Tageblatt: Die rezente Hitzewelle hat die Forderung nach grünen Innenstädten wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit katapultiert. Wie groß sind denn Temperaturunterschiede zwischen Beton und grüner Wiese?
Michelle Schaltz: Die meisten Menschen haben schon am eigenen Leib erlebt, dass es im Schatten eines Baumes deutlich kühler ist als auf einer der Sonne ausgelieferten zubetonierten Fläche. Das liegt aber nicht nur daran, dass der Baum die Sonnenstrahlen abfängt – es verdunstet auch Wasser, was die Temperaturen lokal zusätzlich sinken lässt. Wir waren während der Hitzewelle bei 34 und 37 Grad Lufttemperatur mit einer Wärmebildkamera unterwegs. Diese misst die Wärmestrahlung, die von einem fotografierten Objekt ausgeht. Aufgrund der unterschiedlichen Materialien, die unterschiedlich viel Wärme ausstrahlen, variiert die exakte Zahl. Jedoch ist eine klare Tendenz zu erkennen: Wir konnten Temperaturunterschiede von bis zu 30 Grad messen. In einer Straße ohne Bäume kann sich der Asphalt auf bis zu 60 Grad erhitzen – in Vorgärten mit schwarzem Schotter waren es noch ein paar Grad mehr. Dahingegen hat die Wärmebildkamera in Straßen mit zugewachsenen Baumkronen 28 Grad Celsius angezeigt.
Noch immer werden Plätze ohne schlüssiges Konzept für eine Begrünung renoviert oder neu gebaut. Gibt es Gründe – mögliche Schäden an der Infrastruktur oder Instandhaltungskosten –, die gegen mehr Bäume und Wiesen in den Städten sprechen?
Wir müssen unsere Prioritäten neu setzen. Bei der Renovierung und Umgestaltung der Plätze muss konsequent auf mehr Grün gesetzt werden. Wir werden in Zukunft mit noch heißeren Sommern und mehr Starkregenereignissen konfrontiert werden. Bei jedem Platz, der heute nicht ordentlich geplant wird, wird jede nicht eingeplante Begrünung später vermisst werden. Jedes Jahr sterben Menschen aufgrund der hohen Temperaturen. Grüne, öffentliche Plätze sind Teil einer Lösung. Dabei muss aber auf einige Kriterien geachtet werden: Bäume brauchen genug Wurzelraum, der Boden muss einen Luftaustausch erlauben und natürlich brauchen sie auch Wasser und Nährstoffe. Der Konflikt zwischen Wurzeln und Infrastruktur kann dabei vermieden werden. Die Wurzeln können anhand eines bestimmten Bodenaufbaus in eine Richtung geleitet werden. Kurz- und mittelfristig sind diese Lösungen möglicherweise teurer, langfristig aber werden die Bäume viele Kosten einsparen. Sie verhindern ja nicht nur, dass sich Städte immer weiter erhitzen, sondern tragen auch maßgeblich zur Überschwemmungsprävention bei.
Wie teuer ist es denn, eine Betonfläche von einem Quadratmeter in eine Grünfläche zu verwandeln?
Es muss bei neuen Bauprojekten vor allem darauf geachtet werden, möglichst wenig Bodenfläche zu versiegeln. Dann können schon eine Menge Kosten eingespart werden. Natürlich sollten aber auch weitere Flächen entsiegelt werden. Das kann bei anstehenden Renovierungen, Umgestaltung von Straßen oder bei Erneuerungen der Straßenbeläge und der darunter liegenden Infrastruktur geschehen.
Können Schottergärten ohne größere Probleme wieder renaturiert werden?
Schottergärten können problemlos wieder in naturnahe Vorgärten umgewandelt werden. Wie aufwendig das ist, hängt immer davon ab, wie der Schottergarten aufgebaut ist. Liegt eine Folie unter den Steinen, sollte diese auf jeden Fall entfernt werden. Je nach Größe der Schottersteine kann auch einfach eine Sand-Boden-Mischung untergemischt werden. Einige Gemeinden bieten ihren Einwohnern auch eine finanzielle Unterstützung bei der Umwandlung an.
