Es wäre eine medizinische Sensation: Ein ehemaliger HIV-Patient könnte nach einer besonderen Behandlung geheilt sein. Noch ist es zum Jubeln aber zu früh.
Möglicherweise ist ein HIV-Patient mithilfe einer besonderen Therapie geheilt worden. Bei dem vormals Infizierten sind 34 Monate nach einer speziellen Stammzelltransplantation keine Viren mehr nachweisbar. Das berichten Mediziner des University College London im Fachblatt Nature. Sollte der Aidserreger auch in den kommenden Jahren nicht zurückkehren, wäre es erst der zweite Patient weltweit, der als von HIV geheilt gilt. Noch sei es für ein solches Fazit aber zu früh, schreiben die britischen Mediziner. Die Therapie kommt nur für eine sehr kleine Zahl von HIV-Infizierten infrage.
Dem Patient waren blutbildende Stammzellen transplantiert worden, weil er an einer Art von Lymphdrüsenkrebs litt. Das Besondere daran: Der Spender hat in seinem Erbgut eine sehr seltene Mutation, die ihn immun gegen bestimmte Formen des HI-Virus macht. Davon profitierte nun auch der Patient. 16 Monate nach der Transplantation setzte er Medikamente ab, die die Vermehrung des HI-Virus unterdrücken. Wiederum eineinhalb Jahre später war der Erreger noch immer nicht bei ihm nachweisbar.
Äußerst seltene genetische Mutation
Eine ähnliche Behandlungsmethode war das erste Mal 2007 in Berlin erfolgreich. Bei Timothy Ray Brown, der als «Berlin-Patient» in die wissenschaftliche Literatur einging, war 1995 eine HIV-Infektion diagnostiziert worden. Mehr als ein Jahrzehnt konnte die Krankheit mit Medikamenten in Schach gehalten werden. 2006 wurde bei dem US-Amerikaner allerdings auch noch Leukämie festgestellt.
Sein Arzt, Gero Hütter vom damaligen Universitätsklinikum Benjamin Franklin, heute Teil der Berliner Charité, schlug daraufhin eine Stammzelltransplantation vor. Eine derartige Transplantation kommt dann infrage, wenn eine Chemotherapie keine Option mehr ist. Allerdings ist sie riskant. Das Immunsystem des Patienten muss zunächst komplett ausgeschaltet werden.
Mediziner Hütter hatte dabei allerdings eine revolutionäre Idee: Er suchte einen Knochenmarkspender für Brown mit einer äußerst seltenen genetischen Mutation, durch die das HI-Virus nicht in Körperzellen eindringen kann. Normalerweise braucht das Virus den sogenannten CCR5-Rezeptor, um an Zellen anzudocken.
Wesentlich weniger aggressiv
Bei einer bestimmten genetischen Veränderung bleibt diese Eintrittstür in die Zelle aber verschlossen. Gerade einmal knapp 1,5 Prozent der Nordeuropäer verfügen über diese Mutation, die sie gegen die meisten HIV-Varianten immun macht. Doch es fand sich ein passender Spender und das Experiment gelang: Brown gilt nach der Stammzellspende als HIV-frei – und das bis heute.
Auf ähnliche Ergebnisse dürfte nun auch das Team um den britischen Immunologen Ravindra Gupta hoffen. Auch ihr Patient erhielt eine Stammzelltransplantation von einem Spender mit der seltenen CCR5-Mutation. Allerdings sei die Behandlung hier wesentlich weniger aggressiv ausgefallen, da das Immunsystem des Patienten nicht komplett ausgeschaltet werden musste, betonen die Autoren.
Eine Heilung von HIV auf breiter Front ist aber durch die Methode Experten zufolge nicht zu erwarten. Bei der Knochenmarktransplantation handele es sich um einen starken Eingriff, der mit schweren Nebenwirkungen einhergehen kann, wie Gerd Fätkenheuer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, sagte. «Damit kommt sie für die alleinige Therapie der HIV-Infektion nicht infrage, sondern nur dann, wenn zusätzlich eine Krebserkrankung vorliegt, die mittels Stammzeltransplantation heilbar ist. Es müssen also schon sehr spezielle Bedingungen gegeben sein.» Für Georg Behrens, Präsident der Deutschen Aids-Gesellschaft, sind die Ergebnisse dennoch sehr vielversprechend: «Diese Behandlung ist zwar sehr experimentell, bringt uns aber dennoch voran, da sie für eine begrenzte Zahl von Patienten neue Optionen erschließt.»
Beleg für den Erfolg
Auch Gero Hütter ist optimistisch: Er ist sich sicher, dass der gleiche Verlauf wie bei Timothy Brown zu beobachten sein wird. Bei Timothy Brown sei viel über die Ursachen des Behandlungserfolges gerätselt worden. «Der neue Patient ist nun ein Beleg dafür, dass es doch an der Transplantation lag», fasst Hütter zusammen. Er berichtet von weiteren HIV-Patienten mit einer Stammzelltransplantation, die allerdings noch antiretrovirale Medikamente bekämen – die neue Studie würde vielleicht dazu führen, dass diese abgesetzt würden. «Es ist daher durchaus möglich, dass wir in nächster Zeit von weiteren erfolgreichen Fällen erfahren», sagt Hütter, der immer noch in Kontakt mit Timothy Brown steht.
Der Berlin-Patient habe Türen aufgestoßen, denn bis dahin galt eine Heilung von HIV als ausgeschlossen. So habe er etwa den Startschuss für Studien im gentherapeutischen Bereich gegeben – wenn auch bislang ohne Durchbruch. Doch die Idee, dass einem HIV-positiven Patienten Stammzellen entnommen und dann gentechnisch verändert wieder zurücktransplantiert werden, hat auch für Mediziner Behrens großes Potenzial, da sie ein wesentlich schonenderes Verfahren darstellen würde. Denn die Transplantation von Stammzellen, so Behrens, berge nach wie vor große Risiken und sei entsprechend nur bei Patienten mit einer lebensbedrohlichen Indikation denkbar. Zudem sei es äußerst schwierig, einen CCR5-negativen Spender zu finden.
Dazu passt das Fazit der aktuellen Studie: So plädieren deren Autoren dafür, nun an HIV-Therapien zu forschen, bei denen die Unterdrückung des CCR5-Rezeptors im Mittelpunkt steht.
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