Die Enthüllungen trafen Luxemburg im Herbst 2014 wie eine Bombe. Ein internationales Bündnis von Journalisten katapultierte damals nach monatelanger Recherchearbeit Luxemburgs Steuerpraxis gegenüber internationalen Unternehmen in die Weltöffentlichkeit. Der LuxLeaks-Skandal war geboren.
Im Mittelpunkt standen dabei die sogenannten Tax Rulings. Das sind Abkommen, die Unternehmen mit den staatlichen Steuerstellen treffen. Sie regeln im Vorfeld, wie viele Steuern das Unternehmen zu zahlen haben wird. Unternehmen lieben dieses Vorgehen – es gibt ihnen eine Planungssicherheit, die sie anders nicht hätten. Das allgemein gültige, nationale Steuerrecht lässt für solche Abkommen einen gewissen Interpretationsspielraum offen. Was darin festgehalten wird, ist bindend und in Steuerangelegenheiten demnach auch legal. Ein an und für sich normaler Vorgang, der in mehr als 20 EU-Mitgliedstaaten Anwendung findet. In vielen Fällen allerdings lag der effektive Steuersatz bei unter einem Prozent.
Die Kommission greift auf einen Kniff zurück
Solche Tax Rulings unterliegen normalerweise nicht dem Wettbewerbsrecht und werden demnach auch nicht von der EU-Kommission kontrolliert. So verhielt es sich auch bis zu den Schockwellen, die das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) mit seinen Aufdeckungen um den Globus schickte. Doch danach war nichts mehr, wie es einmal war.
Die weltweite Empörung darüber, dass multinationale Unternehmen fast überhaupt keine Steuern zahlen mussten, brachte die Politik in Zugzwang. Die EU-Kommission musste sich der Sache annehmen, dabei aber auf einen Kniff zurückgreifen. Da die Steuerhoheit in der Europäischen Union bei den einzelnen Staaten liegt, musste das Wettbewerbsrecht her, um gegen diese Praxis überhaupt vorgehen zu können.
Luxemburg klagt, weil es das Geld nicht will
Die zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager argumentiert seitdem, dass die untersuchten Luxemburger Tax Rulings in manchen Fällen EU-Recht widersprechen. Dies sei eine unerlaubte staatliche Beihilfe, so die dänische Kommissarin. Bereits 2015 forderte die EU-Kommission Luxemburg auf, die Steuern zurückzufordern, die es laut Brüssel dem Wettbewerbsrecht zuwiderlaufend dem Unternehmen Fiat Finance and Trade mittels diesen Steuervorbescheiden gewährt hatte. Die Kommission schätzt die zu schuldende Summe auf 20 bis 30 Millionen Euro.
Fiat Finance and Trade ist eine Luxemburger Tochter des Fiat-Konzerns und funktioniert wie eine Bank für die Muttergesellschaft. Demnach müsste Fiat Finance and Trade, so die Kommission, auch wie andere Banken besteuert werden – was aber unter diesen Gesichtspunkten wohl nicht der Fall war. Die Kommission argumentiert, dass durch eine künstliche und hoch komplizierte Berechnung die zu besteuernden Gewinne kleingerechnet wurden, um die Steuerschuld auf ein sehr niedriges Niveau zu drücken. Die Kommission hat errechnet, dass der zu besteuernde Betrag ungefähr um das 20-fache höher hätte liegen müssen als der, der tatsächlich als Besteuerungsgrundlage ausgehandelt worden war.
Ein Urteil in sechs Monaten wäre der Normalfall
Für die Kommission stellte dies ein klares Vergehen gegen das Wettbewerbsrecht dar, über das die Kommission wacht, um den europäischen Binnenmarkt zu schützen. Luxemburg reagierte und reichte im Oktober 2015 seinerseits vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) Klage ein gegen die Anordnung der Kommission. In anderen Worten: Luxemburg klagt dagegen, von Fiat Finance and Trade Steuern zurückfordern zu müssen.
Die Verhandlungen in dieser Affäre werden nun kommenden Donnerstag geführt. Die Urteile beim Gericht der Europäischen Union folgen in der Regel etwa ein halbes Jahr später. Anders als bei Verfahren am Europäischen Gerichtshof (EuGH), der ebenfalls Teil des Gerichtshofes der Europäischen Union (Curia) ist, gibt es beim EuG vor dem Urteil keine Stellungnahmen eines Generalanwalts, die in den meisten Fällen bereits eine Richtung erkennen lassen, derzufolge die Richter urteilen.
