Das Programm, das die Tochter zusammengestellt hat, ist dicht. Vom Museum geht es zum Tempel, dann zu einer Galerie und erneut in ein Museum. Eine ältere Frau wäre mit Sicherheit überfordert. Und auch das deutet die Erzählerin an, beschreibt die Müdigkeit der Mutter, ohne aber ihr eigenes Vorgehen infrage zu stellen. Sie treibt nicht nur voran, sie ist der Mutter gegenüber auch belehrend. Gerade dann, wenn es um Kunst geht, die offensichtlich mehr mit dem Innenleben der Tochter zu tun hat, als ihr selbst bewusst ist, ja, eine Art den allgemeinen Lebensgrund aufzustöbern, ist. Während die Beziehung zum weiblichen Elternteil (der Vater wird nicht erwähnt) im Vagen bleibt, genau wie das Innenleben der beiden Protagonistinnen, wird das Äußere, die Umgebung detailreich beschrieben. Egal, ob es sich um Naturphänomene oder um die Farbgestaltung von Essschalen handelt, die Erzählerin ergeht sich in ästhetisch, haptischen Deskriptionen. Denn genau dieses ästhetische Wohlgefallen, das in sich selbst ruht, scheint ihr zu fehlen. Genau das aber macht für sie den Grund von Beziehungen, ja von Leben aus. Und so verkehrt sich die Außenwelt mehr und mehr zu einer Hoffnung des inneren Strebens, zur Ruhe zu kommen.
Die australische Autorin Jessica Au illustriert diesen buddhistischen Suchprozess ihrer Figur mit einer Ansammlung feiner Beobachtungen, die nicht nur beschreibender Art sind, sondern zu Beginn auch reflexiv versuchen, der Kunst und damit dem Leben auf den Grund zu gehen. Einmal dort angekommen, würde alles eins werden und die Erzählerin in der Ruhe aufgehen. Die Vergewisserung des eigenen Ichs in der Kunst ist seine Auflösung. Während sie anfangs noch versucht, die Doppelbödigkeit von Monets Bildern zu erklären, kommt sie am Ende zum Schluss: „Vielleicht, dachte ich erschöpft, war es ja in Ordnung, wenn man nicht alles verstand, wenn man Dinge einfach wahrnahm und festhielt.“ Und damit auch die Widersprüchlichkeit der Erinnerungen akzeptiert, denn auch diese zeigen sich bei Mutter und Tochter keineswegs übereinstimmend.
„Kalt genug für Schnee“ ist von bedächtiger, ruhiger Erzählart, eingebettet in einen Alltag, unter dem etwas von Erlösung durchschimmert. Gerade diese Langsamkeit angesichts des flinken Abspulens eines Touristenprogramms lässt einen vermuten, hinter jeder Zeile lauere etwas. Keine Bedrohung, vielmehr der Urgrund selbst, dem wir uns verbunden fühlen. Ein sehr ästhetischer, ein sehr japanischer Roman. GuH
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