Bereits zum 37. Mal fand an Weihnachten das traditionelle «Noël de la rue» im hauptstädtischen «Fieldgen» statt. Der Andrang war riesig. Doch was bewegt die zahlreichen freiwilligen Helfer, gemeinsam mit den Mitgliedern der Vereinigung Alleinstehenden und Bedürftigen ihre Aufmerksamkeit und vor allem ihre Zeit zu schenken?
Mit Fotos von Hervé Montaigu
Es ist kurz nach 10 Uhr an diesem 25. Dezember. Die Sonne lacht vom Himmel. Aber über Nacht ist es knackig kalt geworden. Auf dem Gelände des «Fieldgen» herrscht bereits Hochbetrieb. Die ersten Gäste kündigen sich an. Sie heißen Liliane, Mike, Claude, Jean-Paul, Sonde und Koulibaly … Es sind Frauen und Männer. Sie kommen eigentlich von überall her und haben etwas gemeinsam: Es lief in ihrem bisherigen Leben nicht alles so, wie es hätte laufen können. Einige sind noch blutjung, andere bereits über 60 oder gar 70 Jahre alt. Es sind Geschichten. Von einem Leben auf der Straße. Von Obdachlosigkeit. Es sind traurige Geschichten. Von Flucht aus der Heimat. Von Schmerz. Von Hunger. Von Mittellosigkeit und Obdachlossein. Vor allem aber sind es auch Geschichten vom Alleinsein.
An Weihnachten, jenem Tag, den man normalerweise mit seinen Liebsten verbringt.
Im Eingangsbereich der Sporthalle ist Sonny dabei, Namen auf kleine Ansteckkärtchen zu schreiben. Jeder Gast bekommt ein solches Kärtchen angeheftet. Es geht darum, die Anonymität hinter sich zu lassen. Und darum, miteinander in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen. Sonny ist eine von 75 freiwilligen Helfern an diesem Tag. Sie ist bereits das dritte oder vierte Mal dabei. «Ich finde es wichtig, den Menschen Zeit zu schenken. Das ist etwas sehr Wertvolles und kommt gegenwärtig oft zu kurz. Und ich möchte etwas zurückgeben. Wichtig ist mir auch, dass ich ein Vorbild bin in allem, was ich tue. Mein Sohn hat auch vor, im kommenden Jahr mit anzupacken.» Rund 330 Kärtchen wird Sonny aushändigen.
Im Speisesaal, dort wo die Woche über die Schüler ihren Mittagstisch zu sich nehmen, ist Antoinette dabei, die letzten Tische zu decken. Sie legt dabei Wert auf die Details. «Das gehört auch dazu», sagt sie. Die Messer müssen richtig liegen und die Gläser, auf denen das Logo einer Luxemburger Brauerei prangt, müssen alle gleich stehen. Auch die Dekoration ist wichtig. Sie ist bereits zum fünften Mal mit dabei und hoch motiviert: «Ich bin sozial sehr engagiert. Das liegt mir am Herzen. Ich möchte diesen Menschen heute Liebe und Wärme schenken», sagt sie und lacht dabei aus ganzem Herzen. Und was gibt sie ihnen mit auf den Weg? «Dass sie den Mut nicht verlieren und daran glauben, dass es besser wird. Und vor allem auch an sich selber glauben. Das ist sehr wichtig. Und dass sie wissen, dass es Menschen gibt, die für sie da sind, auch wenn das Leben schwierig ist», so Antoinette weiter.
Fabienne und ihre Tochter Fiona packen in diesem Jahr das erste Mal mit an: «Ich hatte mir vorgenommen, diesmal zu Weihnachten etwas ganz Besonderes zu tun und ich denke, ich bin genau richtig hier», erzählt sie. Ihre Tochter hat die beiden dann via Facebook angemeldet. Sie erwartet, dass sie den Menschen helfen kann, indem sie für sie ganz einfach an diesem Tag da ist. All ihre Freunde fanden, das sei eine prima Idee und sind gespannt darauf, was sie erzählen wird. «Wir werden versuchen, dass sie alle unsere Wärme zu spüren bekommen und dafür sorgen, dass sie diesen Tag nicht alleine verbringen müssen», sagt Fabienne.