Sind Grünflächen nicht deutlich teurer als Betonflächen, wenn man den Unterhalt mit einberechnet?
Wenn man eine gewisse Toleranz für die Veränderung der Natur während der verschiedenen Jahreszeiten hat und nicht alle Grünflächen wie zum Beispiel Wegränder oder Parkflächen, die nicht für verschiedene Aktivitäten genutzt werden, nur ein- bis zweimal im Jahr mäht, hält sich der Aufwand in Grenzen. Der Unterhalt von Betonflächen wird hingegen mit steigenden Temperaturen zunehmen. Ich erinnere an die Schäden an den Autobahnbelägen, die bei hohen Temperaturen entstehen können. Das wird zukünftig auch an Plätzen ohne Begrünung vorkommen. Mittlerweile wurde auch bewiesen, dass begrünte Dachflächen im Schnitt zehn bis 20 Jahre länger halten. Die Temperaturunterschiede – der Hauptgrund von Schäden an der Dichtung von Flachdächern – werden so nämlich erheblich reduziert.
Gib es Ihres Wissens Projekte in Luxemburg, wo versiegelte Plätze wieder nachträglich begrünt werden?
Es gibt Gemeinden, die den Schotter wieder aus Verkehrsinseln entfernen und durch Staudenbeete ersetzen. Es gibt auch einige Plätze, wo nachträglich noch ein Baum gepflanzt wurde. Ein Beispiel, wo ein Platz nachträglich systematisch durchgrünt wurde, fällt mir nicht ein. Tendenziell wird sich jedoch noch zu oft für Beton oder ähnliche Materialien entschieden.
Lassen sich öffentliche Bauträger bei großen Bauprojekten zu diesem Thema vom „Mouvement écologique“ beraten?
Die Webinar-Reihe „Méi Gréngs an eise Stied an Dierfer“, die wir zusammen mit dem „Oekozenter Pafendall“ unter staatlicher Schirmherrschaft durchgeführt haben, hat großen Anklang bei staatlichen Akteuren, Akteuren aus Gemeinden und auch Planungsbüros gefunden. Wir wollen diese Kontakte in Zukunft auch weiter ausbauen. Einige Kommunen haben sich an unserer Kampagne „Nee zum Schottergaart! Lieweg Vilfalt amplaz gro Wüst“ inspirieren lassen und ihre Gemeindereglemente angepasst und ihre Bürger entsprechend sensibilisiert.
Auf welche Kriterien muss bei der Begrünung einer Stadt besonders geachtet werden?
Zuallererst sollen Staat und Gemeinden den formellen Beschluss fassen, dass bei allen Projekten eine Durchgrünung Priorität haben muss. Das wäre ein extrem wichtiges Signal. Das haben uns bereits mehrere Akteure bestätigt. Verwaltungen und Planungsbüros können einfacher Grünflächen einplanen, wenn von vorneherein klar ist, dass dazu ein Wille besteht. Dieses Signal aber fehlt heute noch größtenteils. Das führt dazu, dass die Begrünung erst am Ende der Planung eines Projektes in Betracht gezogen wird – dann aber ist die Umsetzung komplizierter und oft nur schwer realisierbar. Ein politischer Beschluss bildet jedoch die Basis. Dann kann sichergestellt werden, dass Pflanzen und deren spezifische Anforderungen von Anfang an berücksichtigt werden. Dazu gehört etwa die Auswahl der „richtigen“ Pflanzen für die jeweiligen Standorte. Ein Straßenbaum ist mehr Stressfaktoren ausgesetzt als ein Baum im Park: Er hat nicht so viel Wurzelraum und der Boden ist oft von schlechterer Qualität. Ein Straßenbaum muss extremer Hitze und Dürre wie auch hohen Salz- und Urinkonzentrationen standhalten können. Dafür sind einige Baumarten besser geeignet als andere.
