Es hat etwas von einem Autounfall: Man möchte eigentlich weggucken, schaut dem Geschehnis dann mit schlechtem Gewissen trotzdem nach. Nachdem am Mittwoch bereits durchgesickert war, dass dem Generalkoordinator Andreas Wagner und der künstlerischen Leiterin Janina Strötgen neue Posten vorgeschlagen wurden und die beiden die Neubesetzung (und hierarchische Degradierung) nicht hinnehmen würden, wurde nun bekannt gegeben, dass die Esch 2022 asbl. diese Posten neu ausschreibt.
Ein bisschen Popcorn-Flair hat die Soap-Opera Esch 2022 mittlerweile schon. Wie ein Mantra wiederholte der Escher Bürgermeister Georges Mischo ständig, Esch 2022 würde weiterhin ein Erfolg sein – als bräuchte es der Überzeugungskraft der linguistischen Redundanz, um sich und die einberufenen Journalisten zu überzeugen.
Kurzes Flashback: Am Mittwoch bestätigten Janina Strötgen und Andreas Wagner gegenüber dem Tageblatt bereits, dass es stimme, dass man ihnen die Posten der «attachée de presse» beziehungsweise der künstlerischen Leitung vorgeschlagen habe – ein Vorschlag, der, wie während der Pressekonferenz berichtet wurde, vom Verwaltungsrat einheitlich gestimmt wurde.
Die beiden hatten auch schon bekannt gegeben, diese hierarchische Degradierung nicht anzunehmen – und bestätigten dies am Donnerstag in einer Pressemitteilung. In Letzterer weisen sie außerdem darauf hin, dass ihr «bisheriger befristeter Vertrag arbeitsrechtlich gesehen bereits jetzt einen unbefristeten Vertrag» darstelle. «Die Befristung auf Ende Juni 2018 ist damit rechtswidrig und wir wollen unseren bestehenden Vertrag weiter erfüllen. Dafür werden die notwendigen juristischen Schritte eingeleitet.» Eine Trennung im Guten klingt definitiv anders.
Andreas Wagner und Janina Strötgen hatten sich am Donnerstagmorgen vor der Pressekonferenz noch einmal mit dem Verwaltungsrat getroffen. Während des Gesprächs, das kaum mehr als eine Minute gedauert habe, habe man ihnen lediglich mitgeteilt, ihre Verträge würden Ende Juni auslaufen.
Ihre Verträge laufen aus, und damit hat es sich
Im Laufe der Pressekonferenz legte der Escher Bürgermeister Georges Mischo dann auch besonderen Wert darauf, zu verdeutlichen, dass man Strötgen und Wagner nicht gekündigt habe. «Ihre Verträge laufen aus, und damit hat es sich», erklärte Mischo, nachdem er kurz und knapp ankündigte, dass am Samstag, den 30. Juni – dem Tag der Vorstellung des Kulturentwicklungsplans – eine ganze Reihe neuer Posten ausgeschrieben würden. Man stelle nämlich einen neuen Generaldirektor, einen Finanzleiter und einen neuen künstlerischen Leiter ein. Roberto Traversini, der Bürgermeister von Differdingen, spricht seinerseits von einem «ganz natürlichen Werdegang».
Besetzt werden sollen die Posten aller Voraussicht nach «im Herbst». Dass am 20. November aber bereits das erste Monitoring der EU-Kommission stattfinden soll, scheint kein Grund zur Besorgnis zu sein: «Wir arbeiten intensiv an den 21 Empfehlungen, die im Bericht der Jury aufgelistet wurden», erklärt Dan Biancalana. Dies auch ohne künstlerische Leitung, ohne Finanzdirektor und ohne Generalkoordinator zu bewerkstelligen, scheint kein Problem zu sein. «Der Verwaltungsrat und unsere Ad-hoc-Arbeitsgruppe arbeiten daran.»
Dass die 21 Empfehlungen der Jury immer wieder wie 21 Sargnägel, die das Schicksal des Duos Strötgen/Wagners besiegeln sollten, zitiert werden, ist schon etwas ärgerlich, da eben gerade solche Aufbesserungsvorschläge zur Arbeit einer Jury dazugehören. Dazu kommt, dass jetzt wieder Zeit verloren wird, da bis Herbst gewartet werden muss, bis die Posten umbesetzt werden. Tageblatt-Informationen zufolge hat das Projekt schon reichlich Verspätung bekommen – einige dem Projekt nahestehende Personen gaben aber zu bedenken, in den letzten sechs Monaten wäre man auch nicht so recht vorangekommen.
