Liebes Tagebuch, gerade eben hat uns Bildungsminister Claude Meisch etwas über einen der für ihn angenehmeren Momente der vergangenen Tage erzählt – über eine Schaukel, die er beim Spaziergang mit den eigenen Kindern im Wald entdeckt hat. Bei mir dagegen schaukelte sich in den letzten Tagen nur etwas hoch: die Erkenntnis, dass Corona, die alte Kackplage, mein eigentlich stressresistentes Nervenkostüm ganz schön überstrapaziert hat.
Der DP-Politiker ist in der aktuellen Situation sicher nicht zu beneiden. Aber als der Anästhesist mir vor sechs bzw. drei Jahren eine tiefe (tiefe!) Spritze in den Periduralraum stach, um die über 18 Stunden anhaltenden Wehen erträglicher zu gestalten, war ich es auch nicht. Der Schmerz ist zwar Schnee von gestern, doch die Atemübungen leider nicht (mehr). Und zwar brauchen wir sie jedes Mal dann, wenn Augenrollen nicht mehr reicht – um den nicht schrumpfenden Anforderungen gerecht zu werden, die da wären: Mathematikstunden in Esch und Übungswochen-Material parallel unter einen Hut zu bekommen, die Wichtigkeit der Zwischenrufe beim „Télétravail“ in Kayl zu erkennen, ein hausgemachtes „Frupstuten“-Pendant zuzubereiten, nicht beim Bügelbrett-Origami zu verzweifeln und zu guter Letzt mal so nebenher das grundverschiedene, aber ungebremste Interessenpensum der beiden Töchter zu stillen. Der Satz ist lang – die Tage auch.
Der heutige Fragenkatalog reichte von „Wird es heute regnen? Warum ist dein Käsekuchen zusammengefallen? Können wir beim Chinesen bestellen? Warum sind Erdbeeren rot? Was macht meine ‚Joffer’? Warum bist du immer müde?“ bis hin zu „Wer sitzt denn dann in der Klasse neben mir? Was können wir eigentlich spielen, wenn wir nicht beieinander sein dürfen?“ Nun, so ganz klare Aussagen hat „Claude, dem Pappa säi Chef“, uns dazu nicht geliefert. Hängengeblieben sind bei der Cycle-1-Teilnehmerin lediglich die Anti-Maskenpflicht und die angepassten Spielplatz-Regelungen.
Apropos Ordnung. Eigentlich wollte ich nach dem Frühjahrsputz von vor zehn Tagen auch das Niederschreiben von Memoiren einstellen. Denn es gibt bekanntlich diese Momente im Leben, für die es keine magische Formulierungen und Wörter gibt. Seit Sonntag habe ich mir Phrasen ausdenken müssen, die dem Ableben meiner Großmutter gerecht werden könnten. Aber es gibt sie nicht.
Gezaubert wurde bei uns trotzdem. Und das, obwohl die Hälfte von Siegfried und Roy ebenfalls nicht mehr unter uns weilt. Aber ich wollte und brauchte gute Stimmung, die mir der Postbote in den vergangenen zwei Tagen in Form von Kartons voller Glück ins Haus brachte. Der Mathematiklehrer kann zwar wohl eins und eins zusammenzählen – hat es allerdings aufgegeben, Statistiken über unseren Schuhbestand zu führen. Es ist allerdings allen Hausbewohnern klar, dass ich wohl jeden Lockdown-Tag mit einem anderen Paar hätte einkaufen gehen können … Aber sogar jetzt fehlt mir die Lust dazu.
Liebes Tagebuch, dies ist auch der Grund, warum ich noch nicht fertig mit dir bin. Wir müssen das Corona-Desaster sauber abschließen. Mein Kopf braucht wieder Normalität, Fußball und möglicherweise etwas mehr Disziplin beim Online-Shopping. Deswegen habe ich mir auch fest vorgenommen, mich spätestens nächste Woche endlich aufzuraffen, in nagelneuen Schuhen zum Einkaufsbummel aufzubrechen und die Magie der Taschen- und Textilbranche auf mich einwirken zu lassen. (Ob der Mathematiklehrer allerdings auf diese Lösung gekommen wäre, wage ich zu bezweifeln …)
Das Tageblatt-Tagebuch
Das Leben ist, wie es ist. Corona hin oder her. Klar, die Situation ist ernst. Aber vielleicht sollte man versuchen, ein wenig Normalität in diesem Ausnahmezustand zu wahren. Deshalb veröffentlicht das Tageblatt seit dem 16. März (s)ein Corona-Tagebuch. Geschildert werden darin persönliche Einschätzungen, Enttäuschungen und Erwartungen verschiedener Journalisten.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können