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Interview mit Adrienne HaanDer Big Apple zwischen Nostalgie und Kulturradikalismus

Interview mit Adrienne Haan / Der Big Apple zwischen Nostalgie und Kulturradikalismus
Die Sängerin und Entertainerin Adrienne Haan

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Das „Festival de Wiltz“ bietet auch dieses Jahr eine eklektische Mischung aus Theater, Entertainment, Soul und Indie. Den musikalischen Auftakt macht dabei am kommenden Sonntag die deutsch-luxemburgische Sängerin Adrienne Haan. Das Tageblatt hat sich mit der Entertainerin über die Vielfältigkeit ihrer Shows, die sie in bis zu 13 Sprachen singt, den ihrer Meinung nach zerstörerischen Einfluss der Woke-Bewegung auf die New Yorker Kulturszene und ihr Engagement für das „Survivor Mitzvah Project“ unterhalten.

Tageblatt: Im Rahmen des „Festival de Wiltz“ stellen Sie Ihre „New York, New York“-Show vor – was genau darf sich der interessierte Zuschauer darunter vorstellen?

Adrienne Haan: „New York, New York“ ist meine Hommage an den Big Apple und feiert in Wiltz Luxemburg-Premiere. Wie üblich stelle ich in meinen Shows Lieder zusammen, die es bereits gibt, darunter Klassiker, die Stars wie Liza Minnelli oder Bing Crosby bereits vor mir gesungen haben. Meine Shows sind stets auch eine musikalische Zeitreise, die in diesem Fall speziell auf die Stadt New York zugeschnitten ist: Es gibt Lieder, die von NY handeln, die in New York komponiert oder präsentiert wurden – indem ich über das, was damals in der Radio City Music Hall ablief, spreche oder die Komponisten und Stars zelebriere, gebe ich zusätzlichen geschichtlichen Kontext. Dazu bringe ich meine vierköpfige Band mit, die insgesamt sieben Instrumente spielt. Die meisten kommen aus Köln und Hamburg, aber seit einiger Zeit habe ich auch den Luxemburger Schlagzeuger Tim Kleren dabei, der zudem in der Militärmusik tätig ist und der nach dem Auftritt in Wiltz mit mir nach Angola fliegen wird, wo ich Cabaret français mit meiner Band zum französischen Nationalfeiertag vortrage.

Sie singen in 13 Sprachen: Wie fühlt es sich an, zwischen den Kulturen und Sprachen zu pendeln?

Ich mache ein bisschen das, was sonst keiner hier macht. Ich singe Songs, die schon da waren, bin gleichzeitig unterhaltend, aber auch geschichtlich unterwegs. Die Show in Wiltz fokussiert sich auf die englische Sprache, es gibt aber auch das Programm „One World“, das ich irgendwann in Luxemburg aufführen möchte und wo ich in all den verschiedenen Sprachen singe. Die Idee dazu ist in der Pandemie entstanden – wir sind eine Welt und wir Künstler müssen zusammenhalten. Neben europäischen Sprachen wie Luxemburgisch oder Schwedisch habe ich deswegen auch andere Sprachen wie Mandarin, Zulu, Ukrainisch, Jiddisch und Hebräisch in die Show eingeflochten.

Fühlt sich jemand, der so viel reist und jetzt von New York über Wiltz nach Angola kommt, noch irgendwo fremd?

Da ich so viel in der Welt unterwegs war und auch noch bin, fühle ich mich nirgendwo wirklich fremd, auch wenn man sich in jedem Land anpassen muss und es manchmal auch schon abenteuerlich sein kann – in Paraguay musste mein Klavierspieler einmal damit klarkommen, dass beim alten Klavier ein paar Tasten fehlten. Zudem muss man verstehen, dass es in jedem Land anders läuft – organisatorisch gesehen haben die Franzosen mehr so eine Laisser-faire-Attitüde, und wenn es in Südamerika heißt, dass die Show um 20 Uhr anfängt, beginnt sie meistens erst um 22 Uhr und das Publikum trudelt ein, wenn es gerade Bock hat. Dass die Show mehr oder weniger zu dem Zeitpunkt beginnt, wo sie eigentlich aufhören sollte, ist für mich schon eine Umstellung, weil man bereits den ganzen Tag zugange war und im Backstage dann irgendwann müde wird.

In dem Sinne ist Luxemburg schon ein Paradies, weil organisatorisch alles klappt und die Venues auch technisch hervorragend ausgestattet sind. Da ich ja auch väterlicherseits Luxemburgerin bin, hatte ich stets einen ganz besonderen Bezug zu Luxemburg. In letzter Zeit bin ich ständig dort und habe das Glück, meine Familie und Freunde zu sehen und meine diversen Shows in den verschiedensten Lokalitäten spielen zu können. In einem kleinen Land ist es definitiv von Vorteil, verschiedene Shows anzubieten, die sich zudem jedes Mal ändern, da es beispielsweis andere Konstellationen, eine andere Band gibt.

Passen Sie Ihre Show an die Venue an – oder geht es andersrum?

