Headlines

So skurril wurde früher verhütet

So skurril wurde früher verhütet

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

«Wenn Sie nicht schwanger werden wollen, dann hocken Sie sich nach dem Sex mit angezogenen Knien neben das Bett und niesen sieben Mal kräftig.» Würde uns ein Frauenarzt das heute empfehlen, würden wir ihn wahrscheinlich völlig entgeistert ansehen und eine miserable Bewertung auf Doctena hinterlassen.

Doch was für die moderne Frau wie völliger Humbug klingt, waren früher verzweifelte Versuche, eine Schwangerschaft abzuwenden. Denn bis zur Erfindung der Pille konnte nach der schönsten Nebensache der Welt eine böse Überraschung warten.

Ohne wirksamen Schutz waren Frauen Jahrhunderte lang der Willkür ihrer Fruchtbarkeit ausgesetzt. Mit 15 bis 20 Schwangerschaften in einem Leben war eine Frau früher eigentlich dauerschwanger. Kein exklusiv europäisches Problem – sondern damals weltweit Realität. Wunderbare Aussichten nicht?

Die Antike: Von Krokodilkot und Trauerweidenzäpfchen

Man versuchte sich also zu schützen, wo es nur ging. Die alten Ägypter setzten auf eine Mischung von zerstoßenem Krokodilkot und gegorenem Pflanzenschleim, die der Frau in die Scheide eingeführt wurde. War das Wundermittel mal nicht zur Hand, sollte nach dem Sex ein heißes Getränk aus süßem Bier, Sellerie und Öl abhelfen.

Die Sache mit dem Niesen stammt übrigens von dem griechischen Arzt Soranus von Ephesus. Auch andere Ideen der alten Römer und Griechen waren nicht viel besser: Heftiges Auf- und Abspringen, Luft anhalten während des Samenergusses, vor dem Sex ein Fass mit einer Katzenleber um den linken Fuss binden – und gleichzeitig ein Elfenbeingefäß mit Löwenuterus an einer anderen Körperstelle festbinden.

Wer es lieber vegan mochte, konnte auch den Ratschlägen von Avicenna folgen – einem persischen Arzt, der 10. Jahrhundert nach Christus praktizierte. Er riet dazu, aus einer frischen Alraunwurzel, Kohlblättern, Kohlsamen, Zedernöl und Skammoniablättern ein Kügelchen zu formen. Das wurde dann in die Scheide der Frau eingeführt, während der Mann seinen Penis mit Bleiweiß und Zedernöl einrieb. Dienlich sollte außerdem Basilikum sein, dass in anderthalb Liter Wasser aufgelöst wurde – und das die Frau trinken musste. Nach dem Sex war die Tortur aber noch nicht ausgestanden. Nun wurde der Frau nämlich ein zweites Zäpfchen aus den Blättern einer Trauerweide verpasst.

Das Mittelalter: Todesstrafe für Verhütung

Wer nun denkt, das starke Geschlecht habe es leichter gehabt, liegt falsch. Ein Ratschlag aus dem Mittelalter lautet, dass Männer durch das Erhitzen ihrer Testikel mit heißem Wasser den Samen abtöten sollten. Noch radikaler waren die Kastrationen in der Antike und dem Mittelalter. Die damaligen Ärzte rieten den Kindern, in der Badewanne mit heißem Wasser die «erschlafften Teile» mit den Fingern zu zerquetschen. Und zwar so lange, bis sie nicht mehr fühlbar waren. Eine andere brutale Methode: die Ausschälung der Hoden mit einem Messer.

Im Verlaufe des Mittelalters wurde die Situation nicht sehr viel besser. Frauen und Männer versuchten zur Verhütung Kräutersäfte, obskure Zäpfchen, Pressare und anderen seltsame Praktiken. Allerdings sollten sie sich nicht dabei erwischen lassen. Den neben Kindstötung, Abtreibung und Verheimlichung einer Schwangerschaft wurde auch die Verhütung mit dem Tod bestraft. In der «Constitutio criminalis Carolina», die Karl V. im Jahr 1532 erließ, ist das Strafmaß für eine solche «Untat» genaue festgelegt: Den Männern drohte der Tod durch die Enthauptung, die Frauen sollten ertränkt oder «sunst zum todt gestrafft werden».

Man hatte also die Wahl zwischen dem Geburtszwang mit bis zu 15 Kindern, die versorgt werden wollten – und einer Straftat auf der die Todesstrafe stand. Romantisch.

