Headlines

„Er war eine Ikone“ – Erinnerungen an Jang Schortgen

„Er war eine Ikone“ – Erinnerungen an Jang Schortgen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Am 1. Mai 1918 kam Jang Schortgen, der erste Arbeiter, der 1914 ins Parlament gewählt worden war, bei einem Grubenunglück im Tetinger «Brommeschbierg» ums Leben. Im Alter von 38 Jahren. Wir unterhielten uns mit John Lorent, dem sozialistischen Bürgermeister von Kayl/Tetingen, über Schortgens Vermächtnis.

John Lorent, Bürgermeister der Gemeinde Kayl Foto: Gemeinde Kayl

Tageblatt: Welchen Stellenwert hat Jang Schortgen in der Luxemburger Sozialgeschichte?

John Lorent: Aus Sicht der heutigen Sozialgesetzgebung ist die Figur Jang Schortgen sehr wichtig, da er ein echter Vorkämpfer für soziale Errungenschaften war. Ohne ihn gäbe es keinen Acht-Stunden-Tag und keine soziale Absicherung. Als er ums Leben kam, war der 1. Mai noch kein gesetzlicher Feiertag. Es ist schon irgendwie besonders tragisch, dass er genau an einem 1. Mai starb. Schortgen war bekanntlich auch der erste Abgeordnete aus der Arbeiterklasse, oder besser gesagt aus dem Proletariat. Er schuftete unter Tage, um seine Familie durchzubringen, und war Mitglied der Chamber. Das muss man sich mal vorstellen.

Was zeichnete ihn aus?

Er prangerte die ganzen sozialen Missstände an. Die Kinder beispielsweise, die als sogenannte «Päerdsbouwen» im Alter von 12, 13 oder 14 Jahren in der Grube arbeiteten. Das waren Sklavenbedingungen damals unter Tage. Und er wurde nicht müde, Druck auszuüben auf die politischen Kräfte, egal ob die jetzt aus der rechten oder der liberalen Ecke kamen. Durch ihn kam sehr viel Bewegung in die Thematik Rechte der Arbeiter. Und damit einhergehend auch die Arbeits- und Lebensbedingungen des Proletariats, für das er stets eintrat. Schortgen war von frühen Jahren an Gewerkschaftsmilitant und ebenfalls Mitbegründer des Berg- und Hüttenarbeiter-Verbandes. Dafür ist dieser 100. Todestag auch so wichtig für uns. Es geht einerseits um Erinnerung und andererseits um sein Vermächtnis. Ohne ihn würden wir heute wohl nicht über den «tiers payant» reden und auch nicht von «congé parental». Das sind alles Forderungen, deren Ursprung auf diese Zeiten zurückgeht, auch wenn ich jetzt vielleicht ein bisschen weit ausgeholt habe.

Welche Bedeutung hat er für die Gemeinde Kayl/Tetingen?

Der 100. Geburtstag, der 75. Todestag und nun der 100. Todestag. Wir haben einen Kultursaal und eine Straße nach ihm benannt. Es erscheint auch wieder eine Briefmarke. Das alles ist schön und gut. Vor allem aber muss man Schortgen immer in seine Epoche setzen. Es waren unruhige Zeiten damals. Bahnbrechende Zeiten, bin ich geneigt zu sagen. Jang Schortgen wird auch bei Esch 2022 eine Rolle spielen. Genauso wie das Thema Arbeit, das in Tetingen von großer Bedeutung ist. Mit ihm haben wir einen wichtigen Träger davon in unseren Reihen. Politisch gewinnt man damit heute sicher keinen Blumentopf mehr. Wir haben aber in unserer Gemeinde die «Schungfabrik». Auch da haben einst Kinder gearbeitet. Dass wir die Erinnerung hochhalten, geht gar nicht anders. Das ist unser Vermächtnis und dem gilt es Rechnung zu tragen.


 

Die Meldung seines Todes

«Tetingen – Tödlicher Unfall: Gestern im Laufe des Vormittags verunglückte tödlich auf seiner Arbeitsstelle in der Galerie durch herabfallendes Gestein der Hauer und der Deputierte Johann Schortgen. Er starb auf dem Transport nach seiner Wohnung. Schortgen hat ein Alter von 38 Jahren erreicht. Über das Unglück selbst erfahren wir folgendes: Schortgen, der als einfacher Hauer beschäftigt war, arbeitete morgens gegen 8 Uhr vor Ort. Der Verunglückte war allein, da sein Schlepper eben ausgefahren war. Schortgen war damit beschäftigt, unter dem Hangenden Stützbalken einzulegen, als sich vom Dach ein schwerer Block löste und Schortgen unter sich begrub. Sein Kamerad fand ihn bewusstlos. Er starb kurze Zeit danach, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.»

Auszug aus dem Tageblatt vom 2. Mai 1918


 

Welche politische Rolle spielte er?

