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Lust zu lesenFutterbeutel gegen die Ferne: „Mein Prinz, ich bin das Ghetto“ von Dinçer Güçyeter

Lust zu lesen / Futterbeutel gegen die Ferne: „Mein Prinz, ich bin das Ghetto“ von Dinçer Güçyeter
Dinçer Güçyeter Foto: Yavuz Arslan

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Dinçer Güçyeter hat etwas zu erzählen und er tut es nicht in Romanform, sondern in Gedichten. Dafür hat er jüngst den Peter-Huchel-Preis für deutschsprachige Lyrik bekommen. Guy Helminger hat sich festgelesen.

Es sind kleine Geschichten, die diese Gedichte festhalten, Szenen aus der eigenen Kindheit oder auch Reflexionen darüber, was es für die Eltern bedeutete, in einem fremden Land zu leben. Dinçer Güçyeter selbst ist 1979 in Nettetal geboren. Seine Eltern kamen in den 60ern aus der türkischen Ägäis-Region. „wie mit Peitschen gezähmte Pferde, so bäumst du hier dein Bleiben auf / mit einem Futterbeutel am Hals gegen die Ferne …“, heißt es in einem Gedicht. Viele dieser Texte haben einen Hang zur Prosa, aber die ausgesprochen satte Bildlichkeit verankert sie fest in der Lyrik. Es sind dies Bilder, die wunderbar opulent daherkommen. Hier herrscht keine Kargheit.

Es gibt nichts Dünnsprachiges in diesen Zeilen. Der Leser schmeckt geradezu die Früchte, riecht die Erde, sitzt mit am Tisch, wenn die Mutter Bohnen putzt und es heißt: „… ihre Schultern hängen wie eine Seilbrücke / zwischen zwei entschwundenen Heimaten …“ und etwas weiter: „…in der Stimme meiner Mutter wiehert immer / ein ausgesetztes Fohlen …“ Mal mit derb und saloppen Ausrufen, mal die griechische Mythologie streifend, lädt der Autor nicht nur zur Besichtigung der eigenen Welt ein, vielmehr bietet er zugleich eine Auseinandersetzung mit Tradition und Alltag.

Dabei ist er nie moralisierend. Im Gegenteil spielt Humor oft eine entscheidende Rolle in diesen Texten, so zum Beispiel, wenn es im Gedicht „Yılmaaaaaaaz!“ darum geht, dass die Frauen ihre Männer anweisen, die Söhne im Vorfeld des Zuckerfestes zum Friseur zu bringen und aus der gewünschten Jackie-Chan-Frisur die eines Mini-Mönches wird, während die Väter über Gott und den Himmel diskutieren und die Welt gemeinsam aus dem Dreck ziehen. Oder wenn Güçyeter vom Walnussbaum erzählt, den er zur Geburt seines Kindes gepflanzt hat und der zehn Jahre später von Schädlingen befallen ist, während man Geburtstag feiern will. Ein Umstand, dem die Tanten rigoros zu Leibe rücken mit dem Ergebnis, dass es schon wenig später keinen Walnussbaum mehr gibt. Sogar eine Befragung des eigenen Pimmels beinhaltet das Buch, ob er durch die Beschneidung noch unter einem Trauma leide.

In „Mein Prinz, ich bin das Ghetto“ flattern einem Prosagedichte um die Ohren wie Geräusche einer Gang aus Libellen und Wespen. Das Textgras ist von saftiger Schönheit, voller Opulenz trotz steiniger Themen. Und man darf dem Autor nur den letzten Teil der Zeile glauben, wenn er schreibt: „ich bin kein Dichter, bin der Berg, der dem Wind das Pfeifen gestohlen hat“.

Dinçer Güçyeter

„Mein Prinz, ich bin das Ghetto“,
Elif Verlag 2021,
98 Seiten, 20 Euro