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Ein Milliardär drängt an die Macht

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Die Tschechen werden sich bei den Parlamentswahlen heute und morgen ein weiteres Stück von den traditionellen Parteien lösen.

Die Tschechen werden sich bei den Parlamentswahlen am Freitag und am Samstag ein weiteres Stück von den traditionellen Parteien lösen. Als haushoher Favorit geht Unternehmer Andrej Babis in die Abstimmung – mit Rezepten, die wie gemacht scheinen für die heutige Zeit.

Man nehme das Unternehmertum und die Milliarden eines Donald Trump, die andauernde äußere Schuldzuweisung (Brüssel und Ausländer) eines Viktor Orban und das Versprechen auf wie auch immer gemeinte, nicht ausformulierte Veränderung eines Sebastian Kurz, mische sechs Schippen Charisma darunter, schüttele das einmal sanft durch und gieße es über Tschechien aus: Willkommen in Andrej Babis’ Welt, dem Multimilliardär, der bald Tschechien regieren dürfte.

Für die Parlamentswahl am Freitag und Samstag sind sich die Beobachter einig: Babis wird den Urnengang mit der von ihm gegründeten und ausschließlich auf ihn zugeschnittenen Partei ANO («Ja» auf Deutsch) haushoch gewinnen. 25 Prozent sagen ihm letzte Prognosen voraus. An zweiter Stelle werden die Sozialdemokraten der CSSD von Regierungschef Bohuslav Sobotka erwartet, mit einem bereits gehörigen Abstand von nur noch 13,5 Prozent der Stimmen.

Weder unbekannt noch unbefleckt

Insgesamt acht Parteien dürfen sich berechtigte Hoffnungen auf den Einzug ins Parlament in Prag machen. Neben ANO und der CSSD sind das die Kommunisten (KSCM) und Piraten, die extrem rechte Partei «Freiheit und direkte Demokratie» (SPD) unter dem Halbjapaner Tomio Okamura sowie die konservative ODS, die Christdemokraten der KDU-CSL und die liberal-konservative TOP 09 des ehemaligen Außenministers Karel Schwarzenberg. Alle rangieren in den Vorhersagen mit einem Stimmenanteil, der über der geltenden Fünfprozenthürde liegt. Fast alle stehen für eine Koalition mit Babis’ ANO bereit.

Babis ist kein Unbekannter in der tschechischen Politik. Unbefleckt ist er auch nicht mehr. Bei den Wahlen 2013 gelingt Babis der erste Coup. Seine 2011 aus der Taufe gehobene Bürgerbewegung, dann bereits zur Partei gereifte ANO zieht auf Anhieb ins Parlament ein. Babis selber wird Finanzminister.

Der Mann, der vorgibt, den Staat wie ein Unternehmen führen zu wollen und nicht müde wird, Politiker als Schmarotzer darzustellen, die sich auf Kosten der Allgemeinheit selber bereichern, ist mittlerweile selber in einige dubiose Affären verwickelt. Es geht unter anderem um wohl zu Unrecht vergebene EU-Subventionen für ein Wellness-Resort, das Babis an Verwandte überschrieben hat.
Babis’ Firmenimperium soll durch eine Finte knapp zwei Millionen Euro an EU-Förderungen für das Projekt erhalten haben, obwohl die Gelder für kleine und mittelständische Unternehmen bestimmt waren. Babis streitet die Vorwürfe ab und spricht von einem «zehn Jahre alten Pseudoproblem», einer «gezielten Aktion», um die Wahlen zu beeinflussen. Er habe umgehend seinen Anwalt eingeschaltet, teilt Babis in der ihm gehörenden Zeitung Dnes mit (siehe Kasten: Babis’ Medienimperium).

Babis’ Medienimperium

Im Jahr 2013 übernimmt Multimilliardär Andrej Babis die Mediengruppe Mafra von der Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft mbH (unter deren Dach u.a die Rheinische Post, die Saarbrücker Zeitung und der Trierische Volksfreund erscheinen). Im selben Jahr tritt er mit seiner mittlerweile zur Partei gereiften Bürgerbewegung ANO erstmals bei Wahlen an und schafft es auf Anhieb in die Regierungskoalition. Mit seiner Partei schickt er sich nun an, Tschechiens neuer Ministerpräsident zu werden. Bei Mafra erscheinen zwei von Tschechiens größten Tageszeitungen, Dnes und Lidové noviny. Erstere hat eine tägliche Auflage von etwa 136.000, Letztere eine von rund 36.000. Hinzu kommen der Radiosender Impuls, die Gratiszeitung Metro, das Wochenblatt Téma und die regional vertriebene Zeitung 5 plus 2. Letztgenannte wird umsonst in einer 800.000er-Auflage verteilt. Die Nichtregierungsorganisation Mediaproject kommt zu dem Schluss, dass Babis in Tschechien mit seinen Printprodukten rund 2,5 Millionen Leser erreicht – bei einer Gesamtbevölkerung von 10,6 Millionen. Eine Reichweite, mit der sich Meinung beeinflussen lässt. Dnes, eine ehemals eher liberale Qualitätszeitung, macht seit der Übernahme durch Babis fleißig Stimmung gegen Flüchtlinge und Migranten, bedient und fördert damit die Angst in der Bevölkerung ebenso wie die steigende EU-Feindlichkeit in dem nach der Wende am meisten westlich orientierten Land des ehemaligen Ostblocks. Mit seinen Zeitungen erreicht Babis eine bislang nicht gekannte Öffentlichkeit und demnach Sichtbarkeit in Tschechien.

