Die Angst, den Hochsommer in der „Stuff“ oder in Autokinos verbringen zu müssen – mit der Wahl, mit eingeschalteter Klimaanlage zum Klimawandel beizutragen oder in der Hitze langsam dahin zu brüten –, gehört der Vergangenheit an: Seit letztem Freitag darf man, unter strengen Sicherheitsvorkehrungen, wieder ins Theater, auf ein Konzert oder eine Lesung gehen. Trotzdem wurden bisher kaum Kulturevents für den Sommer angekündigt. Woran das liegt?
Einerseits sind die Einschränkungen – gestattet sind nur bestuhlte Events, die es erlauben, eine Distanz von zwei Metern zum Nachbarn einzuhalten – viel strenger als diejenigen, die seit der Wiederaufnahme des Flugbetriebes oder der Gastronomie gelten: Wieso im Restaurant 1,50 Meter Distanz ausreichen, im Theater allerdings zwei Meter notwendig sind, ist unverständlich – sind kulturinteressierte Menschen ansteckender? Hier sieht man den Neoliberalismus in seiner obszönsten Pracht: Bei wirtschaftlich „notwendigeren“ Sektoren existiert eine höhere Toleranzschwelle.
Andererseits zaubert man ein Kulturevent nicht einfach so aus dem Hut, und die abgesagten Events können nicht auf Knopfdruck reaktiviert werden. Vor jeder Theateraufführung stehen sechs Wochen Probezeit – sogar, wenn man sofort am vergangenen Freitag mit dem Proben begonnen hätte, wäre frühestens Mitte Juli mit den ersten Vorstellungen zu rechnen gewesen. Traditionell beginnt dann allerdings die Sommerpause. Anstatt in Betracht zu ziehen, dass viele ihren Urlaub abgesagt haben und gerade im Sommer für Kulturevents zu begeistern wären, hat sich die Theaterszene entschieden, erst im September wieder durchzustarten – auf die Gefahr hin, dass das Publikum dann wegen einer zweiten Welle zu Hause bleibt.
Dabei sind die Argumente der „Theater-Federatioun“ einleuchtend: Die momentanen Einschränkungen erlauben es weder den Schauspielern unter ordentlichen Bedingungen zu proben, noch garantieren sie das wirtschaftliche Überleben der kleinen Häuser – die Anzahl der zugelassenen Besucher ist lächerlich gering. Der Mangel an Improvisationsgeist – man könnte verstärkt auf Monologe setzen, die Einschränkungen wie beim Oulipo als stilistisches Mittel nutzen – und die momentane Lethargie zeugen jedoch von einer Kulturszene, die sich immer stärker auf staatliche Gelder und Unterstützung verlässt.
Die Einschränkungen sorgen zudem für eine Hierarchisierung der verschiedenen Kulturhäuser – wenn nur bestuhlte Events erlaubt sind, sind staatliche Institutionen wie die Philharmonie und das Große Theater klar im Vorteil. Der Appell von Kulturministerin Sam Tanson an die Solidarität zwischen den verschiedenen Kulturhäusern ist lobenswert – aber verlagert man die Produktionen des Kasemattentheaters, des TOL oder des Centaure in größere Häuser, nimmt man den Schauspielern, Regisseuren und Bühnenbildnern die Möglichkeit, den Charme der kleinen Spielstätten zu valorisieren – das daraus resultierende Stück wird ein anderes sein.
Eine kohärente, einheitliche Politik für Kulturevents sucht man bisher vergeblich: Die Frankfurter Buchmesse wird im Oktober unter strengen Auflagen stattfinden, die „Walfer Bicherdeeg“ hingegen wurden abgesagt. Dass man hier nicht, wie es in Frankfurt der Fall ist, an Alternativen gedacht hat (um die Halle in Walferdingen im November anders zu bespielen – man könnte die Besuchermenge kontrollieren, mit Sicherheitsabständen, Plexiglas, Desinfektionssprays arbeiten), ist umso problematischer, weil die meisten Wissenschaftler gebetsmühlenartig wiederholen, dass wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Übervorsichtige Absagen sind daher kaum eine dauerhafte Lösung. Gerade im Kulturbereich hätte man eigentlich mit einem Überschuss an kreativen Lösungen rechnen können – stattdessen wartet man auf ministerielle Rettungspakete und teilt Absagen mit.
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