Die Geschichte von Mandy* ist eine Erfolgsgeschichte. Im September 2019 findet die obdachlose Schwangere den Weg zu „Perspectives“. Sie ist 19 Jahre alt und hat keinen Schulabschluss. Die Aussicht ist ein Leben als Alleinerziehende ohne berufliche Zukunft, ohne Einkommen. Ihren echten Namen will sie aus Angst, erkannt zu werden, nicht sagen.
Deshalb kommt auch ein Foto nicht infrage. Die Anlaufstelle fängt die junge Frau auf und begleitet durch Schwangerschaft, Geburt und die erste Zeit als Mutter. Mandy* hat eine schwierige Kindheit hinter sich. Ihre Betreuerin Milica Lukic (38) spricht von erlittenen Traumata. Die Erzieherin ist eine von insgesamt 20 Mitarbeitern bei „Perspectives” und arbeitet seit eineinhalb Jahren mit jungen Müttern und Kindern.
Die Zahl junger Mütter, die Hilfe bei der Anlaufstelle suchen, ist steigend. 18 der insgesamt 86 Menschen zwischen 16 und 27 Jahren, die in Wohneinheiten des Dienstes leben, sind Mütter mit ihren Kindern. Um noch mehr aufnehmen zu können, hat die Croix-Rouge kürzlich eine weitere Immobilie mit vier Zimmern im Süden des Landes gemietet. 2023 soll sie bezogen werden.
Oftmals letzte Anlaufstelle
„Wir sind sozusagen die letzte Anlaufstelle für diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen“, sagt Sabrina Barthel (37), die Leiterin des Dienstes. Die Sozialarbeiterin arbeitet seit 2011 beim Roten Kreuz, zuerst vor Ort, jetzt als „Chargée de direction“ vom Dienst „Perspectives“. Alle Hilfesuchenden kommen über das „Office national de l’enfance“ (ONE), die meisten haben eine Kindheit in Heimen hinter sich oder leben wie Mandy* auf der Straße.
Für die junge Mutter geht es positiv weiter. Sie arbeitet ihre Geschichte mit psychologischer Hilfe auf und hat Aussicht auf einen festen Arbeitsvertrag ab Februar 2023 bei einer Sicherheitsfirma. „Einige von unseren Schützlingen haben es sogar auf die Uni geschafft“, sagt Barthel. Mandys* Weg ist einer mit vielen Ups und Downs. Kurzzeitig will sie sogar hinwerfen.
„Wir haben Abbrecher“, bestätigt Barthel. „Aber nach einer gewissen Zeit und der täglichen Frage, wo esse und schlafe ich, kommen sie wieder.“ Dann ist spätestens klar, dass sich etwas ändern muss. Die allermeisten haben die Erfahrung gemacht, dass Bindungen früh abgebrochen werden. „Das verändert Menschen, sie haben Schwierigkeiten, sich einzulassen“, sagen die Fachleute.
Stabilität und ein Ende der Willkür
„Perspectives“ bietet Schutz und nie gekannte Stabilität. Willkür endet dort. „Die Wohnung ist ihr Reich, das gibt ihnen Sicherheit”, sagt Leiterin Barthel. Das Wohnen der jungen Schützlinge ist betreut. Je nach Platz in den insgesamt 15 vom Roten Kreuz zur Verfügung gestellten Wohnungen und Apartments leben sie zu dritt oder mehr zusammen.
Ein ausgebildeter Betreuer kümmert sich um einen Neuankömmling mit zehn Wochenstunden vor Ort, bei den jungen Müttern sind es 12. Je selbstständiger sie werden, desto mehr sinkt die betreute Einzelzeit. Eine Fachkraft betreut durchschnittlich vier bis fünf der jungen Erwachsenen. Wichtig ist die Wertschätzung, die sie nach ihrer Ankunft erfahren.
„Wir helfen ihnen, ihre Stärken zu erkennen und etwas damit anzufangen“, sagt Barthel. Die meisten jungen Menschen, die kommen, sind um die 20 Jahre alt. Sechs von zehn schaffen nach Schätzungen der „Perspectives“-Leitung nachträglich einen Schulabschluss. Das würde Sabrina Barthel aber nicht zuerst nennen, wenn sie „Erfolg“ in ihrem Arbeitsbereich definieren müsste.
Etwas entdecken, was vorher brachlag
„Für mich ist es ein Erfolg, wenn die jungen Menschen ausziehen und etwas mitnehmen für sich, was sie vorher nicht hatten“, sagt sie. Der Aufenthalt im Service „Perspectives“ ist auf drei Jahre begrenzt. Ausnahmen gibt es in Einzelfällen. Die Anzahl derer, die auf Wartelisten stehen, kennt nur das ONE. Es verweist die Hilfesuchenden an die Anlaufstelle. Fakt ist aber, dass es keine Probleme gibt, freie Plätze zu belegen.
Gefühlt tausendmal haben die Mitarbeiter des Dienstes die Erfahrung gemacht, dass ihre Schützlinge die negativ erlebten Seiten der Kindheit in ihrem eigenen Leben wiederholen. Sie können den Teufelskreis nicht verlassen. Mandy* hat es geschafft und ist auf einem guten Weg. Was treibt die jungen Menschen in die Abwärtsspirale? „Kein Schutz im familiären Umkreis oder im Freundes- und Bekanntenkreis“, sagt Barthel. „Sie suchen nach Beziehung und Liebe.“
*Name von der Redaktion geändert
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können