So richtig realisieren konnte es Paule Kremer erst ein paar Tage danach. Sie stand oben auf dem Rockefeller Center in New York und genoss die Aussicht auf Manhattan – den Teil von New York, den sie gerade umschwommen hatte. Als erste Luxemburgerin brachte sie am Wochenende die sogenannten „20 bridges“, eine rund 48 Kilometer lange Route durch die Flüsse Hudson River, East River und Harlem River, hinter sich. Nachdem sie 2017 schon den Ärmelkanal und im vergangenen Jahr den Catalina Channel durchschwommen hatte, vervollständigte sie nun mit der Umrundung von Manhattan einen ganz besonderen Freiwasser-Erfolg.
„Die drei Routen bilden die ‚Triple Crown of Open Water Swimming’. Deswegen wollte ich Manhatten unbedingt machen“, erklärt Kremer: „Es ist für mich aber nur eine Zwischenetappe. Das Endziel ist es, die Ocean’s Seven zu schwimmen.“
Schneller als erwartet
Die sogenannten „20 bridges“ gehören zwar nicht dazu – haben bei der Ultraschwimmerin allerdings einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Es war eine tolle Abwechslung zu einem traditionellen Kanal im Meer“, so Kremer. Die Aussicht auf New York hat sie beeindruckt. „Es war weniger anstrengend, als ich es erwartet hatte. Man schwimmt nur kurz gegen die Strömung, sonst immer mit ihr. Es ist eine lange Strecke, weil man aber quasi immer mit der Strömung schwimmt, geht es extrem schnell. Wenn man nach links und rechts blickt und die Gebäude sieht, merkt man erst, wie schnell man wirklich schwimmt. Das hilft mental extrem viel“, blickt sie auf das Erlebnis zurück. „Das ist auch der große Unterschied zum Ärmelkanal und eben anderen Kanälen. Man sieht unterwegs Sachen, man hat etwas zu tun.“ So wie zum Beispiel die 20 Brücken zu zählen, die es in New York zu unterschwimmen gab. „Das war schon witzig.“ Ganz gingen die Anstrengungen aber nicht an Kremer vorbei. „Mir wurde unterwegs schlecht und ich musste mich übergeben. Danach konnte ich auch nur Wasser trinken. Aber mental war es viel stimulierender und weniger anstrengend als die anderen Routen, die ich bisher geschwommen bin.“
In New York wurde sie ständig von einem Boot begleitet. Sich daran festhalten durfte sie nicht. Sonst wäre die Triple Crown geplatzt. Zur Besatzung gehörten zwei Personen aus Kremers Umfeld sowie ein Beobachter der Organisation „New York Open Water“. Dieser sorgt dafür, dass es keine unerlaubte Hilfe gibt und notiert die Zwischenzeiten an vorgegebenen Orten. Zudem ist das Begleitboot mit einem Tracker ausgestattet. Anhand dessen wird kontrolliert, ob die Teilnehmer die Strecke auch wirklich ganz schwimmen. „Witzigerweise waren wir an dem Tag zu viert, um die Route zu schwimmen. Ich war als Letzte dran und hatte deswegen noch die ganze Zeit ein Boot vom NYPD (New York Police Department) hinter mir, um aufzupassen. Auf dem Hudson und besonders auf dem East River ist ziemlich viel los. Dort landen Hubschrauber und Sportflugzeuge. Sie passen auf, dass man auch wirklich sicher ist.“ Jährlich dürfen 70 Schwimmer die „20 bridges“ in Angriff nehmen. Man muss sich im Vorfeld bewerben und einen „Schwimm-CV“ abgeben. Eine Jury entscheidet dann, wer starten darf.
Für die ganze Strecke brauchte Kremer am Ende 8.13 Stunden, die Zeit spielte aber eigentlich keine Rolle. „Ich dachte eigentlich, ich würde neun bis zehn Stunden brauchen. Dass ich nur 8.13 gebraucht habe, ist nur ein toller Zusatz gewesen. Die Zeit ist für mich persönlich zweitrangig“, erzählt die Luxemburgerin. Viel mehr ist es die Herausforderung, den eigenen Körper zu testen und die Grenzen herauszukitzeln. „Der Reiz besteht darin, zu testen, wie weit man gehen kann – physisch und mental. Besonders mental. Das ist meiner Meinung nach viel härter als das Physische. Man muss zusehen, es so lange wie möglich auszuhalten. Es ist ein komisches Gefühl. Es geht einfach darum, die eigenen Grenzen zu testen.“
Ocean’s Seven als großes Ziel
Die Leidenschaft fürs Ultraschwimmen entfachte bei Kremer 2016. „Ich habe immer Triathlon gemacht. Damals war in meiner Trainigsgruppe ein Italiener, der einen Slot hatte, um den Ärmelkanal zu durchqueren“, erinnert sie sich. Dieser hatte es davor schon dreimal versucht, kam aber nie an. „Er hatte also wieder einen Slot, merkte aber im Training, dass er es wieder nicht schaffen würde. Er hat seinen Slot dann in eine Staffel umgemeldet.“ Kremer war von der Idee begeistert und sagte zu, Teil der Staffel zu werden. „Als ich dann auf dem Boot saß, habe ich mir gedacht, dass ich die Strecke auch gerne einmal alleine versuchen würde. Als wir ankamen, habe ich direkt gefragt, wann es den nächsten Slot gibt. Man hat mir gesagt, nächstes Jahr im August wäre noch ein Platz frei. Ich habe nicht lange überlegt und sofort zugesagt. Es war eine spontane Entscheidung.“
Ein Jahr später durchschwamm sie schließlich als erste Luxemburgerin den Ärmelkanal. Es folgten 2022 der Catalina Channel und jetzt die „20 bridges“ in New York. „Der Ärmelkanal wird aber für mich immer die schönste Erinnerung bleiben. Ich hatte nie erwartet, auf der anderen Seite anzukommen.“
Kremers großes Ziel ist es, die Ocean’s Seven zu bewältigen, eine siebenteilige Langstreckenherausforderung im Freiwasser. Den Ärmelkanal und den Catalina Channel hat sie schon erfolgreich hinter sich gebracht. Im kommenden Jahr plant sie, die Straße von Gibraltar in Angriff zu nehmen. „Im Oktober bekomme ich Bescheid, ob es klappt oder nicht. Danach würde ich gerne den North Channel zwischen Irland und Schottland machen. Ich denke, ich gebe mir bis 2025 Zeit, weil ich mich dafür erst an kaltes Wasser gewöhnen muss“, erzählt sie mit einem Lachen. Um die Ocean’s Seven zu vervollständigen, würden danach noch die Cook Strait (Neuseeland), der Moloka’i Channel (Hawaii) und die Tsugaru Strait (Japan) anstehen.
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