Er war einst ein Wegbereiter des sozialdemokratischen Vereins, oder soll man sagen der sozialistischen Partei, die damals dabei war, zu entstehen. Damals hatte das Schisma zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus noch nicht stattgefunden, obwohl es in der Bewegung immer wieder zu Abspaltungen kam. Historisch gesehen könnte die KPL Schortgen ebenfalls, als Erbe dieser großen Bewegung, für sich beanspruchen. Schortgen ist das Fanal der Arbeiterklasse. Wir sollten stolz darauf sein, so einen wie ihn zu haben. Die «Konservativen» haben keine solche Figur. Jules Kauffmann, einer meiner Vorgänger als Bürgermeister, sagte immer: «Wir dürfen Schortgen nie vergessen.» Schortgen wurde angegriffen weil er nicht aus einer für damalige Verhältnisse katholischen Familie stammte und ein sogenanntes «Meedercherskand» war. Aber das sind halt auch die Aspekte, die ihn nicht nur zu einem interessanten Menschen gemacht haben, sondern zu dem Menschen, der er eben war.

Wie war er als Abgeordneter?

Eigentlich war es ja gar nicht vorgesehen, dass so einer sich in die Chamber wählen lässt. Er war Bergmann, zahlte regelmäßig seine Steuern und verfügte durch Absenkung des Zensus über das passive Wahlrecht. Die besseren Herren mit den Hüten wussten aber genau, dass er nur mit Mühe und Not seine Familie über Wasser halten konnte. Dann die tägliche Arbeit in der Grube sowie seine politische Arbeit. Und dann der weite Weg in die Stadt. Aus seiner Arbeit in der Chamber geht hervor, dass sein Anliegen immer das Los der Menschen im «Bassin minier» war. Er setzte sich stets für jene ein, die bis zur Erschöpfung arbeiteten, aber trotzdem Hunger litten. Lokalpolitisch spielte er im Übrigen keine Rolle, nicht wie Jean-Pierre Bausch in Rümelingen, der ja dort auch Bürgermeister war. Schortgen konzentrierte seine ganze Energie auf die Chamber.

Was war er für ein Mensch?

Er war ein eher ruhiger Mensch. Er war nicht verheiratet und hatte zwei Kinder. Er fiel nie aus der Rolle. Er war eher zurückhaltend. Er stach auch nicht durch flammende Reden hervor. Er war wohl das, was man einen «Schaffert» nennt. Aber er wurde stets von allen respektiert. Er war der Prototyp des sozial denkenden Menschen, der sich für seine Mitbürger einsetzte. Die Idee war ja, die Kraft der Arbeiterschaft hochzuhalten. Boden, Kapital und Arbeit. Und wenn der Faktor Arbeit sagt, wir lassen uns das nicht mehr gefallen, sind wir genau in diesem Spannungsfeld. Dann beginnt 1914 der Erste Weltkrieg und die größte Sorge vieler ist, genug zu essen zu haben. Schortgen war es auch, der die Idee mit den Kooperativen ins Leben rief. Und noch am Samstag vor seinem Tode war er im Ösling unterwegs, um Kartoffeln für seine Familie zu kaufen. Er ist zweifellos eine Art Ikone, auch wenn dieses Wort jetzt aus dem Gebetbuch der Konkurrenz stammt, wenn ich das mal so salopp formulieren darf.

Was waren die Umstände seines Todes?

Was soll ich sagen: Er starb wie so viele vor ihm und nach ihm. Er ist einer von rund 1.000 toten Bergleuten, deren Namen auf dem «Monument national des mineurs» in den Kayler «Léiffrächen» verewigt sind. Er wurde durch herunterfallendes Gestein in der Grube «Brommeschbierg» getroffen. Er war nicht sofort tot. Er wurde noch nach Hause gebracht, wo er dann an seinen schweren Verletzungen starb.

Wie waren die Reaktionen der Tetinger auf seinen Tod?

«De Schortgens Jhang ass de Muere leie bliwwen.» Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Tetingen und im ganzen Kayltal. Für das Dorf war es eine echte Katastrophe. Für die Menschen brach regelrecht eine Welt zusammen. Gerade der, der sich für sie über Jahre hinweg eingesetzt hatte, kommt ums Leben. Es war unfassbar! Am 3. Mai begleiteten ihn beim Trauerzug Hunderte auf seinem letzten Weg.

Wie wird seiner am heutigen Montag gedacht?

Zunächst wird ein Kranz auf dem Tetinger Friedhof an jenem Denkmal niedergelegt, das am 2. Mai 1920 unter großer Beteiligung der Bevölkerung, also zwei Jahre nach seinem Tode, eingeweiht wurde. Die ganze Dorfgemeinschaft hat damals mitgeholfen, dieses Denkmal zu finanzieren. Kurz nach seinem Tod hatten sich eine Reihe seiner Arbeitskollegen und Gleichgesinnte vorgenommen, ihren Freund nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Das Denkmal ist mittlerweile als «monument national» klassiert. Im Anschluss an die Kranzniederlegung findet in der «Schungfabrik» eine Feierstunde statt, bei der der Historiker Vincent Artuso Jang Schortgen ins rechte Licht rücken wird.

Carlo Trezzi
2. Mai 2018 - 7.56

Merci vir den schéinen Artikel , dat waren nach richteg Männer....Ouni vill Blabla....einfach maachen...