Sechs Jahre haben wir unsere Kinder bereits durchs Schulleben begleitet. Nun, im zweiten Jahr des vierten Zyklus, beginnt langsam der sogenannte „Ernst des Lebens“: Nach der sechsten Klasse stellen sich die Weichen für den weiteren Schulweg. Soll es eine klassische gymnasiale Ausbildung mit einem Abitur am Ende sein? Oder vielleicht eine, mit deren Abschluss eine berufliche Qualifikation im Gesundheits- und Sozialwesen steht? Oder machte es mein Kind vielleicht glücklicher, es würde ein solides Handwerk erlernen? Dabei muss es ja nicht unbedingt um die Übernahme des elterlichen Betriebes gehen, sondern wir Eltern könnten bedenken, dass eine Qualifikation als Fachkraft eine sichere Position auf dem Arbeitsmarkt schaffen könnte.
Das Dilemma bei der nun zu treffenden Entscheidung ist, dass die Eltern den Weg für ihre Kinder festlegen müssen. Vieles ist dabei zu berücksichtigen, vor allem der dramatische Wandel in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt. In der kurzen Geschichte des Staates Luxemburg hat dieser sich von einer Agrargesellschaft über ein industrielles Zentrum – vor allem der Montanindustrie – zu einer Dienstleistungsgesellschaft entwickelt. Fast die Hälfte der arbeitenden Bürger sind im Verwaltungs- und Dienstleistungssektor beschäftigt. Von insgesamt 39.869 Unternehmen in Luxemburg waren 2021 insgesamt 34.882 auf diesem Gebiet angesiedelt. Allein diese Zahlen erzielen zwei Wirkungen: Erstens liegen in diesem Bereich die zahlenmäßig meisten Arbeitsplätze und Eltern sehen möglicherweise hier auch eine Chance, ihre Nachkommen künftig auf dem Arbeitsmarkt unterbringen zu können. Zweitens arbeiten – der Statistik entsprechend – ja die meisten Eltern selbst im Dienstleistungssektor und sehen hier (Zufriedenheit am Arbeitsplatz vorausgesetzt) eine Zukunftsperspektive für ihre Sprösslinge.
All diese Faktoren spielen bereits bei der Auswahl der Sekundarstufe eine Rolle.
Eltern und Schule zusammen
Allerdings ist die Mühe der Auswahl den Eltern nicht allein überlassen. Bereits mit Beginn des vierten Zyklus treffen sich die Eltern mit den Klassenlehrern zu regelmäßigen Gesprächen. In individuellen Beratungen werden die Stärken oder Schwächen der Kinder beleuchtet, um Möglichkeiten einer Orientierung auszuloten. Diese Treffen sollen laut Plan jeweils am Ende eines Trimesters stattfinden. Ist das dritte Trimester absolviert, erstellen die Klassenlehrer eine Prognose, welchen Weg die Schülerin oder der Schüler in Zukunft nehmen könnte. Gleichzeitig informieren die Lehrer über mögliche Bildungswege, wie über eine Möglichkeit, die Sekundarstufe in einer Allet-Klasse (das sind Klassen mit Deutsch als Fremdsprache – „allemand comme langue étrangère“) oder an einer internationalen Schule (mit Unterricht in Französisch oder Englisch) absolvieren zu können. Die Pädagogen sind aber auch angehalten, über alternative Bildungswege zu informieren. So etwa über einen Sekundarschulgang, dem sich eine Ausbildung im Gesundheits- oder Sozialsektor anschließt. Auch sind Abschlüsse in der allgemeinen Sekundarstufe mit einer anschließenden Berufsausbildung in Industrie und Handwerk (also in Bereichen, in denen dringend Arbeitskräfte benötigt werden, siehe nebenstehenden Artikel) in der Beratung eingeschlossen.
Geht es dann in die konkrete Orientierungsphase, sind zwei individuelle Gespräche zwischen Lehrern und Eltern vorgesehen. In einigen Fällen ist es hier auch ratsam, einen Kinderpsychologen hinzuzuziehen. In diesen Gesprächen wird allgemein über den Bildungs- und Entwicklungsstand der Kinder informiert und eine Empfehlung für den Eintritt in die Sekundarstufe gegeben. Sind sich Eltern und Lehrer über diese Orientierung einig, wird dann der Orientierungsbeschluss erstellt, mit dem das Kind in einer Schule der Sekundarstufe angemeldet werden kann.
Wenn man sich nicht einig wird?
Was aber, wenn sich die Eltern der Empfehlung der Lehrer nicht anschließen möchten und für ihr Kind einen anderen Bildungsweg als den vorgeschlagenen bevorzugen? In diesem Fall tagt dann unter dem Vorsitz der/s Schuldirektor/s/in eine Orientierungskommission, an der Fachlehrer, ein Schulpsychologe des „Centre psycho-social et d’accompagnement scolaires“ (CePAS), ein Lehrbeauftragter der Sekundarstufe sowie die Eltern teilnehmen. Auf Wunsch können die Eltern einen von ihnen bestellten Psychologen herbeiziehen, der jedoch keine Stimmberechtigung hat. In dieser Kommission wird nun ein möglicher weiterer Bildungsweg beraten und ein entsprechender Orientierungsbeschluss gefasst. Gegen diesen können die Eltern dann kein weiteres Veto einlegen. Und doch ist damit noch nicht vollends der weitere Entwicklungsweg des Kindes oder Jugendlichen festgeschrieben. In den folgenden Klassen bieten sich durchaus noch Alternativen zur zunächst gefassten Orientierung. Hilfe hierbei liefert unter anderem die „Maison de l’orientation“.
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