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Die berühmteste Menschenschlange der Welt: Die „Queue“ in Wimbledon

Die berühmteste Menschenschlange der Welt: Die „Queue“ in Wimbledon

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Das prestigeträchtige Turnier in Wimbledon setzt schon seit jeher auf Tradition. Da darf neben der weißen Kleidung für Spieler, den Erdbeeren mit Sahne und dem Cocktail Pimm’s die «Queue» natürlich nicht fehlen. Das Tageblatt hat sich einen Eindruck von der wohl berühmtesten Menschenschlange der Welt gemacht.

Zelte auf einer großen Wiese, so weit das Auge reicht. Gut gelaunte Menschen, die einen lockeren Plausch mit ihren Nachbarn führen und dabei ein kleines Bierchen trinken. Der Wimbledon-Park erinnert während der zwei Wochen an ein Musikfestival. Doch der Schein trügt. Die Menschen hier wollen noch die letzten heiß begehrten Tickets für das dritte Major-Turnier des Jahres ergattern. Wer nämlich beim Online-Verkauf oder bei der Auslosung kein Glück hatte, eine Eintrittskarte zu erwischen, muss versuchen, auf diese Art noch an die restlichen Tagestickets – Halbfinal- und Finalspiele ausgeschlossen – zu kommen.

Anstehen in der «Queue» ist dann also angesagt. Jeweils 500 Eintrittskarten für den Centre-Court, die Courts 1 und 2 sowie in etwa 6.000 «ground tickets» für die Nebenplätze von 3 bis 18 sind noch für den anstehenden Spieltag im freien Verkauf zu haben. Dieses Prinzip wird nur bei den «Championships» angewandt. Die anderen drei Grand-Slam-Turniere, die Australian Open, die French Open und die US Open, setzen nicht auf diese Philosophie. Dort muss der Zuschauer früh handeln, um auf den größten Schauplätzen der Tennis-Welt dabei sein zu können.

Die Verantwortlichen des weltweit größten Rasenturniers hingegen wollen den echten Enthusiasten die Chance geben, in den Genuss des Wimbledon-Flairs zu kommen. Und dabei sind die Fans sozusagen selbst für ihr Schicksal verantwortlich. Denn jeder Neuankömmling bekommt bei seiner Ankunft eine Karte, auf der eine Nummer und der Tag vermerkt ist. So wird für Ordnung in der Schlange gesorgt.

Vor allem die Tickets für den Centre-Court sind heiß begehrt. Will der Besucher hier unter den ersten 500 Glücklichen sein, so muss dieser zum einen schon recht früh anwesend sein, zum anderen danach sehr viel Geduld mitbringen. In diesem Jahr waren die ersten Fans schon zwei Tage vor Turnierbeginn auf dem Gelände. Mit dabei auch zwei Schweizer, die zum ersten Mal überhaupt dieses einzigartige Erlebnis mitgemacht haben. David Oberhänsli und Christian Brändle hatten dafür einen guten Grund, warum sie die ganzen «Strapazen» auf sich genommen hatten. «Wir wollten unbedingt einmal Roger Federer in seinem «Wohnzimmer» spielen sehen. Wir wissen nämlich nicht, wie lange er überhaupt noch spielen wird. Er ist schließlich schon 36. Als Tennis-verrückter Schweizer muss man es einmal miterlebt haben, Federer auf dem Centre-Court spielen zu sehen. Ich habe ihn schon zweimal in Basel gesehen. Aber das ist keineswegs vergleichbar mit Wimbledon», schwärmt Brändle.

Bei einem Rundgang über das Gelände fiel auf, dass die Federer-Fans hier deutlich das Sagen hatten. Mehrere hunderte Schweizer Flaggen sowie T-Shirts, Kappen und sogar Masken mit der Aufschrift des 20-fachen Grand-Slam-Champions waren an vielen Zelten befestigt. «Irgendwie hat gefühlt jeder Zweite hier eine Kappe mit der Aufschrift RF an, obwohl die meisten keine Schweizer sind. Aber er ist der Star, der Titelverteidiger, den alle sehen wollen», verriet Brändles Freund.

Strenger «Code of Conduct»

Auf der riesigen Rasenfläche des Parks herrschen aber strenge Regeln. Auf einem Schild steht genau erklärt, wie sich der Gast zu benehmen hat. Im sogenannten «Code of Conduct» sind die Verhaltensregeln festgehalten. Vor allem jedes unsoziale Verhalten wird nicht toleriert. Grillen sowie übertriebener Alkoholkonsum, lautes Singen oder Musikhören und Rauchen sind im Wimbledon-Park strikt verboten. Des Weiteren darf keiner seinen Platz für mehr als 30 Minuten verlassen. Wer sich also kurz etwas zu Essen an einer der wenigen Buden holen möchte oder seine Notdurft verrichten muss, muss innerhalb einer halben Stunde zurück sein. Ist das nicht der Fall, fliegt derjenige aus der «Queue». Ebenfalls ist in diesen Richtlinien vermerkt, dass der jeweilige Besucher seine «Queue Card» immer bei sich tragen muss. Diesen «Schatz» hat Brändle deshalb auch immer schön in der Schutzhülle seines Handys aufbewahrt.

