Luc Frieden und Xavier Bettel stehen sich am Abend des 8. Oktober in den Kulissen von RTL gegenüber. In wenigen Augenblicken sollen beide Spitzenkandidaten von CSV und DP live auf Sendung gehen. Zeit für ein kurzes, intensives Gespräch bleibt dennoch. „Frieden und Bettel: So könnte das künftige Regierungsduo Luxemburgs für die kommenden fünf Jahre heißen“, umschreibt das Tageblatt die sich ihm dargebotene Szene gegen halb zwölf am Wahlabend. Die Dreierkoalition ist Geschichte, die CSV als Regierungspartner unumgänglich. Dass nicht bereits am Wahlabend selbst Koalitionsverhandlungen zwischen CSV und DP ausgerufen werden, ist eine Sache des Respekts vor dem politischen Gegner und vor den Prozeduren. Die politische Realität aber lässt keinen anderen Schluss zu.
„Das Nationalkomitee der CSV hat heute Abend eine Analyse der Chamber-Wahlen gemacht und aufgrund dieser Analyse meinen Vorschlag, Verhandlungen mit der DP aufzunehmen, einstimmig angenommen“, sagt Luc Frieden knappe drei Stunden, nachdem er am 9. Oktober vom Großherzog zum Formateur ernannt wird. Das politische Anbandeln beider Parteien zieht sich in der Außendarstellung wie ein roter Faden durch die Verhandlungen. Von einer Atmosphäre, die so gut wie der strahlende Sonnenschein sei, ist die Rede. Und als Mitte Oktober dann der Herbst mit einem verregneten und wolkenverhangenen Himmel über Senningen Einzug findet, witzelt Frieden: „Die Atmosphäre ist besser als das Wetter.“ Er sehe „keine großen Divergenzen, nur verschiedene Sensibilitäten“. Schon bei Bekanntgabe der Wahlprogramme wird klar, dass DP und CSV inhaltlich nah beieinander liegen – was sich wohl deutlich auf die Stimmung auf Schloss Senningen auswirkt.
Doppelte Krux der Staatsfinanzen
Ob bei Steuern oder Logement: CSV und DP schicken sich an, ein deutlich wirtschaftsliberaleres Regierungsprogramm auszuarbeiten, als es die beiden vergangenen Regierungskoalitionen Bettel I und Bettel II vorstellten. Was also könnte die Stimmung zwischen den beiden Koalitionspartnern trüben? Um bei Luc Friedens Wetteranalogien zu bleiben: Die dunklen Wolken der Staatsfinanzen zogen über Senningen auf. Im Wahlkampf wurden die Staatsfinanzen von keiner der Parteien nennenswert erwähnt. Dass die Staatskasse für große Wahlversprechen nicht herhalten konnte, wollte keine der Parteien eingestehen. Insbesondere nicht die CSV, der Ende Juni – wie allen anderen Chamber-Parteien auch – erklärt wurde, dass die Prognosen für Luxemburgs Haushalt nicht gerade rosig sind. Verständlich, dass hauptsächlich diejenige Partei, die im Wahlkampf Steuererleichterungen versprach, Stillschweigen darüber bewahren wollte. Interessanterweise war es vor allem Premierminister Xavier Bettel, der im Wahlkampf des Öfteren eine gesunde Finanzpolitik angemahnt hatte und vor einer „surenchère vers le bas“ gewarnt hatte.
Hätten die Parteien bei der Abstimmung zum Budget 2023 aufmerksam zugehört, wäre bereits vor Beginn des Wahlkampfes klar gewesen, dass die Staatskasse nicht für große Steuergeschenke herhalten kann. Deutlich höher als bisher angenommen sollen laut Informationen von Radio 100,7 jedoch die eingeplanten Defizite beim Zentralstaat sein.
So aber sieht sich Luc Frieden am Freitag, dem 13. Oktober, gezwungen, vor die Presse zu treten und zu erklären, dass „eine schwierige makroökonomische Situation vorherrscht“. Luxemburgs Wirtschaft könnte stagnieren oder sogar in eine Rezession rutschen. Das hätten die Ausführungen von Luxemburger Finanzexperten ergeben, die am Vortag auf Schloss Senningen eingeladen waren. Oder anders ausgedrückt: Die Steuererleichterungen, die versprochen wurden, werden möglicherweise gar nicht kommen. Die genauen Zahlen sind der Öffentlichkeit bis zum heutigen Tag nicht offiziell vorgelegt worden und werden ex post dem Koalitionsvertrag als Anlage angehängt. Bis dahin aber bleibt die Bilanz des Kassensturzes lediglich den Verhandlungsparteien auf Schloss Senningen vorbehalten – ein Umstand, den nicht nur die Presse, sondern auch einige Luxemburger Abgeordnete von LSAP und Piraten beklagen.
Unterdessen schieben sich Finanzministerium, Formateur und Staatsministerium die Schuld gegenseitig in die Schuhe. Aus dem Finanzministerium von Yuriko Backes heißt es auf Tageblatt-Anfrage, Formateur Luc Frieden müsse diese Dokumente freigeben. Eine Anfrage beim Formateur-Sekretär Luc Feller ist unterdessen bis heute unbeantwortet geblieben. Auf der Pressekonferenz am Montag sagte Luc Frieden dann, er sei nicht Staatsminister und könne die Dokumente zum jetzigen Zeitpunkt nicht freigeben. Ähnlich sieht es Parlamentspräsident Michel Wolter, der die offiziellen Anfragen der Abgeordneten an Staatsminister Xavier Bettel leitete – bisher ohne Erfolg. Merke: Alle beteiligten Akteure haben entweder eine Parteikarte von CSV oder DP.
Zeit für Entscheidungen
Nach der Phase des Zuhörens und der Phase der Arbeitsgruppen ist die Zeit also reif für Entscheidungen. Entschieden wird in den kommenden Tagen, was alles aus den Arbeitsgruppen in das Koalitionsprogramm einfließen und was außen vor bleiben wird. Und: wer schließlich zu Ministerehren kommen wird und wer sich mit einem Platz auf der Ersatzbank, also der Chamber, begnügen muss. Luc Frieden wird Luxemburgs nächster Premier, das steht fest. Und wer noch daran zweifelte, dass Xavier Bettel demnächst Jean Asselborn ersetzt, dürfte angesichts der Tatsache, dass sich Bettel bereits vor einigen Wochen als „neuer Chef“ in einigen Verwaltungen des Außenministeriums vorstellte, endgültig überzeugt sein.
Ansonsten halten sich die Verhandlungsdelegationen bedeckt. Martine Hansen wird schon länger mit dem Bildungsministerium in Verbindung gebracht. Der bisherige Bildungsminister Claude Meisch soll einen Blick auf das Innenministerium geworfen haben. Bei Serge Wilmes und Georges Mischo sind immer wieder gegenteilige Gerüchte zu vernehmen: Mal soll ihnen ein Posten anvertraut werden, mal sollen sie als nicht ministrabel angesehen werden. „In meinem Kopf gibt es Ideen“, sagte Frieden am Montag. Für die Nennung von Ministerien und Personalien sei es jedoch noch zu früh. Selbst die Anzahl der Ministerien – auch hier schwanken die Gerüchte zwischen 13 und 15 hin und her – wollte Frieden nicht bekannt geben. Nur: „Ich weiß nur, dass es nicht mehr werden als vorher.“
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