Idee entstand vor 37 Jahren
Vor 37 Jahren organisierte Léon Kraus das erste Mal den «Noël de la rue». Zusammen mit Schwester Josette. «Ich wollte einfach, dass die Bedürftigen an diesem Tag würdevoll und nicht wie Menschen dritter Klassen behandelt werden», so Kraus, der einst Pfarrer war. «Gerade an diesem Tag wollten wir dafür sorgen, dass die Bedürftigen einen Platz haben, wo sie hingehen und sie ein paar unbeschwerte Stunden verbringen können.» Eine Art große Familie, die die beherbergt, denen es nicht so gut geht. «Liebe schenken. Das macht es aus. Bei vielen werden Erinnerung wach an ihre Kindheit und an bessere Tage.»
Festgestellt hat er in all den Jahren, dass die Misere hierzulande immer größer wurde statt kleiner, wie er erhoffte. Der Staat mache sehr viel, sagt er und fügt hinzu, dass wir als Gesellschaft damit einverstanden seien, dass es Armut gebe. «Aufgefallen ist mir, dass unsere Gäste zusehends internationaler wurden. Die Not kennt halt keine Grenzen», sagt Kraus und fügt hinzu, dass leider nicht alle gekommen seien. Aber dann hätte der Platz nicht gereicht.
Reinaldo ist ebenfalls mit von der Partie. Er arbeitet als Ingenieur bei der Post. «Mir geht es gut und ich lebe eigentlich auf der Sonnenseite des Lebens. Und deshalb möchte ich etwas abgeben. Aus diesem Grund packe ich hier mit an.» Es ist nicht sein einziges soziales Engagement, so Reinaldo, der der Ansicht ist, dass es gerade an Weihnachten entscheidend sei, sich in den Dienst anderer zu stellen, damit diese ein paar unvergessliche Stunden verbringen können.
Bei Dominique sind die Beweggründe ähnlicher Natur. «Es bereitet mir eine Menge Spaß, mich für andere einzusetzen und es erfüllt mich», sagt sie. Aus diesem Grund hilft sie jeden zweiten Samstag, wenn es darum geht, Bedürftige mit Essen zu versorgen. «Wissen Sie, wenn es einem gut geht im Leben, sollte man das nicht nur zu schätzen wissen, sondern auch etwas davon zurückgeben.»
Mittlerweile ist es kurz vor 12 Uhr. Premierminister Xavier Bettel und sein Lebenspartner Gauthier Destenay sind eingetroffen. Bettel hat sich bereits eine Schürze umgeschnallt. Familienministerin Corinne Cahen ist ebenfalls eingetroffen. Es kann losgehen. Vor der Eingangstür stehen Liliane, Mike, Claude, Jean-Paul, Sonde und Koulibaly und all die anderen bereits Schlange. Sie haben Hunger. Auf dem Menü stehen eine «Capelettiszopp», Kartoffelgratin und Kalbfleisch. Es gibt auch ein vegetarisches Hauptgericht. Und als Nachspeise ein Stück «Bûche». Alle sehnen sie sich nach ein paar Stunden geselligem Beisammensein. Und nach Wärme in diesen eiskalten Zeiten.
DREI FRAGEN AN …
… Françoise Reuter von „Noël de la rue“
Was ist diesmal anders?
Wir haben im Vorfeld mehr darüber informiert, dass es uns gibt. Wenn Sie so wollen, haben wir mehr Werbung für uns gemacht. Wir waren in den letzten Wochen in zahlreichen Foyers unterwegs, um die Menschen darüber zu informieren, dass sie Weihnachten bei uns verbringen können. Völlig neu war, dass wir eine Gruppe Menschen aus Eritrea eingeladen haben. Die hätten Weihnachten ansonsten in Insenborn verbracht. Das passierte zusammen mit den Verantwortlichen des OLAI. Die Eigentümerin eines Busunternehmens sorgte dann für den Gratistransport.
Was mussten Sie feststellen?
Wir wurden regelrecht überlaufen. So viele Gäste wie in diesem Jahr hatten wir noch nie. Das Essen hat gerade so gereicht. Wir mussten kurzerhand Tische und Bänke organisieren, damit wir sie alle unterkriegen. Leider hatten wir deshalb nicht ausreichend Geschenke, weshalb wir dann noch eine Reihe von Bons verteilen mussten.
Wie war die Stimmung?
Die Stimmung war, wie eigentlich jedes Jahr, hervorragend. Jeder war sehr diszipliniert. Es war ein fröhliches Miteinander. Es wurde zusammen gelacht und gefeiert.
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