Ich denke schon darüber nach, welche Show in welcher Venue am besten funktioniert. Eine meiner Shows habe ich für meine luxemburgische Bühnenpartnerin Magali Dahan geschrieben. Sie ist sehr theatralisch, braucht die Intimität eines kleineren Saals – und passt deswegen am besten ins TNL. Für meine Kurt-Weil-Show waren wir in Esch, weil es eben mehr Platz auf der Bühne braucht. Mit der Rockband spiele ich am liebsten im Trifolion, mit der Big Band im Conservatoire oder in der Philharmonie.

In einem rezenten Porträt meinten Sie, New York wäre seit der Pandemie anders. Was hat sich geändert?

New York hat in der Pandemie sehr gelitten – und im Gegensatz zu Europa wird dort nichts aufgefangen. Viele Restaurants haben geschlossen, es gibt mehr Obdachlosigkeit denn je und vor allem die Kulturszene hat sehr gelitten. So haben die kleinen Jazzclubs und die kleinen Off-Off-Broadway-Theater, die ich noch aus den 90ern kannte, alle geschlossen. Wer heute Jazz gucken will, muss Geld haben. Sogar bei einem kleinen Theater wie meinem zahlen die Leute, wenn man zum Eintritt und dem Mindestverzehr Trinkgeld und Taxen hinzuzählt, gerne mal 70 Dollar für eine 90-Minuten-Show. Für Menschen, die Jazz hören möchten, wird die Sache noch teurer – man geht nicht mehr in Kneipen, in denen eine Jazzband spielt, sodass dieses Musikgenre leider nur noch für Reiche genießbar ist.

Ich habe zudem den Eindruck, dass die Menschen durch die Pandemie radikaler geworden sind, was ich beispielsweise an der Entwicklung der Woke-Bewegung feststelle, von der ich sehr wenig halte. Es gibt keine Mitte mehr – die Kulturevents sind entweder völlig links und woke oder total rechts. Ich sehe, wie die Woke-Bewegung der Kreativität in New York Scheuklappen aufsetzt. Ich bin für Gerechtigkeit und dafür, dass jeder eine Chance bekommen soll, aber ich bin gegen jede Form von Radikalität. Absagen zu bekommen, weil ich eine weiße Frau bin, finde ich beängstigend. Da ich auch im Produktionsbereich tätig und mit Broadway-Produzenten unterwegs bin, stelle ich absurderweise fest, dass diese weißen Produzenten in jedem Musical, das sie produzieren, White-Bashing betreiben, weil das gerade auf der Tagesordnung steht. Das empfinde ich als umgekehrten Rassismus.

Aber leiden Sie denn konkret darunter?

Da ich mein eigenes Ding mache und weil mein Themenbereich woanders liegt, entkomme ich diesem radikalen Klima etwas.

Das New York auf Ihrer Bühne ist also definitiv eine nostalgisch verklärte Version der Stadt?

Aufgrund der Zeitreisen, auf die ich meine Zuschauer mitnehme, habe ich den Eindruck, dass man mir im Triad Theatre, wo ich seit sechs Jahren „artist in residence“ bin, alles abnimmt. Im kommenden September stelle ich dort eine neue Show vor, „Timeless Songs from the Silver Screen“, in deren Rahmen wir Filmkomponisten von der Stummfilmära bis heute ehren, von Charlie Chaplin über die französische Nouvelle Vague bis hin zu John Williams werden wir alle Genres abklappern. Da werde ich auch einige Songs, die im Original von Schwarzen gesungen wurden, singen – und frage mich, wie darauf reagiert wird.

Sie sind auch für das „Survivor Mitzvah Projekt“ aktiv …

Die Holocaust Remembrance macht einen Großteil meines Privatlebens und meiner Tätigkeit als Performerin aus – so habe ich im Jahr der Pandemie, als Luxemburg die Präsidentschaft der Holocaust Remembrance innehatte, mein Thehora-Programm unter der Schirmherrschaft des Großherzogs in Esch gespielt und war dann auch unter Luxemburg-Flagge in Polen. Weil ich in jener Hinsicht vielseitig impliziert bin, hat mich das „Survivor Mitzvah Project“ in den Vorstand berufen. Ein- bis zweimal im Jahr mache ich einen Spendenaufruf – wir suchen Gelder für Holocaust-Überlebende oder deren direkte Nachfolger, die in Osteuropa keinen Zugang zu Lebensmitteln oder Medikamenten haben.

Info

Die Show findet am kommenden Sonntag um 17.00 Uhr im Wiltzer Amphithéâtre statt. Neben den Comedian Harmonists (am 7. Juli um 20.00 Uhr) und „Esou schmaacht Wooltz“ von der Weeltzer Musek und Marly Marques (same time, same place) sollte man auf keinen Fall Selah Sue (am 14. Juli um 20.30 Uhr) und Warhaus (19.30 Uhr, Support von Englbert und Kids with Buns), das Soloprojekt von Maarten Devoldere, der mit seiner Band Balthazar vergangenen Dienstag in der Rockhal war, verpassen.