Luxemburg auch in anderen Fällen im Visier
Das Verfahren um Fiat Finance and Trade ist nicht das einzige, das demnächst in Luxemburg verhandelt wird. Auch der belgische Staat und die Niederlande werden in den kommenden Tagen über ihre Rechtsvertreter dort vorstellig. Im Falle Belgiens geht es um von der Kommission geschätzte Steuervorteile für rund 35 multinationale Firmen, die sich auf eine Gesamtsumme von rund 700 Millionen Euro belaufen. Was die Niederlande betrifft, wird der Fall des US-amerikanischen Kaffee-Konzerns Starbucks verhandelt. Hierbei steht eine Summe von 20 bis 30 Millionen Euro im Raum.
Die EU-Kommission hatte neben Luxemburg noch sechs weitere EU-Staaten und ihre Steuerpraxis unter die Lupe genommen: Belgien, Zypern, Malta, die Niederlande, das Vereinigte Königreich und die Republik Irland. Seit 2015 ist das Gericht der Europäischen Union mit den Einsprüchen von vier Ländern gegen die Entscheidung der EU-Kommission befasst. Neben Luxemburg sind das die Niederlande und Belgien, aber auch Irland.
Der dickste Brocken lauert in Dublin
Dublin stellt vom Geldbetrag her den spektakulärsten Fall dar. Der Kommission zufolge soll Irland insgesamt 13 Milliarden Euro vom Technologiegiganten Apple zurückfordern. Den jeweiligen Einspruch vor dem Gericht haben die Staaten zusammen mit den betroffenen Unternehmen hinterlegt.
Luxemburg hat bereits eine weitere Entscheidung der Kommission gerichtlich angezweifelt. In diesem Fall geht es um das Unternehmen Amazon, von dem Luxemburg Brüssel zufolge rund 250 Millionen Euro zurückfordern soll. In diesem Fall gibt es noch keinen Gerichtstermin. Gegen die US-amerikanische Fastfood-Kette McDonald’s und den französischen Energiekonzern GDF Suez in Luxemburg wird zurzeit ermittelt. Auch in diesen Fällen darf mit Anweisungen der Kommission und Folgeverfahren gerechnet werden.
Dann tauchen die Whistleblower auf
Das International Consortium of Investigative Journalists hatte aufgedeckt, dass alleine das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PwC) in den Jahren 2002 bis 2010 mit dem Luxemburger Staat solche Tax Rulings für mindestens 548 Unternehmen ausgehandelt hatte, die den Unternehmen drastische Steuernachlässe garantierten. Die Journalisten waren unter anderem durch den ehemaligen PwC-Angestellten und späteren Whistleblower Antoine Deltour an die Dokumente gekommen, mit denen sie dann arbeiten konnten.
Der Franzose Deltour wurde daraufhin von seinem früheren Arbeitgeber vor Gericht gezogen. Dies zusammen mit einem weiteren Whistleblower, Raphaël Halet. Gemeinsam hatten die beiden insgesamt 300.000 Dokumente entwendet und an den Journalisten Edouard Perrin weitergeleitet. In erster Instanz wurde Deltour im Sommer 2016 wegen Diebstahls zu zwölf Monaten auf Bewährung und einer Geldstrafe von 1.500 Euro verurteilt. Halet war zu einer etwas geringeren Strafe verurteilt worden.
Klagen, Einsprüche, symbolische Schuldsprüche
Beide Whistleblower betonten stets, dass ihre Motivation darin bestand, Missstände öffentlich zu machen. Um Geld sei es ihnen nie gegangen. Beide gingen in Berufung. Deltour wurde im vergangenen Januar vom Diebstahlsvorwurf in Bezug auf die LuxLeaks-Dokumente freigesprochen. Im Mai wurde der 32-Jährige dann zu einer symbolischen Strafe von einem Euro verurteilt, da er auch Weiterbildungsprogramme seines früheren Arbeitgebers heruntergeladen hatte, für die der Schutz als Whistleblower – ein Status, dem ihm das Gericht zugesprochen hatte – nicht galt.
Halet seinerseits kündigte an, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu ziehen. Der in erster Instanz freigesprochene Journalist Perrin, an den die beiden Whistleblower die Dokumente weitergeleitet hatten, sah sich später mit einer Berufung durch die Luxemburger Staatsanwaltschaft konfrontiert, die eine Geldstrafe forderte. In diesem Fall blieb es auch in zweiter Instanz beim Freispruch.
(Anmerkung: Der Text wurde an zwei Stellen leicht überarbeitet.)
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