Als das Coronavirus Ende letzten Jahres zum ersten Mal auftauchte, wusste man sehr wenig über diesen neuen Erreger. Die Familie der Coronaviren ist seit langem bekannt. Dieses spezielle Virus hatten die Ärzte bislang allerdings noch nicht in Patienten gesehen.
Eine der ersten Beobachtungen, die gemacht wurden, war die, dass das Risiko eines schweren Verlaufes der Covid19-Erkrankung bei Männern offenbar höher ist als bei Frauen. Eine frühe Studie aus Wuhan untersuchte alle bestätigten Fälle, die zwischen dem 1. und dem 20. Januar im Wuhan Jinyintan Hospital behandelt worden sind. Von den 99 Patienten waren 67 Männer 32 Frauen.
Was zuerst eine Beobachtung in China war, zeigte sich auch in anderen Ländern. Daten aus der Lombardei ergaben, dass 82 Prozent von 1.591 untersuchten Patienten mit einem schweren Verlauf, die zwischen dem 20. Februar und dem 25. März aufgenommen wurden, Männer waren.
Italien bestätigt Verdacht
In einer anderen Studie aus Venetien heißt es: „Obwohl Frauen mit einer höheren Prävalenz infiziert waren als Männer (44% Männer; 56% Frauen), entwickelten männliche Patienten schwerere Formen der Krankheit. Männer wurden häufiger ins Krankenhaus eingewiesen (60% Männer; 40% Frauen), stellten die überwiegende Mehrheit der auf der Intensivstation stationär behandelten Patienten (78% Männer; 22% Frauen) und waren für mehr Todesfälle verantwortlich (62% Männer; 38% Frauen). Diese Daten stimmen mit den jüngsten Ergebnissen einer anderen Studie überein, in der ein schwerwiegenderes Ergebnis für Männer berichtet wurde, die mit Sars-CoV-2 infiziert waren.“
Eine ähnliche Beobachtung wurde in New York gemacht. Eine Untersuchung von 5.700 Corona-Patienten stellte fest, dass die Mortalitätsrate in jeder Alterskategorie bei Männern höher war als für Frauen. Lediglich in den Gruppen unter 20 Jahren lag die Mortalität sowohl für Frauen wie auch für Männer bei 0 Prozent.
Zuerst vermutete man, dass der Lebensstil der Männer diesen Unterschied erklären kann. In China gibt es noch immer sehr viele Menschen, die rauchen. Die meisten sind Männer. Eine Studie von 2010 berichtete, dass 54 Prozent der Männer, aber nur 2,6 Prozent der Frauen zu diesem Zeitpunkt regelmäßig rauchten. Die Lungen der Männer seien durch das Rauchen geschwächt und würden deshalb von der Atemwegserkrankung Covid19 härter getroffen, so die These. Daneben haben Männer öfter Vorerkrankungen wie zum Beispiel Herz-Kreislaufprobleme, die den Körper schwächen.
Brainstorming
Einige Forschende sind nun einer anderen Erklärung auf der Spur, wie das Wissenschaftsmagazin Science kürzlich berichtet hat. Eine Spur, die aus einer ganz anderen medizinischen Richtung kommt: der Erforschung von Prostatakrebs. Dem Magazin zufolge hielt die Krebsforscherin Christina Jamieson von der Universität von Kalifornien mit ihren Kollegen und Kolleginnen eine Telefonkonferenz ab, um zu erörtern, wie ihre Forschung eventuell mit Covid19 in Verbindung gebracht werden kann. Ihre Schwester, ebenfalls Forscherin, habe den entsprechenden Geistesblitz gehabt: TMPRSS2.
Worum geht es: Damit das Virus im Körper Schaden anrichten kann, muss es in die Körperzellen der infizierten Person eindringen. Dabei nutzt das Virus die „Stacheln“, die ihm seine typische Kronen-Form geben, um sich zuerst mit der Membran einer Zelle zu verbinden. Dann ebnet es den Weg, um sein Erbgut in die Zelle einzuschleusen. Damit diese feindliche Übernahme funktioniert, bedient sich das Sars-Cov2 zusätzlich einer Substanz, die es aus dem Körper der erkrankten Person selber bezieht – die transmembrane Serinprotease 2, im Fachjargon als TMPRSS2 abgekürzt. Infektionsforschende vom Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen hatten im April bereits einen Artikel im Fachblatt Cell publiziert, in dem dieser Mechanismus beschrieben wird. Die Forschenden spekulierten außerdem, dass ein bereits existierendes Medikament, das TMPRSS2 hemmt, eine erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeit für Covid19-Patienten darstellen könnte.
Die TMPRSS2 ist nicht nur Virologen, sondern auch Krebsforschern ein Begriff. Sie spielt eine Rolle in etwa der Hälfte aller Prostatakrebsfälle. In kranken Prostatazellen wird das TMPRSS2-Gen durch Androgene („männliche“ Sexualhormone) übermäßig in Hochbetrieb versetzt und fördert das Tumorwachstum.
Androgen-Deprivationstherapie
Das hat Forschende auf die Idee gebracht, dass auch Androgen-Hemmer zur Behandlung von Covid19-Patienten helfen könnten. Die bereits erwähnte Studie aus Venetien untersuchte Männer mit Prostatakrebs. Einige von ihnen nahmen im Rahmen ihrer Therapie Medikamente, um ihre „männlichen“ Sexualhormone zu hemmen. Die Forscher beobachteten, dass in dieser Gruppe weniger Männer an Covid19 erkrankten und die wenigen Fälle meistens milde verliefen. Frauen verfügen auch über Androgene, allerdings in der Regel in geringerem Maße als Männer. Die italienischen Forschenden kommen zu dem Schluss: „Prostatakrebs-patienten, die eine Androgen-Deprivationstherapie machen, scheinen teilweise vor Sars-CoV-2-Infektionen geschützt zu sein“.
Die Forschung auf diesem Gebiet steht erst am Anfang und nur weil eine Therapie im Labor funktioniert, bedeutet das nicht, dass sie in der Praxis funktioniert. Auch ist damit nicht gesagt, dass andere Faktoren wie Rauchen und Herz-Kreislauf-Beschwerden Covid19 nicht begünstigen.
Die Forschenden der Veneto-Studie weisen eindringlich auf die Grenzen ihrer Forschung hin. „Unsere Studie kann einige Einschränkungen haben. Sars-CoV-2-infizierte Krebspatienten wurden möglicherweise häufiger getestet als Nicht-Krebspatienten, da diese Patienten häufiger ins Krankenhaus eingeliefert werden. Dies könnte die höhere Prävalenz von Infizierten in der Krebspatienten-Population erklären. Prostatakrebs-Patienten mit Androgen-Deprivationstherapie praktizieren möglicherweise auch mehr soziale Distanzierung als Prostatakrebs-Patienten ohne Androgen-Deprivationstherapie und die Gesamtheit der Krebspatienten.“
oh mei...