Véronique Cornu hat erforscht, wie die Mathematik-Fähigkeiten von Kindern früh gefördert werden können, und ein Programm entwickelt, mit dem Kinder sprachunabhängig lernen können. Ihre Doktorarbeit wurde 2019 als die beste an der Universität Luxemburg ausgezeichnet.
Eine Fibel, ein Heft und eine Füllfeder. Damit lernten Kinder früher in der Schule. Heute kommen im Unterricht Tablet-Computer zum Einsatz. Der Schulunterricht wird ständig weiterentwickelt und es werden immer neue Methoden eingeführt. Wozu das Ganze? Ist das, was früher gut war, nicht heute noch genauso gut? Nein, meint Psychologin Véronique Cornu. Ihre Doktorarbeit über die frühe Entwicklung mathematischer Fähigkeiten bei Kindern wurde mit dem Rolf-Tarrach-Preis für die beste Doktorarbeit des Jahres an der Uni Luxemburg ausgezeichnet.
„Unsere Bevölkerung hat sich gegenüber der von vor 50 Jahren sehr verändert. Zwei Drittel der Kinder, die in die Grundschule kommen, sprechen zu Hause kein Luxemburgisch“, sagt Cornu. Wenn die Kinder in den Kindergarten gehen, werden sie auf einmal mit Luxemburgisch konfrontiert. „Viele Kinder, die nicht so gut Luxemburgisch sprechen, verpassen eine ganze Menge.“ Internationale Studien zeigen, dass Kinder, die in der Schule nicht ihre Muttersprache sprechen, im Nachteil sind.
Besonders bei sogenannten Vorläuferfähigkeiten hapert es. Wenn Fähigkeiten wie das Zählen und das Erkennen von Formen gleich am Anfang nicht richtig sitzen, dann hat das Kind einen Rückstand, den es nur schwer aufholen kann. Das kann sich mitunter auf die gesamte schulische Karriere und seinen Erfolg im Leben auswirken. „Wenn ein Kind nicht versteht, was eine Fünf und eine Drei sind, dann ist es sehr schwer, fünf und drei zusammenzuzählen“, so Cornu.
Sprachunabhängige Lern-App
In ihrer Arbeit hat Véronique Cornu nach Wegen gesucht, diese Sprachbarriere zu überwinden. Dazu hat sie eine Lern-App entwickelt, die ohne Sprache auskommt. Stattdessen setzt das Programm auf das Visuelle. „Die Idee war es, den Tablet-Computer zu einer elektronischen Schiefertafel machen“, sagt sie. Für das Programm hat Cornu Aufgaben selbst entwickelt. Zum einen trainieren diese Aufgaben visuelle und räumliche Fähigkeiten. Zum anderen bringen sie Kindern Fähigkeiten bei wie das Verknüpfen von Zahlen und Mengen.
„Es ist wichtig, dass wir den Kindern die Möglichkeit bieten, diese Dinge zu lernen, unabhängig davon, mit welcher Sprache sie aufwachsen“, betont Cornu. „Es geht nicht darum, keine Sprache zu benutzen. Es geht darum, dass es egal ist, welche Sprache sie in ihrem Kopf benutzen.“
„Wir benutzen Tablet-Computer nicht, um zu spielen“, entgegnet Cornu Kritikern, die dem Einsatz von IT im Unterricht skeptisch gegenüberstehen. Es ginge nicht darum, den Kindern Computer in die Hand zu drücken und sie dann sich selbst zu überlassen. „Das Lehrpersonal soll auch weiterhin die Wahl haben, was das Kind macht und mit was es arbeitet.“
Finger statt Bleistift
Der Einsatz von Touchscreens ermögliche es den Kindern, deren Feinmotorik sich noch entwickelt, intuitiv mit ihren Fingern zu arbeiten. Für ein Kind sei es sehr „aufwendig“, die Abläufe zu erlernen, die es braucht, um die richtigen Symbole mit einem Bleistift zu produzieren, erklärt Cornu.
Im Rahmen ihrer Arbeit hat Cornu Kinder, die ihr Programm benutzt haben, mit Kindern verglichen, die nicht darauf zurückgegriffen haben. Die Fähigkeiten der Kleinen, die die Lern-App nutzten, hätten sich „signifikant verbessert“, so die Forscherin.
Derzeit feilt das „Luxembourg Centre for Educational Testing“ (Lucet), das Institut, an dem Cornu promoviert hat, zusammen mit dem „Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques“ (Script) an dem Programm, damit es in Zukunft allen Grundschulen in Luxemburg zur Verfügung gestellt wird und von ihnen genutzt werden kann. „Gerade überarbeiten wir die Grafiken alle professionell. Ich habe damals alle Grafiken selber gemacht und ich bin nun mal keine Grafikerin“, erklärt die Psychologin.
Tischdecken als Mathematik-Übung
Cornu glaubt nicht, dass man einem Kind bereits ansehen kann, ob es zum Mathematikstudium taugt oder nicht. Zwar habe sich bei Untersuchungen erwiesen, dass das Zahlenverständnis der Kinder im Kindergarten im Schnitt ein Indikator für die spätere mathematische Entwicklung ist, jedoch sei das längst keine eindeutige Sache. Auf Einzelfälle könne man so auf keinen Fall Rückschlüsse ziehen.
Die mathematischen Fähigkeiten von Kindern stehen in der Forschung hinter den Schreib- und Lesefähigkeiten zurück, meint Cornu. Über Dyskalkulie etwa wird erst seit den 2000ern intensiv geforscht. Auch glauben viele Menschen, im Kindergarten solle man die Kinder spielen lassen und nicht mit Zahlen behelligen. Der Mathematikunterricht beginnt immerhin erst im ersten Schuljahr. Cornu ist nicht dieser Meinung. „Wir haben unsere App extra altersgerecht gemacht“, sagt sie.
Aber nicht nur die Schule spielt eine wichtige Rolle. „Es kommt auch darauf an, was zu Hause mit den Kindern unternommen wird“, sagt die Forscherin. Sie spricht von „informellen Lernmöglichkeiten“. Dazu zählen gemeinsame Aktivitäten wie den Tisch decken. Dabei können die Kinder zählen, wie viele Personen am Tisch sitzen, wie viele Teller und wie viel Besteck es braucht.
„Studien aus den USA zeigen, dass besonders Kinder aus sozial schwachen Milieus, wo die Eltern weniger Zeit haben, sich mit ihnen zu beschäftigen, von einem Kindergarten profitieren können“, erklärt Cornu. Demnach ist ein Kindergarten auch eine Methode, um soziale Ungleichheiten zu mindern.
Das Ziel von Cornu ist es nicht, den Unterricht derart zu optimieren, dass Supermathematiker herangezüchtet werden. „Das Ziel ist es, allen Kindern einen guten Start ins erste Schuljahr zu ermöglichen“, sagt die Forscherin.
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