rekordzeit ein Reglement hervorgebracht, damit die Gasspeicher schnell aufgefüllt werden.“ Und das, obwohl das russische Staatsunternehmen Gazprom, das 40 bis 50 Prozent der Gasreserven in den Niederlanden, Österreich und Deutschland kontrollierte. Auch Luxemburgs Energieversorger hätten dort Gas eingelagert. „Jedes europäische Land hat in der Hinsicht die nötigen Anstrengungen unternommen.“ Luxemburgs strategische Gasreserven hätten schon dazu beigetragen, den Gaspreis etwas zu drücken – seien aber eigentlich dafür gedacht, im Notfall die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Luxemburg bezieht sein Gas vom belgisch-luxemburgischen Markt. „Wir stehen deshalb innerhalb eines Krisenkomitees in ständigem Austausch mit der belgischen Regierung“, sagt Turmes. Der nationale Notfallplan sei ebenfalls eng mit Belgien abgestimmt worden. Neben der Gasversorgung sei nun aber auch die Stromversorgung als weiteres Sorgenkind hinzugekommen. „Im Frühjahr war diese Situation noch nicht in dem Maße abzusehen“, sagt Turmes. Wegen des extrem trockenen Sommers seien die Speicher der Wasserkraftwerke in Skandinavien, die bisher als Netto-Export-Länder in Sachen Strom galten, nicht aufgefüllt worden. Und je nach Land würden bis zu 20 Prozent des Stroms mit Gas hergestellt werden. Dazu geselle sich das Problem, dass Frankreich ein „riesiges“ Korrosionsproblem bei seinen Atomkraftwerken habe. „Frankreich wird seine Reaktoren wohl nicht rechtzeitig ans Netz anschließen können“, meint Turmes. Er werde auf dem kommenden EU-Ministertreffen auf einer klaren Ansage der Franzosen beharren.
Markteingriff auf EU-Ebene wird vorbereitet
„Luxemburg hat seine Gas-Sparkampagne über die vergangenen Wochen vorbereitet“, sagt Turmes. Der Sparplan soll am Donnerstag vorgestellt werden. „Der Staat und Gemeinden sollen als Vorbild dienen und die Wirtschaft mit ins Boot nehmen“, sagt Turmes. In der kommenden Woche wolle man sich noch einmal mit den Gasversorgern und -zulieferern treffen, um über mögliche Verbesserungen zu beraten. Schlussendlich aber werde man sich einer Diskussion um einen Markteingriff stellen müssen. „Der Markt ist kein Selbstzweck“, sagt Turmes. „Wenn wir eingreifen, dürfen wir jedoch nicht noch mehr Schaden anrichten.“ Die EU-Kommission arbeite bereits an verschiedenen Entwürfen. Für Luxemburg, das die Mehrheit seiner Energie importiere, sei es enorm wichtig, dass die Gasversorgung über die Grenzen hinweg offen bleibe, sagt Turmes.
Luxemburgs Gasreserven seien gut gefüllt – viel wichtiger sei jedoch, dass die grenzüberschreitende Versorgung gesichert sei, meint Turmes weiterhin. „Das verleiht Europa eine größere Resilienz.“ Es gebe Länder, die mehr oder weniger von einem Gaslieferstopp betroffen sind. „Wenn aber das deutsche Chemieunternehmen BASF seinen Betrieb deswegen einstellen muss, sind davon auch Firmen in Luxemburg direkt betroffen.“ Man müsse also solidarisch in dieser Gaskrise bleiben. Apropos Solidarität: Im Falle von Liquiditätsproblemen bei Luxemburgs Energieunternehmen habe man ein Notfallinstrument vorbereitet, um den betroffenen Unternehmen unter die Arme greifen zu können.
Index mit Turbo
Ob die Regierung durch den ständigen Verweis auf die anstehenden Tripartite-Verhandlungen aktiv versuche, die Chamber aus dem Diskurs rauszuhalten? „Nein, aber durch die hohen Energiepreise hat der Indexmechanismus einen Turbo erhalten“, sagt Bettel. Die erste Tripartite des Jahres habe eine weitere Indextranche in diesem Jahr ja auch nicht vorgesehen. Die dem Sozialdialog zugrunde liegende Prämisse habe sich somit verändert. „Wenn alles teurer wird, ist es sowohl menschlich als auch sozial nur schwer vertretbar, wenn der dafür vorgesehene Kompensationsmechanismus keine Anwendung findet“, sagt der Luxemburger Premierminister.
Arbeitsplätze müssten ebenso erhalten bleiben werden wie die Lebensqualität. „Es obliegt allein der Regierung, ein Gleichgewicht zu finden, damit aus der Energie- nicht noch eine Sozialkrise wird“, sagt Bettel. Es habe auch schon „angenehmere“ Zeiten für den Luxemburger Haushalt gegeben – wie viel eventuelle Kompensationsmaßnahmen schlussendlich kosten werden, werde man mit den Sozialpartnern diskutieren. Wichtig sei in der derzeitigen Diskussion aber auch die solidarische Sparanstrengung, die man ab nächster Woche nach Vorstellung des Energiesparplans unternehmen müsse. „Jeder muss verstehen, dass er Teil der Lösung ist“, wirft Bettel ein.
Auf die Aussage der Alternativ Demokratischen Reformpartei befragt (ADR), die zuletzt bekräftigte, dass die Energiepreise nur aufgrund der Russland-Sanktionen steigen würden, sagt Bettel: „Hätten wir einfach dabei zuschauen sollen, als ein Land von einem größeren Nachbarn überfallen wurde?“ Man hoffe, anhand von Sanktionen Einfluss auf den Kriegsverlauf zu nehmen. „Nicht reagieren ist keine Option.“ Auch in der Grünen-Partei sei darüber diskutiert worden, sagt auch Claude Turmes, nachdem er Xavier Bettel bei der Beantwortung der Frage den Vortritt gelassen hatte. „Es ist klar, welche Position die ADR vertritt: die einer AfD, einer Le Pen“, sagt Turmes. „Die Aussagen der ADR haben dies deutlich hervorgehoben.“
Zwei Auslaufmodelle. (hoffentlich)
Vill geschwaat an neischt gesoot.