Wegen des Verdachts auf Subventionsbetrug verliert Babis im Mai 2017 erst sein Amt als Finanzminister und nun im September seine parlamentarische Immunität. ANO bildet weiter zusammen mit den Sozialdemokraten (CSSD) von Ministerpräsident Bohuslav Sobotka und den Christdemokraten (KDU-CSL) die Regierung in Prag. Staatschef Milos Zeman hat bereits angekündigt, dass er den Vorsitzenden der Partei mit den meisten Stimmen bei der Wahl am 20. und 21. Oktober zum Ministerpräsidenten ernennen werde, «auch wenn dieser in Polizeigewahrsam ist».

Es war ein deutlicher Wink, dass ihn die Anschuldigungen gegen Babic nicht sonderlich kümmern. Im Mai ist Zeman nichts anderes übrig geblieben, als Babis aus seinem Ministeramt zu entheben. Ministerpräsident Sobotka hatte mit der Auflösung der Regierung gedroht, sollte Babis seinen Posten nicht räumen. Zeman tut also, was er gemäß der Verfassung tun muss. Gleichzeitig weiß er, dass sich Sobotka verrechnet hat. Der Wahltermin im Oktober steht schon, Babis gilt bereits damals als beliebtester Politiker. Und Zeman und Babic liegen in vielen Punkten auf derselben Wellenlänge: Beide wettern gegen Brüssel, beide schüren Ängste vor Flüchtlingen, von denen es in Tschechien kaum welche gibt. Aus dem Relocation-Programm der Europäischen Union hat Tschechien bislang zwölf Menschen übernommen, die Brüsseler Quote sah für das Land rund 2.600 vor.

Mit großem Charisma zieht er über die Dörfer

Babis’ Popularität schaden die gegen ihn erhobenen Betrugsvorwürfe offenbar nicht, auch nicht der Verlust seiner parlamentarischen Immunität. Der Milliardär sammelt seine Stimmen vor allem in den ländlichen Regionen. Im Gegensatz zu anderen tschechischen Politikern scheut er sich nicht, über die Dörfer zu ziehen. Dort kommt ihm sein natürliches Charisma zugute: Babis schüttelt Hände, streichelt Kinderköpfe, geht auf die Menschen zu und vermittelt ihnen, einer von ihnen zu sein – im Gegensatz zur Prager Politikerkaste. Dabei hilft Babis auch sein Reichtum. Das Magazin Forbes schätzt sein Vermögen auf 3,4 Milliarden US-Dollar. Babis ist Eigentümer des Konzerns Agrofert, der rund 250 Unternehmen umfasst und etwa 34.000 Angestellte beschäftigt. Nicht nur in Tschechien, auch in Deutschland, Frankreich, der Schweiz. Die Logik, die sich scheinbar aus diesem finanziellen Spielraum ergibt: Babis ist so reich, der braucht, im Gegensatz zu den herkömmlichen Politikern, der Allgemeinheit kein Geld zu stehlen, um noch reicher zu werden. Integrität durch Milliarden. Wenn es nur so einfach wäre.

Dass es in Tschechien zum Machtwechsel kommt, gilt als ausgemacht – und würde die politische Linie der vergangenen 25 Jahre bestätigen. Nach der Samtenen Revolution und seit 1993 gab es in Prag 13 Regierungen. Nur fünf davon gingen in dieser Periode aus regulären Parlamentswahlen hervor, die übrigen kamen nach diversen Skandalen ins Amt. Bürgerliche und Sozialdemokraten wechselten einander mehr oder weniger regelmäßig ab. Kontinuierlich und beide betreffend waren nur die stetigen Polit- oder Wirtschaftsskandale.
Die Reaktion der Wähler war ebenso zwangsläufig wie nachvollziehbar. Sie wählten eher ab, als dass sie wählten. Parallel dazu stieg der Frust in der Bevölkerung über sich selbst bereichernde Politiker und Funktionäre an. Es ist der Nährboden, auf dem Babis’ Popularität gedeiht.

Dass ein Staat eben nicht geführt werden kann wie ein Unternehmen, erfährt die Welt gerade am Beispiel Trump. Trotzdem passt ein Mann wie Babis auf fast schon beängstigende Weise in unseren Zeitgeist. Bald wird er zeigen, ob er den in ihn gesteckten Hoffnungen gerecht werden kann.

Serenissima
21. Oktober 2017 - 6.07

Geld geht immer mit Macht, mal offen mal geheim, aber jetzt wird es immer offensichtlicher: Geld gibt Macht, so ist die Welt eben; in jedem politischen System, von kapitalistisch bis kommunistisch und all die Schattierung dazwischen....geldgierig und machtgeil sind alle Potentaten, Mogule und Politiker...mondo cane eben

J.C. KEMP
20. Oktober 2017 - 20.01

Früher hat diese Sorte von Medienmogulen immer nur im Hintergrund die Fäden der Politiker-Marionetten gezogen. Heute drängen sie selbst an die Macht. Wann wird Murdoch UNO Generalsekretär?