Viele Frauen wurden aber trotz aller Bemühungen schwanger. Dann griffen sie stellenweise zu höchst gefährlichen Abtreibungsversuchen. Bekanntestes Werkzeug hierfür war sicherlich die Stricknadel. Da diese ein ganz gewöhnliches «Frauenutensil» war, machten sich die Betroffenen durch ihren Besitz nicht gleich verdächtig. Versuchte man damit abzutreiben, wurde die Nadel in die Scheide eingeführt und darin herumgestochert, um die Fruchtblase zum Platzen zu bringen. In vielen Fällen starb durch die Verletzungen nicht nur der Fötus, sondern auch die Mutter.

Das Kondom vor und nach Charles Goodyear

Dass uns diese Gräuel heutzutage erspart bleiben, verdanken wir vor allem zwei Erfindungen: dem Kondom und der Pille.

Zwar schwur schon König Minos von Kreta auf Kondome aus Ziegenblasen (laut Legende wollte er damit seine Frau Pasiphae vor seinem tödlichen Sperma schützen), doch den großen Aufschwung erlebte das Präservativ mit einem gewissen Herrn Casanova. Dieser soll Liebeshüllen aus Tierdärmen genutzt haben. Im Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche in Wien finden sich heute solche historischen Kondome aus Luftblasen von Fischen und Schafsblinddärmen. Auf letztere wurde übrigens besonders gerne zurück gegriffen – wegen seiner perfekten Größe. Gehalten wurde das Kondom übrigens durch eine Schnur, die man(n) am Penisende zubinden musste. Nach dem Sex wurde das Darmkondom übrigens nicht weggeworfen. Statt dessen spülte es der Nutzer aus – und verstaute es dann bis zur nächsten Liebelei.

Ausstellungsobjekt des Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbrüche

Die Herstellung des Verhütungsmittels war damals denkbar einfach: Der Darm wurde über einen eigens angefertigten Kondomgestell gestülpt und dort getrocknet – fertig. Und auch, wer nicht das Geld für ein neues Modell hatte, wurde nicht vergessen. Es gab sogenannte «Kondome zweiter Klasse» – also geflickte Gebraucht-Exemplare. Diese litten aber eher an Materialermüdung – und rissen schnell erneut.

Mitte des 19. Jahrhunderts läutete kam dann der Durchbruch: Charles Goodyear läutete das Zeitalter des Gummikondoms ein. 1855 zum ersten Mal vorgestellt wurde es ab 1870 vermarktet. Durch die Massenproduktion sanken die Preise rasant. Und bis heute ist das «Gummi» ein voller Erfolg.

 

Rocking the Sex-Revolution: Die Anti-Baby-Pille 

Bis zur Anti-Baby-Pille und der sexuellen Revolution sollte es aber noch weitere 90 Jahre dauern. Obwohl die Forschung schon im Jahr 1920 begann, sich mit hormoneller Verhütung zu beschäftigen, ist es zwei Frauen zu verdanken, dass die Pille tatsächlich auf den Markt kam: Margret Sanger und Katharine McCormick.

Margret Sanger wurde 1879 in New York geboren. Ihr eigene Mutter war 18 Mal schwanger und brachte elf gesunde Kinder zur Welt, ehe sie an Tuberkulose starb. Sanger wurde Krankenschwester und arbeitete in den Slums von Manhattan, wo sie Schwangerschafts- und Geburtshilfe leistete. Immer wieder musste sie mit ansehen, wie Frauen durch den Geburstszwang in die Verzweiflung getrieben wurden, gefährliche Abtreibungen versuchten und oft viel zu früh starben.

Sie begann damit, sich für Verhütung und Geburtskontrolle einzusetzen, träumte von einer «magischen Pille» gegen die Schwangerschaft. Als sie auf den Hormonbiologen Gregory Pincus trafft, wurde aus dem Traum Realität. Und mit Hilfe von Finanzspritzen der Multimillionärin Katharine McCormick beauftragte die von Sanders gegründete American Birth Control League Forscher Pincus, ein einfach anzuwendendes Verhütungsmittel zu entwickeln.

1960 war es dann endlich soweit – «Envoid» kam als erstes hormonelles Verhütungsmittel auf den amerikanischen Markt. Ein Jahr später wurde die «Pille» in Europa eingeführt. Der Schrecken der Fruchtbarkeit hatte ein Ende. Mit der Pille als Waffe traten die Frauen den Kampf gegen den Geburtszwang an – und läuteten die sexuelle Revolution ein.

Ende gut, alles gut? Mehr zum Thema finden Sie in der Magazin-Beilage des Tageblatts.