Wie viel Prozent Baufläche sollte denn optimalerweise begrünt werden?
Fläche ist das eine, Qualität das andere. Ein Bauträger muss per Gesetz 25 Prozent der Baufläche in einer neuen Siedlung an die Gemeinde abtreten. Auf diesen 25 Prozent aber wird die gesamte öffentliche Infrastruktur, Straßen und Gehwege errichtet. Die Begrünung wird dann eher nebensächlich behandelt. Oft bleiben dann nur einige wenige Restflächen übrig, die dann in einem neuen Park gesammelt werden, wie jetzt auf Belval oder der Cloche d’Or geschehen. Hier muss unbedingt ein Umdenken stattfinden, denn wir brauchen auch Grünflächen in unseren Straßen, auf Spielplätzen. Große Parkanlagen sind wichtig, damit kalte Luft entstehen kann, aber es braucht ein Netzwerk an Grünstrukturen in den Vierteln, damit diese sich nicht zu sehr erhitzen und Luft zirkulieren kann. Zudem muss sichergestellt werden, dass alle Anwohner, die nicht über einen eigenen Garten verfügen, einen Zugang zu einer Grünfläche haben. Diese sollten in einem Umkreis von fünf bis zehn Gehminuten liegen – dann käme auch keiner auf die Idee, Parkplätze an einer Parkanlage zu bauen und den Boden somit weiter zu versiegeln. Einen genauen Wert festzulegen ist somit schwer – 25 Prozent aber reichen kaum, wenn wir mehr öffentliche Grünflächen schaffen wollen. Hier muss ein Gleichgewicht zwischen Bebauung und Grünfläche gefunden werden.
Ein Thema für die nächsten Wahlen?
Wir werden durch den menschengemachten Klimawandel immer öfters mit extremen Wetterbedingungen konfrontiert. Die Priorität muss auf der Verringerung unserer Emissionen liegen. Die Politik muss sich national und international mit Klimamaßnahmen beschäftigen – und da spielen Grünflächen eine wichtige Rolle. Je früher wir uns damit beschäftigen, desto größere Erfolge wir vorzeigen können. Bäume brauchen Zeit zum Wachsen – und wenn es wärmer wird, wird es immer schwieriger, neue Bäume anzupflanzen. Die Priorität muss deshalb auf den Erhalt der bestehenden Grünbestände gelegt werden. Spätestens seit Covid aber ist auch klar: Begegnungsplätze sind extrem wichtig und grüne Plätze bringen Menschen zusammen und ermöglichen den sozialen Austausch. Ich glaube schon, dass das sowohl bei den Gemeinde- und den Nationalwahlen ein wichtiges Thema sein wird.
Ich erlebe gerade die brutale Realität! In der Nähe stand ein schönes kleines Haus in einem naturnah bepflanzten Umfeld.Wird gerade vom Bagger brutal plattgemacht um Platz zu schaffen für 6 Appartements.Die Natur ist wegrasiert damit die Kasse sprudelt.Das ist die traurige Realität, und wird sich ausbreiten. Also noch mehr Beton und Versiegelung! Oder mehr Wohnraum auf gleicher Fläche als vorher, mehr Rendite.? Da stören die Hecken und Bäume doch nur, da gibt es Klimaanlagen vom feinsten.Und statt Rasen gibt es asphaltierte Autostellplätze die nicht gemäht brauchen. Also fast paradisich oder nicht?
Es ist zu spät! Vor vierzig Jahren hätte man anpflanzen müssen, dann wären die Bäume heute groß und schattig.Wie man sieht hat man auf Belval und Cloche d' Or auch nur Betonwüste geschaffen, die Chance es besser zu gestalten verpasst.Geld geht vor Natur.Wir fahren den schönen Planeten an die Wand, immer schneller.Wenn wir ausgestorben sind wird er sich erholen und neues schaffen.