Kein Grund zur Sorge
Man fragt sich zudem, wie schwierig es nun wird, Projektleiter zu finden, die es vermögen, sich schnellstmöglich in das Dossier einzuarbeiten und fähig sind, die Erwartungen des Bid Book zu respektieren. Immerhin kannten Strötgen und Wagner das Bid Book, das sie verfasst haben, am besten. Georges Mischo erklärte allerdings lediglich, die Kulturhauptstadt Marseille (2013) habe auch viermal die Führung gewechselt – und fügte nur hinzu, dies wolle man natürlich vermeiden, eine Umbesetzung wäre aber normal für ein komplexes Projekt.
Wer sich kurz mit der vorgeschlagenen Umbesetzung der Posten von Andreas Wagner und Janina Strötgen auseinandersetzt, stellt Folgendes fest: Zwar wollte man Andreas Wagner mit dem Posten der künstlerischen Leitung weiterhin eine künstlerische Verantwortung überlassen, Janina Strötgen sollte aber als «attachée de presse» keine künstlerische Entscheidungskraft mehr haben. Des Weiteren liest sich in diesem Vorhaben klar ein Trennungsversuch eines Duos heraus, das stets als solches auftrat – und schon früh zu verstehen gab, dieses Projekt als Duo leiten zu wollen.
Bürgermeister Mischo sieht dies aber nicht als Vertrauenswiderrufung: «Die ‹attachée de presse› wäre, im Gegensatz zur ‹attachée de presse› im Jahre 2007, der Leitung direkt untergestellt und wäre, auf internationaler wie auf nationaler Ebene, das Gesicht von Esch 2022 gewesen.» Dass Janina Strötgen vielleicht lieber weiterhin der Kopf und nicht das Gesicht des Projektes gewesen wäre, scheint Mischo wenig zu kümmern.
Was nun die potenziellen Nachfolger von Janina Strötgen und Andreas Wagner anbelangt, so wollte man wenig über das gesuchte Profil verraten – «das lest ihr dann am nächsten Samstag in der Zeitung», so Georges Mischo. Man wolle es aber vermeiden, wurde auf Nachfrage verraten, einen Politiker an die Spitze des Projekts zu stellen. Eine klare Aussage klingt definitiv anders – hier lässt man sich durch vorsichtige Formulierungen natürlich trotzdem alle Türen offen.
Aber die potenziellen Kandidaten werden wohl eine ruhigere Kugel als ihre Vorgänger schieben: Ihr Vertrag wird die Form eines CDIs haben – der allerdings 2023 zu Ende geht.
Auch auf die Frage, wieso jetzt sogar diejenigen, die dem Duo bisher den Rücken freihielten, einen Rückzieher gemacht haben, wurde nicht konkret geantwortet. Was überhaupt der eigentliche, tiefergehende Grund für die Trennung von den beiden ist, wurde zu keinem Moment klargestellt.
Konkrete Behauptungen gab es während der Pressekonferenz demnach nur sehr wenige. Ab dem 15. Juli gibt es einen neuen Projektaufruf. Neben den im Bid Book vorgestellten Projekten soll es möglich werden, weitere Projekte bis Mitte Oktober einzureichen. Der Finanzierungsplan sähe nun vor, dass die Asbl. ein Maximum von 50 Prozent zu den Projekten beisteuern kann. Die restlichen 50 Prozent müssen dann, so Mischo, der «Verein oder die Gemeinde übernehmen» (man bemerke das Sportsvokabular, mit dem hier die Kulturschaffenden bezeichnet werden). Entgegen vorheriger Behauptungen werden Georges Mischo und Pim Knaff auf jeden Fall Mitglieder des Verwaltungsrates bleiben – ganz gleich, wie die Ad-hoc-Arbeitsgruppe entscheidet. Bleibt abzuwarten, wie genau das neue Organigramm aussehen wird – und welch neue Kehrtwendungen die bewegte Kulturhauptstadt noch mitmachen muss.
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