Am Ende hat sich das Anstehen für die beiden Jungs aus der Alpenrepublik gelohnt. Mit ihren Nummern 124 und 125 gehörten sie zu den 500 Glücklichen, die zum Centre-Court eingelassen wurden. «Die ganze Warterei hat sich für uns gelohnt. Eigentlich wollten wir nämlich nur eine Nacht hier auf dem Gelände verbringen. Als wir uns aber schon am Tag zuvor die Lage angesehen haben, war der Andrang schon dermaßen groß, dass wir uns kurzerhand dazu entschieden hatten, gleich hier zu bleiben und auf unseren Unterschlupf zu verzichten. Wir wollten auf keinen Fall Gefahr laufen, nachher keine Plätze für den größten Schauplatz an der Church Road zu kriegen. So verbrachten wir also zwei Nächte im Zelt», so der Tennis-Fan.

Bis sie und die vielen anderen Camper letztendlich auf die Tennisanlage durften, mussten sie in der Zwischenzeit viel Durchhaltevermögen zeigen. Viele hatten sich bei den heißen Temperaturen in ihre Zelte zurückgezogen und ein kleines Mittagsschläfchen eingelegt. Andere spielen mit einem Frisbee oder Fußball. Es gibt auch welche, die auf der Wiese des Parks einige Ballwechsel mit kleinen Schlägern spielen. Die meisten hingegen unterhalten sich mit Freunden, machen neue Bekanntschaften, hören Musik oder lesen ein Buch.

Für die beiden Schweizer Kollegen verging die Zeit jedoch nicht ganz so schnell. «Um ehrlich zu sein, haben wir nichts mitgenommen, womit wir uns die Zeit vertreiben könnten. Wir haben sogar vergessen, ein Kartenspiel einzupacken. Das Einzige, was wir bei uns haben, sind unsere Handys. Während unseres 30-minütigen Ausgangs waren wir vor den Toren der Wimbledon-Anlage unterwegs und haben auf Stars gewartet. Wir haben zum Beispiel den Top-20-Spieler Nick Kyrgios gesehen», erzählt Brändle.

Um 22.00 Uhr wurden dann die Tennis-Anhänger von den «Stewards» (Wimbledon-Mitarbeiter) gebeten, sich in ihre Zelte zurückzuziehen. Denn am Tag darauf wurden sie nämlich schon um 6.00 Uhr geweckt. Dann forderten die Stewards die Leute auf, ihre ganzen Sachen zusammenzupacken und in einem nahe gelegenen Gebäude für fünf Pfund zu verstauen. Sind diese Aufgaben erledigt, so heißt es wieder Warten, denn erst Stunden später werden die Pforten geöffnet. Nach fast 44 Stunden war der große Moment dann für Oberhänsli und Brändle gekommen. Endlich durften sie Wimbledon-Luft schnuppern. Das ganze Warten hat sich für beide also mehr als gelohnt, wie sie nachher erklärten. «Es war einfach nur ein unglaubliches Gefühl. Das war noch besser, als wir uns das erträumt hatten.»

Vielleicht war es also nicht das letzte Mal, dass die zwei Freunde dieses ganze Abenteuer mitgemacht haben …


Tennisstars zu Besuch

«The Queue» ist weltweit einzigartig. Einige Tennisspieler wissen es auch zu schätzen, wie viel Zeit die Fans aus Liebe zum Sport auf sich nehmen, nur um ihre Lieblingssportler hautnah miterleben zu können. So stattete u.a. der Australier Thanasi Kokkinakis der «Schlange» vor einigen Jahren einen Besuch ab, als er einigen Campern Pizzastücke vorbeibrachte. Auch die ehemalige Nummer vier der Welt, Tomas Berdych, ließ sich schon auf dieser Anlage in der Nähe der «All England Championships and Croquet» blicken und stand für Selfies bereit.

Sogar Roger Federer kam auf der diesjährigen Pressekonferenz auf die «Queue» zu sprechen und ist regelrecht fasziniert davon. «Jedes Mal, wenn ich davon höre oder Videos sehe, wird mir ganz warm ums Herz. Ich weiß, dass viele dieser Fans diese Stunden nur auf sich nehmen, um mich zu sehen. Ich habe den Traum, dort einmal vorbeizuschauen und die Geschichten jedes Einzelnen zu hören», so der 20-fache Grand-Slam-Champion.